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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771.

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ein; dieses aber treibt sie mit gewaltigen Stößen,
gegen die alle übrige Vorstellungen verschwinden,
auf den einen Gegenstand hin.

Endlich sind auch die edle Ruhmbegierde, die
Lust die Aufmerksamkeit aller Menschen auf sich zu
ziehen, Liebe zum Vaterland, ein lebhaftes Ge-
fühl der Rechtschaffenheit, gute Mittel zur Be-
geisterung. Kommen so starke bewegende Kräfte
zu einem glüklichen Genie, und zu einem von ge-
sunder Vernunft wol gesättigten Verstand, zu ei-
ner wolgeordneten Einbildungskraft, so entstehen
alsdenn die herrlichsten Früchte der Begeisterung,
die in den Werken der größten Künstler bewun-
dert werden.

Begleitung.
(Musik.)

Der Vortrag derjenigen Stimmen, welche die
Hauptstimmen unterstützen, besonders des General-
basses, der die ganze Harmonie, worauf das Ton-
stük beruhet, anschlägt. Jedes Tonstük hat, nach
der itzigen Beschaffenheit der Musik, eine oder meh-
rere Hauptstimmen, die den eigentlichen Gesang
oder die Melodie führen. Dieser werden insgemein
noch andre Stimmen beygefügt, welche jene Haupt-
stimmen beständig durch harmonische Töne beglei-
ten. Unter diesen begleitenden Stimmen ist der
Baß die vorzüglichste; besonders der Generalbaß,
der außer den Grundtönen, worauf die ganze
Harmonie beruhet, auch noch die übrigen zur vol-
len Harmonie gehörigen Töne anschlägt, wie auf
Orgeln, Clavieren und Harfen geschieht.

Durch die gute Begleitung erhält also ein Ton-
stük seine wahre Vollkommenheit; so wie es durch
eine schlechte alle Schönheit verlieren kann. Der
Tonsetzer schreibt jeder begleitenden Stimme alles,
was ihr zukommt, vor; nur in dem Generalbaß,
wird blos das Wesentlichste angezeiget, vieles aber
der Ueberlegung des Spielers überlassen; weil es
nicht möglich ist, ihm jeden Ton zur Harmonie vor-
zuschreiben, ohne seine ganze Parthie zu verwirren.

Was der Tonsetzer in Absicht auf die begleiten-
den Stimmen bey dem Satze selbst zu beobachten hat,
gehört nicht hieher, und ist an den Orten, wo die
Regeln des Satzes entwikelt worden sind, zu fin-
den. Die Rede ist hier blos von dem, was dieje-
nigen zu beobachten haben, welchen die begleitenden
Stimmen zur Ausführung aufgetragen sind. Diesen
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sind (den Generalbaßisten ausgenommen) alle Töne,
die sie zu spielen haben, genau vorgeschrieben; also
kömmt es bey ihrer Begleitung blos auf eine wol
überlegte Ausführung des vorgeschriebenen an.

Aber auch dazu wird so viel Geschmak und Ue-
berlegung erfodert, daß der vollkommene Begleiter
allemal den Namen eines Virtuosen verdienet. Er
muß die Natur, und in jedem Falle die besondre
Beschaffenheit des Jnstruments, oder der Stimme,
welche die Hauptparthie hat, vollkommen kennen;
denn darnach muß er sein Jnstrument zu stimmen,
und jeden Ton auf demselben zu temperiren, auch
jede Note in der erfoderlichen Stärke anzugeben
wissen.

Des Takts muß er so vollkommen Meister seyn,
daß er sich mit der größten Leichtigkeit allezeit nach
der Hauptstimme richtet, auch da, wo diese etwa
fehlet; weil durch kluges Nachgeben der begleitenden
Stimmen die Fehler selbst ziemlich bedekt werden
können.

Er muß so viel Geschmak haben, daß er jede
Schönheit der Melodie fühlt, und die Absichten des
Setzers bey jeder Note erkennt; denn nur alsdenn kann
er beurtheilen, was seine Töne eigentlich zur Schön-
heit des Ganzen beytragen, und mit welchem Nach-
druk oder welcher Leichtigkeit er jeden angeben soll,
wo er die Töne der Hauptstimme zu unterstützen,
oder selbigen blos zur Schattirung dienen soll.

Es ist ein großes Vorurtheil, zu glauben, daß
jeder gemeiner Spieler geschikt genug sey, eine be-
gleitende Stimme zu führen. Aus dem angeführ-
ten ist offenbar, daß dazu Leute erfodert werden,
die weit mehr verstehen müssen, als Noten lesen
und Noten treffen. Dennoch herrscht das berührte
Vorurtheil so sehr, daß eine gute Begleitung eine
eben so seltene Sache ist, als eine in allen Stüken
vollkommene Composition.

Ein vollkommner Begleiter ist vielleicht eine weit
seltnere Sache, als ein vollkommener Solospieler.
Da man also nur selten voraus setzen kann, daß
die Begleiter aus eigner Einsicht und aus Gefühl,
was ihnen oblieget, in Acht nehmen, so ist wenig-
stens darauf zu dringen, daß sie vorsichtig genug
werden, nichts zu verderben.

Davor können sie sich am sichersten verwahren,
wenn sie sich genau an dem halten, was der Tonse-
tzer ihrer Parthie vorgeschrieben hat; wenn sie nichts
dazu thun, und nichts davon weg lassen. Sie

müssen

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Beg
ein; dieſes aber treibt ſie mit gewaltigen Stoͤßen,
gegen die alle uͤbrige Vorſtellungen verſchwinden,
auf den einen Gegenſtand hin.

Endlich ſind auch die edle Ruhmbegierde, die
Luſt die Aufmerkſamkeit aller Menſchen auf ſich zu
ziehen, Liebe zum Vaterland, ein lebhaftes Ge-
fuͤhl der Rechtſchaffenheit, gute Mittel zur Be-
geiſterung. Kommen ſo ſtarke bewegende Kraͤfte
zu einem gluͤklichen Genie, und zu einem von ge-
ſunder Vernunft wol geſaͤttigten Verſtand, zu ei-
ner wolgeordneten Einbildungskraft, ſo entſtehen
alsdenn die herrlichſten Fruͤchte der Begeiſterung,
die in den Werken der groͤßten Kuͤnſtler bewun-
dert werden.

Begleitung.
(Muſik.)

Der Vortrag derjenigen Stimmen, welche die
Hauptſtimmen unterſtuͤtzen, beſonders des General-
baſſes, der die ganze Harmonie, worauf das Ton-
ſtuͤk beruhet, anſchlaͤgt. Jedes Tonſtuͤk hat, nach
der itzigen Beſchaffenheit der Muſik, eine oder meh-
rere Hauptſtimmen, die den eigentlichen Geſang
oder die Melodie fuͤhren. Dieſer werden insgemein
noch andre Stimmen beygefuͤgt, welche jene Haupt-
ſtimmen beſtaͤndig durch harmoniſche Toͤne beglei-
ten. Unter dieſen begleitenden Stimmen iſt der
Baß die vorzuͤglichſte; beſonders der Generalbaß,
der außer den Grundtoͤnen, worauf die ganze
Harmonie beruhet, auch noch die uͤbrigen zur vol-
len Harmonie gehoͤrigen Toͤne anſchlaͤgt, wie auf
Orgeln, Clavieren und Harfen geſchieht.

Durch die gute Begleitung erhaͤlt alſo ein Ton-
ſtuͤk ſeine wahre Vollkommenheit; ſo wie es durch
eine ſchlechte alle Schoͤnheit verlieren kann. Der
Tonſetzer ſchreibt jeder begleitenden Stimme alles,
was ihr zukommt, vor; nur in dem Generalbaß,
wird blos das Weſentlichſte angezeiget, vieles aber
der Ueberlegung des Spielers uͤberlaſſen; weil es
nicht moͤglich iſt, ihm jeden Ton zur Harmonie vor-
zuſchreiben, ohne ſeine ganze Parthie zu verwirren.

Was der Tonſetzer in Abſicht auf die begleiten-
den Stimmen bey dem Satze ſelbſt zu beobachten hat,
gehoͤrt nicht hieher, und iſt an den Orten, wo die
Regeln des Satzes entwikelt worden ſind, zu fin-
den. Die Rede iſt hier blos von dem, was dieje-
nigen zu beobachten haben, welchen die begleitenden
Stimmen zur Ausfuͤhrung aufgetragen ſind. Dieſen
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Beg
ſind (den Generalbaßiſten ausgenommen) alle Toͤne,
die ſie zu ſpielen haben, genau vorgeſchrieben; alſo
koͤmmt es bey ihrer Begleitung blos auf eine wol
uͤberlegte Ausfuͤhrung des vorgeſchriebenen an.

Aber auch dazu wird ſo viel Geſchmak und Ue-
berlegung erfodert, daß der vollkommene Begleiter
allemal den Namen eines Virtuoſen verdienet. Er
muß die Natur, und in jedem Falle die beſondre
Beſchaffenheit des Jnſtruments, oder der Stimme,
welche die Hauptparthie hat, vollkommen kennen;
denn darnach muß er ſein Jnſtrument zu ſtimmen,
und jeden Ton auf demſelben zu temperiren, auch
jede Note in der erfoderlichen Staͤrke anzugeben
wiſſen.

Des Takts muß er ſo vollkommen Meiſter ſeyn,
daß er ſich mit der groͤßten Leichtigkeit allezeit nach
der Hauptſtimme richtet, auch da, wo dieſe etwa
fehlet; weil durch kluges Nachgeben der begleitenden
Stimmen die Fehler ſelbſt ziemlich bedekt werden
koͤnnen.

Er muß ſo viel Geſchmak haben, daß er jede
Schoͤnheit der Melodie fuͤhlt, und die Abſichten des
Setzers bey jeder Note erkennt; denn nur alsdenn kann
er beurtheilen, was ſeine Toͤne eigentlich zur Schoͤn-
heit des Ganzen beytragen, und mit welchem Nach-
druk oder welcher Leichtigkeit er jeden angeben ſoll,
wo er die Toͤne der Hauptſtimme zu unterſtuͤtzen,
oder ſelbigen blos zur Schattirung dienen ſoll.

Es iſt ein großes Vorurtheil, zu glauben, daß
jeder gemeiner Spieler geſchikt genug ſey, eine be-
gleitende Stimme zu fuͤhren. Aus dem angefuͤhr-
ten iſt offenbar, daß dazu Leute erfodert werden,
die weit mehr verſtehen muͤſſen, als Noten leſen
und Noten treffen. Dennoch herrſcht das beruͤhrte
Vorurtheil ſo ſehr, daß eine gute Begleitung eine
eben ſo ſeltene Sache iſt, als eine in allen Stuͤken
vollkommene Compoſition.

Ein vollkommner Begleiter iſt vielleicht eine weit
ſeltnere Sache, als ein vollkommener Soloſpieler.
Da man alſo nur ſelten voraus ſetzen kann, daß
die Begleiter aus eigner Einſicht und aus Gefuͤhl,
was ihnen oblieget, in Acht nehmen, ſo iſt wenig-
ſtens darauf zu dringen, daß ſie vorſichtig genug
werden, nichts zu verderben.

Davor koͤnnen ſie ſich am ſicherſten verwahren,
wenn ſie ſich genau an dem halten, was der Tonſe-
tzer ihrer Parthie vorgeſchrieben hat; wenn ſie nichts
dazu thun, und nichts davon weg laſſen. Sie

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[142/0154] Beg Beg ein; dieſes aber treibt ſie mit gewaltigen Stoͤßen, gegen die alle uͤbrige Vorſtellungen verſchwinden, auf den einen Gegenſtand hin. Endlich ſind auch die edle Ruhmbegierde, die Luſt die Aufmerkſamkeit aller Menſchen auf ſich zu ziehen, Liebe zum Vaterland, ein lebhaftes Ge- fuͤhl der Rechtſchaffenheit, gute Mittel zur Be- geiſterung. Kommen ſo ſtarke bewegende Kraͤfte zu einem gluͤklichen Genie, und zu einem von ge- ſunder Vernunft wol geſaͤttigten Verſtand, zu ei- ner wolgeordneten Einbildungskraft, ſo entſtehen alsdenn die herrlichſten Fruͤchte der Begeiſterung, die in den Werken der groͤßten Kuͤnſtler bewun- dert werden. Begleitung. (Muſik.) Der Vortrag derjenigen Stimmen, welche die Hauptſtimmen unterſtuͤtzen, beſonders des General- baſſes, der die ganze Harmonie, worauf das Ton- ſtuͤk beruhet, anſchlaͤgt. Jedes Tonſtuͤk hat, nach der itzigen Beſchaffenheit der Muſik, eine oder meh- rere Hauptſtimmen, die den eigentlichen Geſang oder die Melodie fuͤhren. Dieſer werden insgemein noch andre Stimmen beygefuͤgt, welche jene Haupt- ſtimmen beſtaͤndig durch harmoniſche Toͤne beglei- ten. Unter dieſen begleitenden Stimmen iſt der Baß die vorzuͤglichſte; beſonders der Generalbaß, der außer den Grundtoͤnen, worauf die ganze Harmonie beruhet, auch noch die uͤbrigen zur vol- len Harmonie gehoͤrigen Toͤne anſchlaͤgt, wie auf Orgeln, Clavieren und Harfen geſchieht. Durch die gute Begleitung erhaͤlt alſo ein Ton- ſtuͤk ſeine wahre Vollkommenheit; ſo wie es durch eine ſchlechte alle Schoͤnheit verlieren kann. Der Tonſetzer ſchreibt jeder begleitenden Stimme alles, was ihr zukommt, vor; nur in dem Generalbaß, wird blos das Weſentlichſte angezeiget, vieles aber der Ueberlegung des Spielers uͤberlaſſen; weil es nicht moͤglich iſt, ihm jeden Ton zur Harmonie vor- zuſchreiben, ohne ſeine ganze Parthie zu verwirren. Was der Tonſetzer in Abſicht auf die begleiten- den Stimmen bey dem Satze ſelbſt zu beobachten hat, gehoͤrt nicht hieher, und iſt an den Orten, wo die Regeln des Satzes entwikelt worden ſind, zu fin- den. Die Rede iſt hier blos von dem, was dieje- nigen zu beobachten haben, welchen die begleitenden Stimmen zur Ausfuͤhrung aufgetragen ſind. Dieſen ſind (den Generalbaßiſten ausgenommen) alle Toͤne, die ſie zu ſpielen haben, genau vorgeſchrieben; alſo koͤmmt es bey ihrer Begleitung blos auf eine wol uͤberlegte Ausfuͤhrung des vorgeſchriebenen an. Aber auch dazu wird ſo viel Geſchmak und Ue- berlegung erfodert, daß der vollkommene Begleiter allemal den Namen eines Virtuoſen verdienet. Er muß die Natur, und in jedem Falle die beſondre Beſchaffenheit des Jnſtruments, oder der Stimme, welche die Hauptparthie hat, vollkommen kennen; denn darnach muß er ſein Jnſtrument zu ſtimmen, und jeden Ton auf demſelben zu temperiren, auch jede Note in der erfoderlichen Staͤrke anzugeben wiſſen. Des Takts muß er ſo vollkommen Meiſter ſeyn, daß er ſich mit der groͤßten Leichtigkeit allezeit nach der Hauptſtimme richtet, auch da, wo dieſe etwa fehlet; weil durch kluges Nachgeben der begleitenden Stimmen die Fehler ſelbſt ziemlich bedekt werden koͤnnen. Er muß ſo viel Geſchmak haben, daß er jede Schoͤnheit der Melodie fuͤhlt, und die Abſichten des Setzers bey jeder Note erkennt; denn nur alsdenn kann er beurtheilen, was ſeine Toͤne eigentlich zur Schoͤn- heit des Ganzen beytragen, und mit welchem Nach- druk oder welcher Leichtigkeit er jeden angeben ſoll, wo er die Toͤne der Hauptſtimme zu unterſtuͤtzen, oder ſelbigen blos zur Schattirung dienen ſoll. Es iſt ein großes Vorurtheil, zu glauben, daß jeder gemeiner Spieler geſchikt genug ſey, eine be- gleitende Stimme zu fuͤhren. Aus dem angefuͤhr- ten iſt offenbar, daß dazu Leute erfodert werden, die weit mehr verſtehen muͤſſen, als Noten leſen und Noten treffen. Dennoch herrſcht das beruͤhrte Vorurtheil ſo ſehr, daß eine gute Begleitung eine eben ſo ſeltene Sache iſt, als eine in allen Stuͤken vollkommene Compoſition. Ein vollkommner Begleiter iſt vielleicht eine weit ſeltnere Sache, als ein vollkommener Soloſpieler. Da man alſo nur ſelten voraus ſetzen kann, daß die Begleiter aus eigner Einſicht und aus Gefuͤhl, was ihnen oblieget, in Acht nehmen, ſo iſt wenig- ſtens darauf zu dringen, daß ſie vorſichtig genug werden, nichts zu verderben. Davor koͤnnen ſie ſich am ſicherſten verwahren, wenn ſie ſich genau an dem halten, was der Tonſe- tzer ihrer Parthie vorgeſchrieben hat; wenn ſie nichts dazu thun, und nichts davon weg laſſen. Sie muͤſſen

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 1. Leipzig, 1771, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie01_1771/154>, abgerufen am 22.11.2024.