bare Lustbarkeiten; keine Schauspiele; keine Tafeln von Aufwand, als etwa zur Seltenheit bey ganz be- sondern Veranlassungen. Es sind drey oder vier ade- liche Häuser, bey denen im Carneval der übrige Adel des Abends in die sogenannten Conversationi zusam- menkommt, wo man sich mit Gespräch, mit Spie- len, auch bisweilen mit Tanzen die Zeit vertreibt. Auch werden zu derselben Zeit wöchentlich in dazu ge- mietheten Sälen, in die man den Eingang bezahlt, maskirte Bälle gegeben.
Ansehnlichere königliche Bediente und auch die Advocaten rechnen sich selbst mit zum Adel, wenn sie gleich nicht von adelicher Geburt sind, und unterschei- den sich von den andern nicht adelichen durch das Tra- gen des Degens, den man hier für ein Zeichen des Adels hält; deswegen auch kein Edelmann, so elend und arm er auch ist, und so ein abgenutztes und zerris- senes Kleid er trägt, ohne Degen ausgeht. Jch ha- be solche gesehen, die so alte und abgenutzte Degen trugen, daß die Scheide nicht mehr daran halten woll- te. Da sie das Vermögen nicht hatten, eine neue machen zu lassen, banden sie die alte mit Bindfaden, um sie nur nicht in Stücken fallen zu lassen. Das gemeine Volk bezeuget jedem, der einen Degen trägt, große Ehrerbietigkeit.
Unter diesem zahlreichen Adel sind denn auch viele Neugeadelte. Man kann den Adel vom Landesherrn gleichsam kaufen, und dann wird jeder, der von dem Könige oder auch von einem Besitzer ein solches ver- fallenes Lehn kauft, unter den Adel gerechnet. Man kann durch diesen Weg für wenige tausend Thaler Conte oder gar Marchese werden. Dessen
unge-
Tagebuch von einer nach Nizza
bare Luſtbarkeiten; keine Schauſpiele; keine Tafeln von Aufwand, als etwa zur Seltenheit bey ganz be- ſondern Veranlaſſungen. Es ſind drey oder vier ade- liche Haͤuſer, bey denen im Carneval der uͤbrige Adel des Abends in die ſogenannten Converſationi zuſam- menkommt, wo man ſich mit Geſpraͤch, mit Spie- len, auch bisweilen mit Tanzen die Zeit vertreibt. Auch werden zu derſelben Zeit woͤchentlich in dazu ge- mietheten Saͤlen, in die man den Eingang bezahlt, maskirte Baͤlle gegeben.
Anſehnlichere koͤnigliche Bediente und auch die Advocaten rechnen ſich ſelbſt mit zum Adel, wenn ſie gleich nicht von adelicher Geburt ſind, und unterſchei- den ſich von den andern nicht adelichen durch das Tra- gen des Degens, den man hier fuͤr ein Zeichen des Adels haͤlt; deswegen auch kein Edelmann, ſo elend und arm er auch iſt, und ſo ein abgenutztes und zerriſ- ſenes Kleid er traͤgt, ohne Degen ausgeht. Jch ha- be ſolche geſehen, die ſo alte und abgenutzte Degen trugen, daß die Scheide nicht mehr daran halten woll- te. Da ſie das Vermoͤgen nicht hatten, eine neue machen zu laſſen, banden ſie die alte mit Bindfaden, um ſie nur nicht in Stuͤcken fallen zu laſſen. Das gemeine Volk bezeuget jedem, der einen Degen traͤgt, große Ehrerbietigkeit.
Unter dieſem zahlreichen Adel ſind denn auch viele Neugeadelte. Man kann den Adel vom Landesherrn gleichſam kaufen, und dann wird jeder, der von dem Koͤnige oder auch von einem Beſitzer ein ſolches ver- fallenes Lehn kauft, unter den Adel gerechnet. Man kann durch dieſen Weg fuͤr wenige tauſend Thaler Conte oder gar Marcheſe werden. Deſſen
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Tagebuch von einer nach Nizza
bare Luſtbarkeiten; keine Schauſpiele; keine Tafeln
von Aufwand, als etwa zur Seltenheit bey ganz be-
ſondern Veranlaſſungen. Es ſind drey oder vier ade-
liche Haͤuſer, bey denen im Carneval der uͤbrige Adel
des Abends in die ſogenannten Converſationi zuſam-
menkommt, wo man ſich mit Geſpraͤch, mit Spie-
len, auch bisweilen mit Tanzen die Zeit vertreibt.
Auch werden zu derſelben Zeit woͤchentlich in dazu ge-
mietheten Saͤlen, in die man den Eingang bezahlt,
maskirte Baͤlle gegeben.
Anſehnlichere koͤnigliche Bediente und auch die
Advocaten rechnen ſich ſelbſt mit zum Adel, wenn ſie
gleich nicht von adelicher Geburt ſind, und unterſchei-
den ſich von den andern nicht adelichen durch das Tra-
gen des Degens, den man hier fuͤr ein Zeichen des
Adels haͤlt; deswegen auch kein Edelmann, ſo elend
und arm er auch iſt, und ſo ein abgenutztes und zerriſ-
ſenes Kleid er traͤgt, ohne Degen ausgeht. Jch ha-
be ſolche geſehen, die ſo alte und abgenutzte Degen
trugen, daß die Scheide nicht mehr daran halten woll-
te. Da ſie das Vermoͤgen nicht hatten, eine neue
machen zu laſſen, banden ſie die alte mit Bindfaden,
um ſie nur nicht in Stuͤcken fallen zu laſſen. Das
gemeine Volk bezeuget jedem, der einen Degen traͤgt,
große Ehrerbietigkeit.
Unter dieſem zahlreichen Adel ſind denn auch viele
Neugeadelte. Man kann den Adel vom Landesherrn
gleichſam kaufen, und dann wird jeder, der von dem
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kann durch dieſen Weg fuͤr wenige tauſend Thaler
Conte oder gar Marcheſe werden. Deſſen
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/212>, abgerufen am 22.07.2024.
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