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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von einer nach Nizza
Pais de
Vaud.

Jch kam in der Mittagsstunde in Murten an.
Hier nimmt das Pais de Vaud seinen Anfang: ein
Land, das seiner Schönheit und vieler natürlichen Vor-
züge halber berühmt ist. Hier ist auch die Gränze,
auf der die deutsche und welsche oder französische Spra-
che zusammenstoßen. Beyde Sprachen sind um
Murten herum dem Volke gleich geläufig; das Land
fängt hier an weniger bergig zu seyn. Jenseit Mur-
ten
ist eine ziemlich große Ebene; die Berge werden
zu niedrigern Hügeln und die Luft wird milder.

Bald nachdem man über diesen Ort heraus ist,
kommt man auf das durch die Niederlage des mäch-
tigen Herzogs Carl von Burgund berühmte Schlacht-
feld an dem Murter See, den man rechter Hand die-
ses Schlachtfeldes hat. An dem Wege sieht man ein
Gebäude in Form einer Capelle, in welchem die Ge-
beine des erschlagenen burgundischen Heeres zusam-
men gesammelt worden. Die schöne lateinische Auf-
schrift, welche die beyden Cantone Bern und Frey-
burg,
unter deren Herrschaft diese Gegend jetzt steht,
(nunc rerum dominae, wie sie in der Aufschrift sich
nennen,) bey Erneuerung des Gebäudes haben setzen
lassen, ist bekannt.

Unweit von dieser Capelle wohnet gegenwärtig auf
einem schönen und großen Landgute der berühmte Arzt
Herrenschwand, Geheimerrath und erster Leibarzt des
jetzigen Königs von Polen. Als vor etlichen Jahren
die noch immer anhaltenden Unruhen in Polen ange-
fangen hatten ernstlich zu werden, verließ er dies Land,
und begab sich hieher in sein Vaterland. Weil ich
bey seiner Durchreise durch Berlin Bekanntschaft mit
ihm gemacht hatte, und nun dicht an seinem Gute

vor-
Tagebuch von einer nach Nizza
Pais de
Vaud.

Jch kam in der Mittagsſtunde in Murten an.
Hier nimmt das Pais de Vaud ſeinen Anfang: ein
Land, das ſeiner Schoͤnheit und vieler natuͤrlichen Vor-
zuͤge halber beruͤhmt iſt. Hier iſt auch die Graͤnze,
auf der die deutſche und welſche oder franzoͤſiſche Spra-
che zuſammenſtoßen. Beyde Sprachen ſind um
Murten herum dem Volke gleich gelaͤufig; das Land
faͤngt hier an weniger bergig zu ſeyn. Jenſeit Mur-
ten
iſt eine ziemlich große Ebene; die Berge werden
zu niedrigern Huͤgeln und die Luft wird milder.

Bald nachdem man uͤber dieſen Ort heraus iſt,
kommt man auf das durch die Niederlage des maͤch-
tigen Herzogs Carl von Burgund beruͤhmte Schlacht-
feld an dem Murter See, den man rechter Hand die-
ſes Schlachtfeldes hat. An dem Wege ſieht man ein
Gebaͤude in Form einer Capelle, in welchem die Ge-
beine des erſchlagenen burgundiſchen Heeres zuſam-
men geſammelt worden. Die ſchoͤne lateiniſche Auf-
ſchrift, welche die beyden Cantone Bern und Frey-
burg,
unter deren Herrſchaft dieſe Gegend jetzt ſteht,
(nunc rerum dominae, wie ſie in der Aufſchrift ſich
nennen,) bey Erneuerung des Gebaͤudes haben ſetzen
laſſen, iſt bekannt.

Unweit von dieſer Capelle wohnet gegenwaͤrtig auf
einem ſchoͤnen und großen Landgute der beruͤhmte Arzt
Herrenſchwand, Geheimerrath und erſter Leibarzt des
jetzigen Koͤnigs von Polen. Als vor etlichen Jahren
die noch immer anhaltenden Unruhen in Polen ange-
fangen hatten ernſtlich zu werden, verließ er dies Land,
und begab ſich hieher in ſein Vaterland. Weil ich
bey ſeiner Durchreiſe durch Berlin Bekanntſchaft mit
ihm gemacht hatte, und nun dicht an ſeinem Gute

vor-
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[38/0056] Tagebuch von einer nach Nizza Jch kam in der Mittagsſtunde in Murten an. Hier nimmt das Pais de Vaud ſeinen Anfang: ein Land, das ſeiner Schoͤnheit und vieler natuͤrlichen Vor- zuͤge halber beruͤhmt iſt. Hier iſt auch die Graͤnze, auf der die deutſche und welſche oder franzoͤſiſche Spra- che zuſammenſtoßen. Beyde Sprachen ſind um Murten herum dem Volke gleich gelaͤufig; das Land faͤngt hier an weniger bergig zu ſeyn. Jenſeit Mur- ten iſt eine ziemlich große Ebene; die Berge werden zu niedrigern Huͤgeln und die Luft wird milder. Bald nachdem man uͤber dieſen Ort heraus iſt, kommt man auf das durch die Niederlage des maͤch- tigen Herzogs Carl von Burgund beruͤhmte Schlacht- feld an dem Murter See, den man rechter Hand die- ſes Schlachtfeldes hat. An dem Wege ſieht man ein Gebaͤude in Form einer Capelle, in welchem die Ge- beine des erſchlagenen burgundiſchen Heeres zuſam- men geſammelt worden. Die ſchoͤne lateiniſche Auf- ſchrift, welche die beyden Cantone Bern und Frey- burg, unter deren Herrſchaft dieſe Gegend jetzt ſteht, (nunc rerum dominae, wie ſie in der Aufſchrift ſich nennen,) bey Erneuerung des Gebaͤudes haben ſetzen laſſen, iſt bekannt. Unweit von dieſer Capelle wohnet gegenwaͤrtig auf einem ſchoͤnen und großen Landgute der beruͤhmte Arzt Herrenſchwand, Geheimerrath und erſter Leibarzt des jetzigen Koͤnigs von Polen. Als vor etlichen Jahren die noch immer anhaltenden Unruhen in Polen ange- fangen hatten ernſtlich zu werden, verließ er dies Land, und begab ſich hieher in ſein Vaterland. Weil ich bey ſeiner Durchreiſe durch Berlin Bekanntſchaft mit ihm gemacht hatte, und nun dicht an ſeinem Gute vor-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/56>, abgerufen am 06.05.2024.