so gründlich und so reif ist die Einsicht dieser Leute in die innere Beschaffenheit der Natur.
Aber es ist Zeit, daß ich die Erzählung von mei- ner Reise fortsetze. Jch hoffte, diese Nacht mich von der heutigen schweren Tagereise zu erholen, und freute mich nunmehr, diesseits der Alpen zu seyn, und weniger mühsame Wege vor mir zu haben. Aber mein schleichendes Fieber hatte sich heute stark vermeh- ret, und ich brachte die Nacht in Unruh und Verwir- rung der Lebensgeister zu. Zum Glück hatte ich den folgenden Tag eine zum Ausruhen sehr bequeme Ta- gereise vor mir.
Den 4 Junius. Reise von dem Dorfe Am Stäg nach Altorf, und von da über den Vierwald- städtensee nach Lucern; etwa zwölf Stunden weit.
Der Weg von hier nach Altorf geht durch dasAbreise vom Dorfe Am Stäg. ebene breite Reußthal, durch welches die Reuß nach dem See der sogenannten vier Waldstädte, Uri, Schweiz, Unterwalden und Lucern hinläuft, und an diesem See endigt sich auch das Thal. Es ist sehr fruchtbar, und hat besonders fürtreffliche Wiesen; am Wege viel schöne Obstbäume und herrliche Wall- nußbäume. Man sagt insgemein, daß der Wall- nußbaum keine andere Gewächse unter sich leide, und daß sein Schatten schädlich sey. Davon wird man hier nichts gewahr. Jch habe sogar auf diesem We- ge einen mächtigen süßen Kirschbaum von trefflichem Stamm und Krone angetroffen, der dicht am Stam- me eines ebenfalls sehr großen Wallnußbaumes em-
por
von Nizza nach Deutſchland.
ſo gruͤndlich und ſo reif iſt die Einſicht dieſer Leute in die innere Beſchaffenheit der Natur.
Aber es iſt Zeit, daß ich die Erzaͤhlung von mei- ner Reiſe fortſetze. Jch hoffte, dieſe Nacht mich von der heutigen ſchweren Tagereiſe zu erholen, und freute mich nunmehr, dieſſeits der Alpen zu ſeyn, und weniger muͤhſame Wege vor mir zu haben. Aber mein ſchleichendes Fieber hatte ſich heute ſtark vermeh- ret, und ich brachte die Nacht in Unruh und Verwir- rung der Lebensgeiſter zu. Zum Gluͤck hatte ich den folgenden Tag eine zum Ausruhen ſehr bequeme Ta- gereiſe vor mir.
Den 4 Junius. Reiſe von dem Dorfe Am Staͤg nach Altorf, und von da uͤber den Vierwald- ſtaͤdtenſee nach Lucern; etwa zwoͤlf Stunden weit.
Der Weg von hier nach Altorf geht durch dasAbreiſe vom Dorfe Am Staͤg. ebene breite Reußthal, durch welches die Reuß nach dem See der ſogenannten vier Waldſtaͤdte, Uri, Schweiz, Unterwalden und Lucern hinlaͤuft, und an dieſem See endigt ſich auch das Thal. Es iſt ſehr fruchtbar, und hat beſonders fuͤrtreffliche Wieſen; am Wege viel ſchoͤne Obſtbaͤume und herrliche Wall- nußbaͤume. Man ſagt insgemein, daß der Wall- nußbaum keine andere Gewaͤchſe unter ſich leide, und daß ſein Schatten ſchaͤdlich ſey. Davon wird man hier nichts gewahr. Jch habe ſogar auf dieſem We- ge einen maͤchtigen ſuͤßen Kirſchbaum von trefflichem Stamm und Krone angetroffen, der dicht am Stam- me eines ebenfalls ſehr großen Wallnußbaumes em-
por
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><p><pbfacs="#f0399"n="379"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">von Nizza nach Deutſchland.</hi></fw><lb/>ſo gruͤndlich und ſo reif iſt die Einſicht dieſer Leute in<lb/>
die innere Beſchaffenheit der Natur.</p><lb/><p>Aber es iſt Zeit, daß ich die Erzaͤhlung von mei-<lb/>
ner Reiſe fortſetze. Jch hoffte, dieſe Nacht mich<lb/>
von der heutigen ſchweren Tagereiſe zu erholen, und<lb/>
freute mich nunmehr, dieſſeits der Alpen zu ſeyn, und<lb/>
weniger muͤhſame Wege vor mir zu haben. Aber<lb/>
mein ſchleichendes Fieber hatte ſich heute ſtark vermeh-<lb/>
ret, und ich brachte die Nacht in Unruh und Verwir-<lb/>
rung der Lebensgeiſter zu. Zum Gluͤck hatte ich den<lb/>
folgenden Tag eine zum Ausruhen ſehr bequeme Ta-<lb/>
gereiſe vor mir.</p></div><lb/><divtype="diaryEntry"n="2"><head>Den 4 Junius. Reiſe von dem Dorfe <hirendition="#fr">Am Staͤg</hi><lb/>
nach <hirendition="#fr">Altorf,</hi> und von da uͤber den <hirendition="#fr">Vierwald-<lb/>ſtaͤdtenſee</hi> nach <hirendition="#fr">Lucern;</hi> etwa zwoͤlf Stunden<lb/>
weit.</head><lb/><p>Der Weg von hier nach <hirendition="#fr">Altorf</hi> geht durch das<noteplace="right">Abreiſe vom<lb/>
Dorfe Am<lb/>
Staͤg.</note><lb/>
ebene breite <hirendition="#fr">Reußthal,</hi> durch welches die <hirendition="#fr">Reuß</hi> nach<lb/>
dem See der ſogenannten vier Waldſtaͤdte, <hirendition="#fr">Uri,<lb/>
Schweiz, Unterwalden</hi> und <hirendition="#fr">Lucern</hi> hinlaͤuft, und<lb/>
an dieſem See endigt ſich auch das Thal. Es iſt ſehr<lb/>
fruchtbar, und hat beſonders fuͤrtreffliche Wieſen;<lb/>
am Wege viel ſchoͤne Obſtbaͤume und herrliche Wall-<lb/>
nußbaͤume. Man ſagt insgemein, daß der Wall-<lb/>
nußbaum keine andere Gewaͤchſe unter ſich leide, und<lb/>
daß ſein Schatten ſchaͤdlich ſey. Davon wird man<lb/>
hier nichts gewahr. Jch habe ſogar auf dieſem We-<lb/>
ge einen maͤchtigen ſuͤßen Kirſchbaum von trefflichem<lb/>
Stamm und Krone angetroffen, der dicht am Stam-<lb/>
me eines ebenfalls ſehr großen Wallnußbaumes em-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">por</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[379/0399]
von Nizza nach Deutſchland.
ſo gruͤndlich und ſo reif iſt die Einſicht dieſer Leute in
die innere Beſchaffenheit der Natur.
Aber es iſt Zeit, daß ich die Erzaͤhlung von mei-
ner Reiſe fortſetze. Jch hoffte, dieſe Nacht mich
von der heutigen ſchweren Tagereiſe zu erholen, und
freute mich nunmehr, dieſſeits der Alpen zu ſeyn, und
weniger muͤhſame Wege vor mir zu haben. Aber
mein ſchleichendes Fieber hatte ſich heute ſtark vermeh-
ret, und ich brachte die Nacht in Unruh und Verwir-
rung der Lebensgeiſter zu. Zum Gluͤck hatte ich den
folgenden Tag eine zum Ausruhen ſehr bequeme Ta-
gereiſe vor mir.
Den 4 Junius. Reiſe von dem Dorfe Am Staͤg
nach Altorf, und von da uͤber den Vierwald-
ſtaͤdtenſee nach Lucern; etwa zwoͤlf Stunden
weit.
Der Weg von hier nach Altorf geht durch das
ebene breite Reußthal, durch welches die Reuß nach
dem See der ſogenannten vier Waldſtaͤdte, Uri,
Schweiz, Unterwalden und Lucern hinlaͤuft, und
an dieſem See endigt ſich auch das Thal. Es iſt ſehr
fruchtbar, und hat beſonders fuͤrtreffliche Wieſen;
am Wege viel ſchoͤne Obſtbaͤume und herrliche Wall-
nußbaͤume. Man ſagt insgemein, daß der Wall-
nußbaum keine andere Gewaͤchſe unter ſich leide, und
daß ſein Schatten ſchaͤdlich ſey. Davon wird man
hier nichts gewahr. Jch habe ſogar auf dieſem We-
ge einen maͤchtigen ſuͤßen Kirſchbaum von trefflichem
Stamm und Krone angetroffen, der dicht am Stam-
me eines ebenfalls ſehr großen Wallnußbaumes em-
por
Abreiſe vom
Dorfe Am
Staͤg.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/399>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.