Gegenden der Provinz nach der Hauptstadt führenden geraden Landstraßen sind alle nach der Schnur gezogen, und an beyden Seiten mit doppelten, auch dreyfachen Reihen der schönsten Bäume besetzt. Hier und da sieht man kleinere und größere, in der schönsten Ord- nung gepflanzte Wäldchen von ungemein hohen Pap- peln. Gegen Abend traf ich in Turin ein.
Jch will hier noch einige auf dieser Straße ge- machte Beobachtungen nachholen. Auf dem ganzen Wege trifft man keinen unbebauten Fleck Landes an, nur ein paar Stellen ausgenommen, wo etwas weni- ges als Anger für bloße Weide gelassen worden. Wo etwa ein kleines Stück Land etwas rauher als das gewöhnliche ist, da hat man kleine Wälder von Pap- peln, Espen und Weiden gepflanzt. Dies sind die einzigen Holzungen, die man auf dieser Ebene sieht. Man würde kaum begreifen, wo der hiesige Land- mann sein zum täglichen Gebrauch nöthiges Holz her- nähme, wenn man nicht bald die sorgfältigste Wirth- schaft mit dieser Nothdürftigkeit wahrnähme. Jch habe schon angemerkt, daß alle Aecker und Wiesen mit Bäumen umsetzt sind. Die Borte der kleinen Bäche sind ebenfalls dicht damit bepflanzt. Alle die- se Bäume werden von Zeit zu Zeit geköpft. Die ab- gehauenen Aeste und Zweige nebst den jährlich abge- schnittenen Weinranken sind das Brennholz des Land- manns.
Nirgends habe ich von Seiten des Landmanns so viel Fürsorge in Ansehung der Anpflanzung und Un- terhaltung der Bäume gesehen, als hier. Alle jun- gen Bäume werden mit Stricken, die aus Stroh ge- flochten sind, durch die ganze Höhe des Stammes be-
wun-
T 2
von Nizza nach Deutſchland.
Gegenden der Provinz nach der Hauptſtadt fuͤhrenden geraden Landſtraßen ſind alle nach der Schnur gezogen, und an beyden Seiten mit doppelten, auch dreyfachen Reihen der ſchoͤnſten Baͤume beſetzt. Hier und da ſieht man kleinere und groͤßere, in der ſchoͤnſten Ord- nung gepflanzte Waͤldchen von ungemein hohen Pap- peln. Gegen Abend traf ich in Turin ein.
Jch will hier noch einige auf dieſer Straße ge- machte Beobachtungen nachholen. Auf dem ganzen Wege trifft man keinen unbebauten Fleck Landes an, nur ein paar Stellen ausgenommen, wo etwas weni- ges als Anger fuͤr bloße Weide gelaſſen worden. Wo etwa ein kleines Stuͤck Land etwas rauher als das gewoͤhnliche iſt, da hat man kleine Waͤlder von Pap- peln, Eſpen und Weiden gepflanzt. Dies ſind die einzigen Holzungen, die man auf dieſer Ebene ſieht. Man wuͤrde kaum begreifen, wo der hieſige Land- mann ſein zum taͤglichen Gebrauch noͤthiges Holz her- naͤhme, wenn man nicht bald die ſorgfaͤltigſte Wirth- ſchaft mit dieſer Nothduͤrftigkeit wahrnaͤhme. Jch habe ſchon angemerkt, daß alle Aecker und Wieſen mit Baͤumen umſetzt ſind. Die Borte der kleinen Baͤche ſind ebenfalls dicht damit bepflanzt. Alle die- ſe Baͤume werden von Zeit zu Zeit gekoͤpft. Die ab- gehauenen Aeſte und Zweige nebſt den jaͤhrlich abge- ſchnittenen Weinranken ſind das Brennholz des Land- manns.
Nirgends habe ich von Seiten des Landmanns ſo viel Fuͤrſorge in Anſehung der Anpflanzung und Un- terhaltung der Baͤume geſehen, als hier. Alle jun- gen Baͤume werden mit Stricken, die aus Stroh ge- flochten ſind, durch die ganze Hoͤhe des Stammes be-
wun-
T 2
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><p><pbfacs="#f0311"n="291"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">von Nizza nach Deutſchland.</hi></fw><lb/>
Gegenden der Provinz nach der Hauptſtadt fuͤhrenden<lb/>
geraden Landſtraßen ſind alle nach der Schnur gezogen,<lb/>
und an beyden Seiten mit doppelten, auch dreyfachen<lb/>
Reihen der ſchoͤnſten Baͤume beſetzt. Hier und da<lb/>ſieht man kleinere und groͤßere, in der ſchoͤnſten Ord-<lb/>
nung gepflanzte Waͤldchen von ungemein hohen Pap-<lb/>
peln. Gegen Abend traf ich in <hirendition="#fr">Turin</hi> ein.</p><lb/><p>Jch will hier noch einige auf dieſer Straße ge-<lb/>
machte Beobachtungen nachholen. Auf dem ganzen<lb/>
Wege trifft man keinen unbebauten Fleck Landes an,<lb/>
nur ein paar Stellen ausgenommen, wo etwas weni-<lb/>
ges als Anger fuͤr bloße Weide gelaſſen worden.<lb/>
Wo etwa ein kleines Stuͤck Land etwas rauher als das<lb/>
gewoͤhnliche iſt, da hat man kleine Waͤlder von Pap-<lb/>
peln, Eſpen und Weiden gepflanzt. Dies ſind die<lb/>
einzigen Holzungen, die man auf dieſer Ebene ſieht.<lb/>
Man wuͤrde kaum begreifen, wo der hieſige Land-<lb/>
mann ſein zum taͤglichen Gebrauch noͤthiges Holz her-<lb/>
naͤhme, wenn man nicht bald die ſorgfaͤltigſte Wirth-<lb/>ſchaft mit dieſer Nothduͤrftigkeit wahrnaͤhme. Jch<lb/>
habe ſchon angemerkt, daß alle Aecker und Wieſen<lb/>
mit Baͤumen umſetzt ſind. Die Borte der kleinen<lb/>
Baͤche ſind ebenfalls dicht damit bepflanzt. Alle die-<lb/>ſe Baͤume werden von Zeit zu Zeit gekoͤpft. Die ab-<lb/>
gehauenen Aeſte und Zweige nebſt den jaͤhrlich abge-<lb/>ſchnittenen Weinranken ſind das Brennholz des Land-<lb/>
manns.</p><lb/><p>Nirgends habe ich von Seiten des Landmanns ſo<lb/>
viel Fuͤrſorge in Anſehung der Anpflanzung und Un-<lb/>
terhaltung der Baͤume geſehen, als hier. Alle jun-<lb/>
gen Baͤume werden mit Stricken, die aus Stroh ge-<lb/>
flochten ſind, durch die ganze Hoͤhe des Stammes be-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">wun-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[291/0311]
von Nizza nach Deutſchland.
Gegenden der Provinz nach der Hauptſtadt fuͤhrenden
geraden Landſtraßen ſind alle nach der Schnur gezogen,
und an beyden Seiten mit doppelten, auch dreyfachen
Reihen der ſchoͤnſten Baͤume beſetzt. Hier und da
ſieht man kleinere und groͤßere, in der ſchoͤnſten Ord-
nung gepflanzte Waͤldchen von ungemein hohen Pap-
peln. Gegen Abend traf ich in Turin ein.
Jch will hier noch einige auf dieſer Straße ge-
machte Beobachtungen nachholen. Auf dem ganzen
Wege trifft man keinen unbebauten Fleck Landes an,
nur ein paar Stellen ausgenommen, wo etwas weni-
ges als Anger fuͤr bloße Weide gelaſſen worden.
Wo etwa ein kleines Stuͤck Land etwas rauher als das
gewoͤhnliche iſt, da hat man kleine Waͤlder von Pap-
peln, Eſpen und Weiden gepflanzt. Dies ſind die
einzigen Holzungen, die man auf dieſer Ebene ſieht.
Man wuͤrde kaum begreifen, wo der hieſige Land-
mann ſein zum taͤglichen Gebrauch noͤthiges Holz her-
naͤhme, wenn man nicht bald die ſorgfaͤltigſte Wirth-
ſchaft mit dieſer Nothduͤrftigkeit wahrnaͤhme. Jch
habe ſchon angemerkt, daß alle Aecker und Wieſen
mit Baͤumen umſetzt ſind. Die Borte der kleinen
Baͤche ſind ebenfalls dicht damit bepflanzt. Alle die-
ſe Baͤume werden von Zeit zu Zeit gekoͤpft. Die ab-
gehauenen Aeſte und Zweige nebſt den jaͤhrlich abge-
ſchnittenen Weinranken ſind das Brennholz des Land-
manns.
Nirgends habe ich von Seiten des Landmanns ſo
viel Fuͤrſorge in Anſehung der Anpflanzung und Un-
terhaltung der Baͤume geſehen, als hier. Alle jun-
gen Baͤume werden mit Stricken, die aus Stroh ge-
flochten ſind, durch die ganze Hoͤhe des Stammes be-
wun-
T 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/311>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.