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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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Ber
nen der Menschen lenkt und die Gemüther besänf-
(*) Regit
dictis ani-
mos et pe-
ctora mul-
cet.
Virg. Aen.
I.
152.
tiget; (*) können solche Männer nicht als Geschenke
des Himmels angesehen werden? als Lehrer und
Vorsteher der Menschen, bestimmt jede gemein-
nützige Kenntniß, jede gute Gesinnung unter einem
ganzen Volk auszubreiten?

Jn der Beredsamkeit findet die ächte Politik das
wichtigste Mittel den Staat glüklich zu machen.
Aeußerlicher Zwang macht keine gute Bürger:
durch ihn ist der Staat eine leblose Maschine, die
nicht länger geht, als so lang eine fremde Kraft
auf sie drükt; durch die Beredsamkeit bekommt
sie eine innere lebendige Kraft, wodurch sie unauf-
haltbar fortgeht. Jn den Händen eines weisen
Regenten ist sie ein Zauberstab, der eine wüste Ge-
gend in ein Paradies verwandelt, ein träges Volk
arbeitsam, ein feiges beherzt, ein unverständiges
verständig macht. Steht sie dem Philosophen bey,
so breitet sich Vernunft und Einsicht über ein gan-
zes Volk aus; leistet sie ihre Hülfe dem Moralisten,
so nehmen Gesinnungen der Rechtschaffenheit, der
Redlichkeit und der Großmuht, die Stelle der Un-
sittlichkeit, des Eigennutzes und aller verderblichen
Leidenschaften ein: durch sie wird alsdenn ein wil-
des, ruchloses, frevelhaftes Volk, gesittet und tugend-
haft. Durch sie unterstüzt konnte der unsterbliche
Tullius einen wilden, äußerst aufgebrachten Pö-
(*) S.
Plutarch
im Cicero.
bel, besänftigen. (*) Durch sie brachte dieser Pa-
triot das römische Volk dahin, daß es eine Sache,
die es seit Jahrhunderten gewünscht und für das
(*) Te di-
cente le-
gem agra-
riam hoc
est ali-
menta sua,
abdicave-
runt tri-
bus. Plin.
Hist. Nat.
L. VII.
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größte Glük angesehen hatte, freywillig verwarf. (*)
Und hätte nicht das Schiksal Roms Untergang
beschloßen, so wär es durch die Beredsamkeit die-
ses einzigen Mannes gerettet worden.

Diese Kraft hat die Beredsamkeit nicht nur als-
denn, wenn sie sich in einem feyerlichen Aufzuge
vor einem ganzen Volke zeiget, und große öffentliche
Reden hält. Oft hat ein einziges Wort zu rechter
Zeit gesprochen, mehr Kraft, als eine lange Rede.
Die weitläuftigen Reden, dergleichen Thucidides
und Livius den Heerführern in den Mund legen,
sind selten so würksam, als ein zuversichtliches
Wort im rechten Augenblik und im wahren Ton
der Zuversicht gesprochen; wie das, wodurch ein
griechischer Heerführer, den man durch die über-
legene Anzahl der Feinde schreken wollte, seinem
Heere Muth gab: Es ist nicht unsre Art zu fra-
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Ber
gen, wie stark der Feind sey, sondern wo wir ihn
antreffen können.

Also kann die Beredsamkeit, auch ohne Veran-
staltung, mitten in den Geschäften, durch wenig
Worte die größte Würkung thun. Durch diese Art
der Beredsamkeit hat Sokrates durch eine einzige
Unterredung aus einem ausschweiffenden Jüngling
bey nahe einen Heiligen gemacht. (*) So kann ein(*) S.
Diog.
Laert. in
Socr. C. V.

wahrhaftig beredter Mann nicht blos Entschließun-
gen erweken, sondern zugleich antreibende Kräfte
zur Ausführung derselben in das Gemüth legen.
Die Beredsamkeit des Umganges, die Sokrates in
einem so hohen Grad besaß, ist so wichtig, als die,
die in öffentlichen Versammlungen erscheint, oder in
öffentlichen Schriften spricht. Deßwegen sollte sie,
wie in Sparta, ein Augenmerk bey der Erziehung
seyn. Es sind unzählige Gelegenheiten, wo sie
höchst wichtig ist. Es ist kein Mensch, der nicht
täglich nöthig hätte, andern etwas zu berichten,
oder etwas begreiflich zu machen, oder sie von
irrigen auf richtigere Gedanken zu bringen, oder
sie zu etwas zu bereden, oder gute Gesinnungen in
ihnen zu erweken, oder Leidenschaften zu besänf-
tigen. Nur die wahre Beredsamkeit kann dieses
thun.

Aus diesen Betrachtungen erhellet nun, daß ein
weiser Gesetzgeber für die Aufnahme dieser wichti-
gen Kunst überhaupt, und für die gute Anwendung
derselben, niemals gleichgültig seyn wird. Alle
schönen Künste sind einem Staat nützlich, diese allein
ist nothwendig, wenn ein Volk nicht in der Barba-
rey bleiben, oder wieder dahin versinken soll. "War-
um geben wir uns doch so viel Mühe, (sagt ein
großer Dichter) alle Künste als nothwendige Dinge
zu lernen, und versäumen die Kunst der Ueberre-
dung, als die einzige Führerin der Menschen?" (*)(*) Eurip.
in Hecuba
vers. 815.
seq.

Welchem Regenten der Flor oder der Verfall, der
Gebrauch oder Mißbrauch der Beredsamkeit gleich-
gültig ist, dem ist auch die Wolfahrt seines Volks
gleichgültig; er ist gewiß nicht der Vater seines Lan-
des, sondern höchstens ein Hirte, der eine Heerde
weidet, um Nutzen und Einkünfte von derselben zu
haben; er hat weder den Vorsatz, sein Volk ver-
ständig und gesittet zu sehen, noch den Willen, das-
selbe gut zu regieren.

Nach der gegenwärtigen Lage der Sachen sind
nur wenige Staaten, die zu den Geschäfften der Re-
gierung öffentlich auftretende Redner nöthig hät-

ten.

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Ber
nen der Menſchen lenkt und die Gemuͤther beſaͤnf-
(*) Regit
dictis ani-
mos et pe-
ctora mul-
cet.
Virg. Aen.
I.
152.
tiget; (*) koͤnnen ſolche Maͤnner nicht als Geſchenke
des Himmels angeſehen werden? als Lehrer und
Vorſteher der Menſchen, beſtimmt jede gemein-
nuͤtzige Kenntniß, jede gute Geſinnung unter einem
ganzen Volk auszubreiten?

Jn der Beredſamkeit findet die aͤchte Politik das
wichtigſte Mittel den Staat gluͤklich zu machen.
Aeußerlicher Zwang macht keine gute Buͤrger:
durch ihn iſt der Staat eine lebloſe Maſchine, die
nicht laͤnger geht, als ſo lang eine fremde Kraft
auf ſie druͤkt; durch die Beredſamkeit bekommt
ſie eine innere lebendige Kraft, wodurch ſie unauf-
haltbar fortgeht. Jn den Haͤnden eines weiſen
Regenten iſt ſie ein Zauberſtab, der eine wuͤſte Ge-
gend in ein Paradies verwandelt, ein traͤges Volk
arbeitſam, ein feiges beherzt, ein unverſtaͤndiges
verſtaͤndig macht. Steht ſie dem Philoſophen bey,
ſo breitet ſich Vernunft und Einſicht uͤber ein gan-
zes Volk aus; leiſtet ſie ihre Huͤlfe dem Moraliſten,
ſo nehmen Geſinnungen der Rechtſchaffenheit, der
Redlichkeit und der Großmuht, die Stelle der Un-
ſittlichkeit, des Eigennutzes und aller verderblichen
Leidenſchaften ein: durch ſie wird alsdenn ein wil-
des, ruchloſes, frevelhaftes Volk, geſittet und tugend-
haft. Durch ſie unterſtuͤzt konnte der unſterbliche
Tullius einen wilden, aͤußerſt aufgebrachten Poͤ-
(*) S.
Plutarch
im Cicero.
bel, beſaͤnftigen. (*) Durch ſie brachte dieſer Pa-
triot das roͤmiſche Volk dahin, daß es eine Sache,
die es ſeit Jahrhunderten gewuͤnſcht und fuͤr das
(*) Te di-
cente le-
gem agra-
riam hoc
eſt ali-
menta ſua,
abdicave-
runt tri-
bus. Plin.
Hiſt. Nat.
L. VII.
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groͤßte Gluͤk angeſehen hatte, freywillig verwarf. (*)
Und haͤtte nicht das Schikſal Roms Untergang
beſchloßen, ſo waͤr es durch die Beredſamkeit die-
ſes einzigen Mannes gerettet worden.

Dieſe Kraft hat die Beredſamkeit nicht nur als-
denn, wenn ſie ſich in einem feyerlichen Aufzuge
vor einem ganzen Volke zeiget, und große oͤffentliche
Reden haͤlt. Oft hat ein einziges Wort zu rechter
Zeit geſprochen, mehr Kraft, als eine lange Rede.
Die weitlaͤuftigen Reden, dergleichen Thucidides
und Livius den Heerfuͤhrern in den Mund legen,
ſind ſelten ſo wuͤrkſam, als ein zuverſichtliches
Wort im rechten Augenblik und im wahren Ton
der Zuverſicht geſprochen; wie das, wodurch ein
griechiſcher Heerfuͤhrer, den man durch die uͤber-
legene Anzahl der Feinde ſchreken wollte, ſeinem
Heere Muth gab: Es iſt nicht unſre Art zu fra-
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Ber
gen, wie ſtark der Feind ſey, ſondern wo wir ihn
antreffen koͤnnen.

Alſo kann die Beredſamkeit, auch ohne Veran-
ſtaltung, mitten in den Geſchaͤften, durch wenig
Worte die groͤßte Wuͤrkung thun. Durch dieſe Art
der Beredſamkeit hat Sokrates durch eine einzige
Unterredung aus einem ausſchweiffenden Juͤngling
bey nahe einen Heiligen gemacht. (*) So kann ein(*) S.
Diog.
Laert. in
Socr. C. V.

wahrhaftig beredter Mann nicht blos Entſchließun-
gen erweken, ſondern zugleich antreibende Kraͤfte
zur Ausfuͤhrung derſelben in das Gemuͤth legen.
Die Beredſamkeit des Umganges, die Sokrates in
einem ſo hohen Grad beſaß, iſt ſo wichtig, als die,
die in oͤffentlichen Verſammlungen erſcheint, oder in
oͤffentlichen Schriften ſpricht. Deßwegen ſollte ſie,
wie in Sparta, ein Augenmerk bey der Erziehung
ſeyn. Es ſind unzaͤhlige Gelegenheiten, wo ſie
hoͤchſt wichtig iſt. Es iſt kein Menſch, der nicht
taͤglich noͤthig haͤtte, andern etwas zu berichten,
oder etwas begreiflich zu machen, oder ſie von
irrigen auf richtigere Gedanken zu bringen, oder
ſie zu etwas zu bereden, oder gute Geſinnungen in
ihnen zu erweken, oder Leidenſchaften zu beſaͤnf-
tigen. Nur die wahre Beredſamkeit kann dieſes
thun.

Aus dieſen Betrachtungen erhellet nun, daß ein
weiſer Geſetzgeber fuͤr die Aufnahme dieſer wichti-
gen Kunſt uͤberhaupt, und fuͤr die gute Anwendung
derſelben, niemals gleichguͤltig ſeyn wird. Alle
ſchoͤnen Kuͤnſte ſind einem Staat nuͤtzlich, dieſe allein
iſt nothwendig, wenn ein Volk nicht in der Barba-
rey bleiben, oder wieder dahin verſinken ſoll. „War-
um geben wir uns doch ſo viel Muͤhe, (ſagt ein
großer Dichter) alle Kuͤnſte als nothwendige Dinge
zu lernen, und verſaͤumen die Kunſt der Ueberre-
dung, als die einzige Fuͤhrerin der Menſchen?‟ (*)(*) Eurip.
in Hecuba
verſ. 815.
ſeq.

Welchem Regenten der Flor oder der Verfall, der
Gebrauch oder Mißbrauch der Beredſamkeit gleich-
guͤltig iſt, dem iſt auch die Wolfahrt ſeines Volks
gleichguͤltig; er iſt gewiß nicht der Vater ſeines Lan-
des, ſondern hoͤchſtens ein Hirte, der eine Heerde
weidet, um Nutzen und Einkuͤnfte von derſelben zu
haben; er hat weder den Vorſatz, ſein Volk ver-
ſtaͤndig und geſittet zu ſehen, noch den Willen, daſ-
ſelbe gut zu regieren.

Nach der gegenwaͤrtigen Lage der Sachen ſind
nur wenige Staaten, die zu den Geſchaͤfften der Re-
gierung oͤffentlich auftretende Redner noͤthig haͤt-

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[148/0160] Ber Ber nen der Menſchen lenkt und die Gemuͤther beſaͤnf- tiget; (*) koͤnnen ſolche Maͤnner nicht als Geſchenke des Himmels angeſehen werden? als Lehrer und Vorſteher der Menſchen, beſtimmt jede gemein- nuͤtzige Kenntniß, jede gute Geſinnung unter einem ganzen Volk auszubreiten? (*) Regit dictis ani- mos et pe- ctora mul- cet. Virg. Aen. I. 152. Jn der Beredſamkeit findet die aͤchte Politik das wichtigſte Mittel den Staat gluͤklich zu machen. Aeußerlicher Zwang macht keine gute Buͤrger: durch ihn iſt der Staat eine lebloſe Maſchine, die nicht laͤnger geht, als ſo lang eine fremde Kraft auf ſie druͤkt; durch die Beredſamkeit bekommt ſie eine innere lebendige Kraft, wodurch ſie unauf- haltbar fortgeht. Jn den Haͤnden eines weiſen Regenten iſt ſie ein Zauberſtab, der eine wuͤſte Ge- gend in ein Paradies verwandelt, ein traͤges Volk arbeitſam, ein feiges beherzt, ein unverſtaͤndiges verſtaͤndig macht. Steht ſie dem Philoſophen bey, ſo breitet ſich Vernunft und Einſicht uͤber ein gan- zes Volk aus; leiſtet ſie ihre Huͤlfe dem Moraliſten, ſo nehmen Geſinnungen der Rechtſchaffenheit, der Redlichkeit und der Großmuht, die Stelle der Un- ſittlichkeit, des Eigennutzes und aller verderblichen Leidenſchaften ein: durch ſie wird alsdenn ein wil- des, ruchloſes, frevelhaftes Volk, geſittet und tugend- haft. Durch ſie unterſtuͤzt konnte der unſterbliche Tullius einen wilden, aͤußerſt aufgebrachten Poͤ- bel, beſaͤnftigen. (*) Durch ſie brachte dieſer Pa- triot das roͤmiſche Volk dahin, daß es eine Sache, die es ſeit Jahrhunderten gewuͤnſcht und fuͤr das groͤßte Gluͤk angeſehen hatte, freywillig verwarf. (*) Und haͤtte nicht das Schikſal Roms Untergang beſchloßen, ſo waͤr es durch die Beredſamkeit die- ſes einzigen Mannes gerettet worden. (*) S. Plutarch im Cicero. (*) Te di- cente le- gem agra- riam hoc eſt ali- menta ſua, abdicave- runt tri- bus. Plin. Hiſt. Nat. L. VII. c. 30. Dieſe Kraft hat die Beredſamkeit nicht nur als- denn, wenn ſie ſich in einem feyerlichen Aufzuge vor einem ganzen Volke zeiget, und große oͤffentliche Reden haͤlt. Oft hat ein einziges Wort zu rechter Zeit geſprochen, mehr Kraft, als eine lange Rede. Die weitlaͤuftigen Reden, dergleichen Thucidides und Livius den Heerfuͤhrern in den Mund legen, ſind ſelten ſo wuͤrkſam, als ein zuverſichtliches Wort im rechten Augenblik und im wahren Ton der Zuverſicht geſprochen; wie das, wodurch ein griechiſcher Heerfuͤhrer, den man durch die uͤber- legene Anzahl der Feinde ſchreken wollte, ſeinem Heere Muth gab: Es iſt nicht unſre Art zu fra- gen, wie ſtark der Feind ſey, ſondern wo wir ihn antreffen koͤnnen. Alſo kann die Beredſamkeit, auch ohne Veran- ſtaltung, mitten in den Geſchaͤften, durch wenig Worte die groͤßte Wuͤrkung thun. Durch dieſe Art der Beredſamkeit hat Sokrates durch eine einzige Unterredung aus einem ausſchweiffenden Juͤngling bey nahe einen Heiligen gemacht. (*) So kann ein wahrhaftig beredter Mann nicht blos Entſchließun- gen erweken, ſondern zugleich antreibende Kraͤfte zur Ausfuͤhrung derſelben in das Gemuͤth legen. Die Beredſamkeit des Umganges, die Sokrates in einem ſo hohen Grad beſaß, iſt ſo wichtig, als die, die in oͤffentlichen Verſammlungen erſcheint, oder in oͤffentlichen Schriften ſpricht. Deßwegen ſollte ſie, wie in Sparta, ein Augenmerk bey der Erziehung ſeyn. Es ſind unzaͤhlige Gelegenheiten, wo ſie hoͤchſt wichtig iſt. Es iſt kein Menſch, der nicht taͤglich noͤthig haͤtte, andern etwas zu berichten, oder etwas begreiflich zu machen, oder ſie von irrigen auf richtigere Gedanken zu bringen, oder ſie zu etwas zu bereden, oder gute Geſinnungen in ihnen zu erweken, oder Leidenſchaften zu beſaͤnf- tigen. Nur die wahre Beredſamkeit kann dieſes thun. (*) S. Diog. Laert. in Socr. C. V. Aus dieſen Betrachtungen erhellet nun, daß ein weiſer Geſetzgeber fuͤr die Aufnahme dieſer wichti- gen Kunſt uͤberhaupt, und fuͤr die gute Anwendung derſelben, niemals gleichguͤltig ſeyn wird. Alle ſchoͤnen Kuͤnſte ſind einem Staat nuͤtzlich, dieſe allein iſt nothwendig, wenn ein Volk nicht in der Barba- rey bleiben, oder wieder dahin verſinken ſoll. „War- um geben wir uns doch ſo viel Muͤhe, (ſagt ein großer Dichter) alle Kuͤnſte als nothwendige Dinge zu lernen, und verſaͤumen die Kunſt der Ueberre- dung, als die einzige Fuͤhrerin der Menſchen?‟ (*) Welchem Regenten der Flor oder der Verfall, der Gebrauch oder Mißbrauch der Beredſamkeit gleich- guͤltig iſt, dem iſt auch die Wolfahrt ſeines Volks gleichguͤltig; er iſt gewiß nicht der Vater ſeines Lan- des, ſondern hoͤchſtens ein Hirte, der eine Heerde weidet, um Nutzen und Einkuͤnfte von derſelben zu haben; er hat weder den Vorſatz, ſein Volk ver- ſtaͤndig und geſittet zu ſehen, noch den Willen, daſ- ſelbe gut zu regieren. (*) Eurip. in Hecuba verſ. 815. ſeq. Nach der gegenwaͤrtigen Lage der Sachen ſind nur wenige Staaten, die zu den Geſchaͤfften der Re- gierung oͤffentlich auftretende Redner noͤthig haͤt- ten.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/160>, abgerufen am 23.11.2024.