Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagebuch von einer nach Nizza
herunter bis an den See. Dieses Vorland zwischen
der Stadt und dem See besteht aus Weinbergen, et-
was Ackerland und ganz fürtrefflichen Wiesen, Gär-
ten und Landhäusern, und ist überall sehr reichlich mit
Obst- und Wallnußbäumen besetzt, welches ihm ein
überaus angenehmes Ansehen giebt. Es ist sehr un-
eben, und bestehet aus breiten natürlichen Terrassen,
und dazwischen liegenden tiefen Tobeln*), durch welche
verschiedene Bäche fließen; wie denn überhaupt auch
der ganze Fuß des Berges voll schöner Wasserquellen
ist. Dieses kleine Stück Land, das von der Höhe,
worauf die Stadt liegt, bis an den See nicht völlig
eine halbe Stunde breit und keine ganze Stunde lang
ist, hat so viel Mannichfaltigkeit, so viel besuchte und
lebhafte, auch einsame und völlig wilde Wege zum
Spazierengehen und Reiten, daß ein Fremder sich
lange Zeit nicht darein finden kann.

Die Stadt selbst ist auf eine Stelle gebaut, die
ehedem sehr wild muß ausgesehen haben; denn sie ist
auf drey ziemlich hohe und spitzige Hügel und die da-
zwischen liegenden beträchtlichen Tiefen gebaut.
Wenn man im Wagen in der Stadt herumfährt, so
muß man an verschiedenen Stellen ein Rad hemmen,
um ohne Gefahr die steilen Straßen herunter zu kom-
men. Noch beschwerlicher wird das Herauffahren.
Dessen ungeachtet hat die Stadt auch an sich selbst viel
Angenehmes, fürnehmlich in dem obern Theil um die
Gegend des großen Münsters, oder der ehemaligen
bischöflichen Kirche. An der Abendseite außerhalb

der
*) Ein Tobel ist ein schmales, an einem Berge herauf-
laufendes und oben in eine Spitze ausgehendes Thal,
oder Ravin.

Tagebuch von einer nach Nizza
herunter bis an den See. Dieſes Vorland zwiſchen
der Stadt und dem See beſteht aus Weinbergen, et-
was Ackerland und ganz fuͤrtrefflichen Wieſen, Gaͤr-
ten und Landhaͤuſern, und iſt uͤberall ſehr reichlich mit
Obſt- und Wallnußbaͤumen beſetzt, welches ihm ein
uͤberaus angenehmes Anſehen giebt. Es iſt ſehr un-
eben, und beſtehet aus breiten natuͤrlichen Terraſſen,
und dazwiſchen liegenden tiefen Tobeln*), durch welche
verſchiedene Baͤche fließen; wie denn uͤberhaupt auch
der ganze Fuß des Berges voll ſchoͤner Waſſerquellen
iſt. Dieſes kleine Stuͤck Land, das von der Hoͤhe,
worauf die Stadt liegt, bis an den See nicht voͤllig
eine halbe Stunde breit und keine ganze Stunde lang
iſt, hat ſo viel Mannichfaltigkeit, ſo viel beſuchte und
lebhafte, auch einſame und voͤllig wilde Wege zum
Spazierengehen und Reiten, daß ein Fremder ſich
lange Zeit nicht darein finden kann.

Die Stadt ſelbſt iſt auf eine Stelle gebaut, die
ehedem ſehr wild muß ausgeſehen haben; denn ſie iſt
auf drey ziemlich hohe und ſpitzige Huͤgel und die da-
zwiſchen liegenden betraͤchtlichen Tiefen gebaut.
Wenn man im Wagen in der Stadt herumfaͤhrt, ſo
muß man an verſchiedenen Stellen ein Rad hemmen,
um ohne Gefahr die ſteilen Straßen herunter zu kom-
men. Noch beſchwerlicher wird das Herauffahren.
Deſſen ungeachtet hat die Stadt auch an ſich ſelbſt viel
Angenehmes, fuͤrnehmlich in dem obern Theil um die
Gegend des großen Muͤnſters, oder der ehemaligen
biſchoͤflichen Kirche. An der Abendſeite außerhalb

der
*) Ein Tobel iſt ein ſchmales, an einem Berge herauf-
laufendes und oben in eine Spitze ausgehendes Thal,
oder Ravin.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="44"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/>
herunter bis an den See. Die&#x017F;es Vorland zwi&#x017F;chen<lb/>
der Stadt und dem See be&#x017F;teht aus Weinbergen, et-<lb/>
was Ackerland und ganz fu&#x0364;rtrefflichen Wie&#x017F;en, Ga&#x0364;r-<lb/>
ten und Landha&#x0364;u&#x017F;ern, und i&#x017F;t u&#x0364;berall &#x017F;ehr reichlich mit<lb/>
Ob&#x017F;t- und Wallnußba&#x0364;umen be&#x017F;etzt, welches ihm ein<lb/>
u&#x0364;beraus angenehmes An&#x017F;ehen giebt. Es i&#x017F;t &#x017F;ehr un-<lb/>
eben, und be&#x017F;tehet aus breiten natu&#x0364;rlichen Terra&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und dazwi&#x017F;chen liegenden tiefen <hi rendition="#fr">Tobeln</hi><note place="foot" n="*)">Ein Tobel i&#x017F;t ein &#x017F;chmales, an einem Berge herauf-<lb/>
laufendes und oben in eine Spitze ausgehendes Thal,<lb/>
oder Ravin.</note>, durch welche<lb/>
ver&#x017F;chiedene Ba&#x0364;che fließen; wie denn u&#x0364;berhaupt auch<lb/>
der ganze Fuß des Berges voll &#x017F;cho&#x0364;ner Wa&#x017F;&#x017F;erquellen<lb/>
i&#x017F;t. Die&#x017F;es kleine Stu&#x0364;ck Land, das von der Ho&#x0364;he,<lb/>
worauf die Stadt liegt, bis an den See nicht vo&#x0364;llig<lb/>
eine halbe Stunde breit und keine ganze Stunde lang<lb/>
i&#x017F;t, hat &#x017F;o viel Mannichfaltigkeit, &#x017F;o viel be&#x017F;uchte und<lb/>
lebhafte, auch ein&#x017F;ame und vo&#x0364;llig wilde Wege zum<lb/>
Spazierengehen und Reiten, daß ein Fremder &#x017F;ich<lb/>
lange Zeit nicht darein finden kann.</p><lb/>
          <p>Die Stadt &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t auf eine Stelle gebaut, die<lb/>
ehedem &#x017F;ehr wild muß ausge&#x017F;ehen haben; denn &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/>
auf drey ziemlich hohe und &#x017F;pitzige Hu&#x0364;gel und die da-<lb/>
zwi&#x017F;chen liegenden betra&#x0364;chtlichen Tiefen gebaut.<lb/>
Wenn man im Wagen in der Stadt herumfa&#x0364;hrt, &#x017F;o<lb/>
muß man an ver&#x017F;chiedenen Stellen ein Rad hemmen,<lb/>
um ohne Gefahr die &#x017F;teilen Straßen herunter zu kom-<lb/>
men. Noch be&#x017F;chwerlicher wird das Herauffahren.<lb/>
De&#x017F;&#x017F;en ungeachtet hat die Stadt auch an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t viel<lb/>
Angenehmes, fu&#x0364;rnehmlich in dem obern Theil um die<lb/>
Gegend des großen <hi rendition="#fr">Mu&#x0364;n&#x017F;ters,</hi> oder der ehemaligen<lb/>
bi&#x017F;cho&#x0364;flichen Kirche. An der Abend&#x017F;eite außerhalb<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0062] Tagebuch von einer nach Nizza herunter bis an den See. Dieſes Vorland zwiſchen der Stadt und dem See beſteht aus Weinbergen, et- was Ackerland und ganz fuͤrtrefflichen Wieſen, Gaͤr- ten und Landhaͤuſern, und iſt uͤberall ſehr reichlich mit Obſt- und Wallnußbaͤumen beſetzt, welches ihm ein uͤberaus angenehmes Anſehen giebt. Es iſt ſehr un- eben, und beſtehet aus breiten natuͤrlichen Terraſſen, und dazwiſchen liegenden tiefen Tobeln *), durch welche verſchiedene Baͤche fließen; wie denn uͤberhaupt auch der ganze Fuß des Berges voll ſchoͤner Waſſerquellen iſt. Dieſes kleine Stuͤck Land, das von der Hoͤhe, worauf die Stadt liegt, bis an den See nicht voͤllig eine halbe Stunde breit und keine ganze Stunde lang iſt, hat ſo viel Mannichfaltigkeit, ſo viel beſuchte und lebhafte, auch einſame und voͤllig wilde Wege zum Spazierengehen und Reiten, daß ein Fremder ſich lange Zeit nicht darein finden kann. Die Stadt ſelbſt iſt auf eine Stelle gebaut, die ehedem ſehr wild muß ausgeſehen haben; denn ſie iſt auf drey ziemlich hohe und ſpitzige Huͤgel und die da- zwiſchen liegenden betraͤchtlichen Tiefen gebaut. Wenn man im Wagen in der Stadt herumfaͤhrt, ſo muß man an verſchiedenen Stellen ein Rad hemmen, um ohne Gefahr die ſteilen Straßen herunter zu kom- men. Noch beſchwerlicher wird das Herauffahren. Deſſen ungeachtet hat die Stadt auch an ſich ſelbſt viel Angenehmes, fuͤrnehmlich in dem obern Theil um die Gegend des großen Muͤnſters, oder der ehemaligen biſchoͤflichen Kirche. An der Abendſeite außerhalb der *) Ein Tobel iſt ein ſchmales, an einem Berge herauf- laufendes und oben in eine Spitze ausgehendes Thal, oder Ravin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/62
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/62>, abgerufen am 06.05.2024.