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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
ren und Handeln für eigene Rechnung dem Landvolke
im Canton Zürich untersagt ist.

Jch will hier überhaupt anmerken, daß in die-
sem, so wie in den andern aristocratischen Cantonen
der Schweiz, das Landvolk, das die Dörfer bewohnt,
den Bauernstand ausmacht, der der eigentliche Unter-
than des Landesherrn ist, ob er gleich große Freyhei-
ten genießt. Aus diesem Stande kann keiner heraus-
treten, wie reich er auch mag geworden seyn. Nun
haben Freyheit, fruchtbarer Boden, Arbeitsamkeit
und Sparsamkeit manchen Landmann zum reichen
Manne gemacht. Da solche Leute sich denn doch we-
der in der Stadt niederlassen, noch auf dem Lande so-
genannte bürgerliche Nahrung treiben können, so blei-
ben einige bey ihrer ursprünglichen Lebensart, und trei-
ben nichts als den Ackerbau; andere suchen, so weit
es ihnen erlaubt ist, etwa einen Handel mit Wein,
Korn etc. anzufangen. Es giebt auch einige, die
blos als Capitalisten von den Zinsen ihrer Gelder le-
ben. Verschiedene studieren die Arzneywissenschaft,
und werden praktische Aerzte oder Wundärzte auf dem
Lande. Die Regierung hat auch einige Ehrenstellen
für solche Leute offen gelassen. Einige werden Be-
fehlshaber in der Landmiliz, andere Untervögte und
Richter bey den Landvogteygerichten u. s. f. Unter
diesem vornehmen Landvolke trifft man oft Leute von
feiner Lebensart und guten Kenntnissen an. Jch ha-
be einen gekannt, der eine schöne Bibliothek und eine
ansehnliche Sammlung von Kupferstichen hatte, und
dessen Lebensart weit über die gieng, die ich in Nor-
den von Deutschland in mehr als einem adelichen Hau-
se gesehen habe.

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B b 4

von Nizza nach Deutſchland.
ren und Handeln fuͤr eigene Rechnung dem Landvolke
im Canton Zuͤrich unterſagt iſt.

Jch will hier uͤberhaupt anmerken, daß in die-
ſem, ſo wie in den andern ariſtocratiſchen Cantonen
der Schweiz, das Landvolk, das die Doͤrfer bewohnt,
den Bauernſtand ausmacht, der der eigentliche Unter-
than des Landesherrn iſt, ob er gleich große Freyhei-
ten genießt. Aus dieſem Stande kann keiner heraus-
treten, wie reich er auch mag geworden ſeyn. Nun
haben Freyheit, fruchtbarer Boden, Arbeitſamkeit
und Sparſamkeit manchen Landmann zum reichen
Manne gemacht. Da ſolche Leute ſich denn doch we-
der in der Stadt niederlaſſen, noch auf dem Lande ſo-
genannte buͤrgerliche Nahrung treiben koͤnnen, ſo blei-
ben einige bey ihrer urſpruͤnglichen Lebensart, und trei-
ben nichts als den Ackerbau; andere ſuchen, ſo weit
es ihnen erlaubt iſt, etwa einen Handel mit Wein,
Korn ꝛc. anzufangen. Es giebt auch einige, die
blos als Capitaliſten von den Zinſen ihrer Gelder le-
ben. Verſchiedene ſtudieren die Arzneywiſſenſchaft,
und werden praktiſche Aerzte oder Wundaͤrzte auf dem
Lande. Die Regierung hat auch einige Ehrenſtellen
fuͤr ſolche Leute offen gelaſſen. Einige werden Be-
fehlshaber in der Landmiliz, andere Untervoͤgte und
Richter bey den Landvogteygerichten u. ſ. f. Unter
dieſem vornehmen Landvolke trifft man oft Leute von
feiner Lebensart und guten Kenntniſſen an. Jch ha-
be einen gekannt, der eine ſchoͤne Bibliothek und eine
anſehnliche Sammlung von Kupferſtichen hatte, und
deſſen Lebensart weit uͤber die gieng, die ich in Nor-
den von Deutſchland in mehr als einem adelichen Hau-
ſe geſehen habe.

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[391/0411] von Nizza nach Deutſchland. ren und Handeln fuͤr eigene Rechnung dem Landvolke im Canton Zuͤrich unterſagt iſt. Jch will hier uͤberhaupt anmerken, daß in die- ſem, ſo wie in den andern ariſtocratiſchen Cantonen der Schweiz, das Landvolk, das die Doͤrfer bewohnt, den Bauernſtand ausmacht, der der eigentliche Unter- than des Landesherrn iſt, ob er gleich große Freyhei- ten genießt. Aus dieſem Stande kann keiner heraus- treten, wie reich er auch mag geworden ſeyn. Nun haben Freyheit, fruchtbarer Boden, Arbeitſamkeit und Sparſamkeit manchen Landmann zum reichen Manne gemacht. Da ſolche Leute ſich denn doch we- der in der Stadt niederlaſſen, noch auf dem Lande ſo- genannte buͤrgerliche Nahrung treiben koͤnnen, ſo blei- ben einige bey ihrer urſpruͤnglichen Lebensart, und trei- ben nichts als den Ackerbau; andere ſuchen, ſo weit es ihnen erlaubt iſt, etwa einen Handel mit Wein, Korn ꝛc. anzufangen. Es giebt auch einige, die blos als Capitaliſten von den Zinſen ihrer Gelder le- ben. Verſchiedene ſtudieren die Arzneywiſſenſchaft, und werden praktiſche Aerzte oder Wundaͤrzte auf dem Lande. Die Regierung hat auch einige Ehrenſtellen fuͤr ſolche Leute offen gelaſſen. Einige werden Be- fehlshaber in der Landmiliz, andere Untervoͤgte und Richter bey den Landvogteygerichten u. ſ. f. Unter dieſem vornehmen Landvolke trifft man oft Leute von feiner Lebensart und guten Kenntniſſen an. Jch ha- be einen gekannt, der eine ſchoͤne Bibliothek und eine anſehnliche Sammlung von Kupferſtichen hatte, und deſſen Lebensart weit uͤber die gieng, die ich in Nor- den von Deutſchland in mehr als einem adelichen Hau- ſe geſehen habe. Jn- B b 4

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/411>, abgerufen am 04.05.2024.