Das Land wird offener und fruchtbarer; man trifft auch viele Weinberge an. Auf dieser Straße traf ich zum erstenmal auf den Aeckern abgeebnete und fest getretene Plätze an, auf denen das Korn ausge- droschen wird. Die Landstraßen sind verschiedentlich mit Maulbeerbäumen besetzt, die aber hier weder größer noch schöner sind, als in dem Brandenburgi- schen. Doch scheinet das Land fruchtbar zu seyn. Den Mittag hielt ich in Mont Luel, einem kleinen, aber sehr angenehm gelegenen Städtchen.
Unreinliche Gasthöfe.
Ungeachtet ich in einem großen und von außen vor den Thoren eine ziemliche Figur machenden Gasthofe abtrat, fand ich doch inwendig alles von einer ekelhaf- ten Unreinlichkeit, die überhaupt auf dieser Straße sehr gewöhnlich ist. Es ist schwer, sich einen deutli- chen Begriff von der Unempfindlichkeit zu machen, die das Volk in Frankreich gegen alles äußert, was Rein- lichkeit, Annehmlichkeit und Ordnung in den Woh- nungen betrifft. Diese mir unbegreifliche Unempfind- lichkeit habe ich überall vom Fort l'Ecluse an bis nach Marseille angetroffen.
Zu meiner Verwunderung über diese Unreinlich- keit und den gänzlichen Mangel an Bequemlichkeit kam noch eine andre hinzu. Jch traf auf der Straße nach der Provence unterschiedentliche Reisende von vor- nehmern Stand an, die ebenfalls gegen diese Unrein- lichkeit und Unbequemlichkeit unempfindlich schienen. Jch habe sie wenigstens nie darüber klagen, oder ir- gend eine Anmerkung darüber machen gehört. Bis- weilen preßte der Ekel mir einige unmuthige Worte
aus,
Tagebuch von einer nach Nizza
Den 18 October. Von St. Denis nach Lyon.
Das Land wird offener und fruchtbarer; man trifft auch viele Weinberge an. Auf dieſer Straße traf ich zum erſtenmal auf den Aeckern abgeebnete und feſt getretene Plaͤtze an, auf denen das Korn ausge- droſchen wird. Die Landſtraßen ſind verſchiedentlich mit Maulbeerbaͤumen beſetzt, die aber hier weder groͤßer noch ſchoͤner ſind, als in dem Brandenburgi- ſchen. Doch ſcheinet das Land fruchtbar zu ſeyn. Den Mittag hielt ich in Mont Luel, einem kleinen, aber ſehr angenehm gelegenen Staͤdtchen.
Unreinliche Gaſthoͤfe.
Ungeachtet ich in einem großen und von außen vor den Thoren eine ziemliche Figur machenden Gaſthofe abtrat, fand ich doch inwendig alles von einer ekelhaf- ten Unreinlichkeit, die uͤberhaupt auf dieſer Straße ſehr gewoͤhnlich iſt. Es iſt ſchwer, ſich einen deutli- chen Begriff von der Unempfindlichkeit zu machen, die das Volk in Frankreich gegen alles aͤußert, was Rein- lichkeit, Annehmlichkeit und Ordnung in den Woh- nungen betrifft. Dieſe mir unbegreifliche Unempfind- lichkeit habe ich uͤberall vom Fort l'Ecluſe an bis nach Marſeille angetroffen.
Zu meiner Verwunderung uͤber dieſe Unreinlich- keit und den gaͤnzlichen Mangel an Bequemlichkeit kam noch eine andre hinzu. Jch traf auf der Straße nach der Provence unterſchiedentliche Reiſende von vor- nehmern Stand an, die ebenfalls gegen dieſe Unrein- lichkeit und Unbequemlichkeit unempfindlich ſchienen. Jch habe ſie wenigſtens nie daruͤber klagen, oder ir- gend eine Anmerkung daruͤber machen gehoͤrt. Bis- weilen preßte der Ekel mir einige unmuthige Worte
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Tagebuch von einer nach Nizza
Den 18 October. Von St. Denis nach Lyon.
Das Land wird offener und fruchtbarer; man
trifft auch viele Weinberge an. Auf dieſer Straße
traf ich zum erſtenmal auf den Aeckern abgeebnete und
feſt getretene Plaͤtze an, auf denen das Korn ausge-
droſchen wird. Die Landſtraßen ſind verſchiedentlich
mit Maulbeerbaͤumen beſetzt, die aber hier weder
groͤßer noch ſchoͤner ſind, als in dem Brandenburgi-
ſchen. Doch ſcheinet das Land fruchtbar zu ſeyn.
Den Mittag hielt ich in Mont Luel, einem kleinen,
aber ſehr angenehm gelegenen Staͤdtchen.
Ungeachtet ich in einem großen und von außen vor
den Thoren eine ziemliche Figur machenden Gaſthofe
abtrat, fand ich doch inwendig alles von einer ekelhaf-
ten Unreinlichkeit, die uͤberhaupt auf dieſer Straße
ſehr gewoͤhnlich iſt. Es iſt ſchwer, ſich einen deutli-
chen Begriff von der Unempfindlichkeit zu machen, die
das Volk in Frankreich gegen alles aͤußert, was Rein-
lichkeit, Annehmlichkeit und Ordnung in den Woh-
nungen betrifft. Dieſe mir unbegreifliche Unempfind-
lichkeit habe ich uͤberall vom Fort l'Ecluſe an bis
nach Marſeille angetroffen.
Zu meiner Verwunderung uͤber dieſe Unreinlich-
keit und den gaͤnzlichen Mangel an Bequemlichkeit
kam noch eine andre hinzu. Jch traf auf der Straße
nach der Provence unterſchiedentliche Reiſende von vor-
nehmern Stand an, die ebenfalls gegen dieſe Unrein-
lichkeit und Unbequemlichkeit unempfindlich ſchienen.
Jch habe ſie wenigſtens nie daruͤber klagen, oder ir-
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/88>, abgerufen am 23.11.2024.
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