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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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gethanen Reise.
der hinlaufende Straßen: die obere, dicht am Fuß
der Berge; und die untere, welche in einer geringen
Entfernung von den Bergen ganz durch die Ebene
geht. Diese nahm ich jetzt, da ich ehedem schon
durch die andere gereist war, die ich doch noch für an-
genehmer als die untere halte. Die schönen, über-
all bewachsenen, hier und da mit alten, theils noch
wohnbaren, theils verlassenen oder zerstörten Schlös-
sern besetzten Berge einerseits, dann die höchstfrucht-
bare Ebene anderseits, geben dem Auge eine große Man-
nichfaltigkeit der schönsten Gemälde zu sehen. Die
Landstraße selbst, so wie auch alle Nebenstraßen, sind
durchaus mit hohen sehr waldigen Wallnußbäumen,
auch andern Obstbäumen besetzt. Selbst die Felder
sind an vielen Orten mit fürtrefflichen Obstbäumen be-
pflanzt. Dadurch bekommt das ganze Land das An-
sehen eines fruchtbaren Gartens. Jetzt war eben
schönes, aber sehr heißes Wetter. Das Fahrenhei-
tische Thermometer stieg im Schatten in freyer Luft
über 80 Grade.

Diese Landschaft ist, so viel ich weiß, die gelin-
deste in ganz Deutschland; vielleicht deswegen, weil
die Reihe Berge, deren ich bereits erwähnt habe, die
kalten Ost- und Nordostwinde abhält. Man sieht des-
wegen hier den Castanienbaum, der an andern Orten
Deutschlands nur als eine Seltenheit gepflanzt wird,
unter den gewöhnlichen Fruchtbäumen. Daß keine
Maulbeerbäume zum Seidenbau hier angelegt sind,
befremdete mich. Außerdem scheint es mir, daß
das Land die große Menge der Wallnußbäume besser
nutzen könnte, wenn man sich die Mühe gäbe, feinesNußöl.
Oel für den Gebrauch der Tafel, anstatt des schlechten

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gethanen Reiſe.
der hinlaufende Straßen: die obere, dicht am Fuß
der Berge; und die untere, welche in einer geringen
Entfernung von den Bergen ganz durch die Ebene
geht. Dieſe nahm ich jetzt, da ich ehedem ſchon
durch die andere gereiſt war, die ich doch noch fuͤr an-
genehmer als die untere halte. Die ſchoͤnen, uͤber-
all bewachſenen, hier und da mit alten, theils noch
wohnbaren, theils verlaſſenen oder zerſtoͤrten Schloͤſ-
ſern beſetzten Berge einerſeits, dann die hoͤchſtfrucht-
bare Ebene anderſeits, geben dem Auge eine große Man-
nichfaltigkeit der ſchoͤnſten Gemaͤlde zu ſehen. Die
Landſtraße ſelbſt, ſo wie auch alle Nebenſtraßen, ſind
durchaus mit hohen ſehr waldigen Wallnußbaͤumen,
auch andern Obſtbaͤumen beſetzt. Selbſt die Felder
ſind an vielen Orten mit fuͤrtrefflichen Obſtbaͤumen be-
pflanzt. Dadurch bekommt das ganze Land das An-
ſehen eines fruchtbaren Gartens. Jetzt war eben
ſchoͤnes, aber ſehr heißes Wetter. Das Fahrenhei-
tiſche Thermometer ſtieg im Schatten in freyer Luft
uͤber 80 Grade.

Dieſe Landſchaft iſt, ſo viel ich weiß, die gelin-
deſte in ganz Deutſchland; vielleicht deswegen, weil
die Reihe Berge, deren ich bereits erwaͤhnt habe, die
kalten Oſt- und Nordoſtwinde abhaͤlt. Man ſieht des-
wegen hier den Caſtanienbaum, der an andern Orten
Deutſchlands nur als eine Seltenheit gepflanzt wird,
unter den gewoͤhnlichen Fruchtbaͤumen. Daß keine
Maulbeerbaͤume zum Seidenbau hier angelegt ſind,
befremdete mich. Außerdem ſcheint es mir, daß
das Land die große Menge der Wallnußbaͤume beſſer
nutzen koͤnnte, wenn man ſich die Muͤhe gaͤbe, feinesNußoͤl.
Oel fuͤr den Gebrauch der Tafel, anſtatt des ſchlechten

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[19/0037] gethanen Reiſe. der hinlaufende Straßen: die obere, dicht am Fuß der Berge; und die untere, welche in einer geringen Entfernung von den Bergen ganz durch die Ebene geht. Dieſe nahm ich jetzt, da ich ehedem ſchon durch die andere gereiſt war, die ich doch noch fuͤr an- genehmer als die untere halte. Die ſchoͤnen, uͤber- all bewachſenen, hier und da mit alten, theils noch wohnbaren, theils verlaſſenen oder zerſtoͤrten Schloͤſ- ſern beſetzten Berge einerſeits, dann die hoͤchſtfrucht- bare Ebene anderſeits, geben dem Auge eine große Man- nichfaltigkeit der ſchoͤnſten Gemaͤlde zu ſehen. Die Landſtraße ſelbſt, ſo wie auch alle Nebenſtraßen, ſind durchaus mit hohen ſehr waldigen Wallnußbaͤumen, auch andern Obſtbaͤumen beſetzt. Selbſt die Felder ſind an vielen Orten mit fuͤrtrefflichen Obſtbaͤumen be- pflanzt. Dadurch bekommt das ganze Land das An- ſehen eines fruchtbaren Gartens. Jetzt war eben ſchoͤnes, aber ſehr heißes Wetter. Das Fahrenhei- tiſche Thermometer ſtieg im Schatten in freyer Luft uͤber 80 Grade. Dieſe Landſchaft iſt, ſo viel ich weiß, die gelin- deſte in ganz Deutſchland; vielleicht deswegen, weil die Reihe Berge, deren ich bereits erwaͤhnt habe, die kalten Oſt- und Nordoſtwinde abhaͤlt. Man ſieht des- wegen hier den Caſtanienbaum, der an andern Orten Deutſchlands nur als eine Seltenheit gepflanzt wird, unter den gewoͤhnlichen Fruchtbaͤumen. Daß keine Maulbeerbaͤume zum Seidenbau hier angelegt ſind, befremdete mich. Außerdem ſcheint es mir, daß das Land die große Menge der Wallnußbaͤume beſſer nutzen koͤnnte, wenn man ſich die Muͤhe gaͤbe, feines Oel fuͤr den Gebrauch der Tafel, anſtatt des ſchlechten Oe- Nußoͤl. B 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/37>, abgerufen am 28.03.2024.