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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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gethanen Reise.
schenkte. Jch habe ihn in das Naturaliencabinet der
königlichen Akademie der Wissenschaften geschenkt.

Die andre Merkwürdigkeit dieser Seeküste sind
die sogenannten Dattelmuscheln, die ihren Namen
von der einer Dattel ähnlichen Figur haben. Diese
Muscheln fressen sich, wenn sie noch ganz klein sind,
in den harten im Grund des Meeres liegenden Kalk-
stein ein, dringen darin immer tiefer, und so wie sie
anwachsen und älter werden, erweitert sich auch der
Gang, den sie sich im Stein ausgraben. Er ist aber
nur um die Dicke von zwey oder drey Kartenblättern
weiter, als die Muscheln dick sind, so daß sie sich dar-
in nicht umwenden können. Ein Kalkstein von etwa
drey Fuß lang und einem Fuß dick, der vor fünf Jah-
ren versenkt worden, wurde, aus Gefälligkeit für mich,
aus dem Grunde herauf geholt. Dieser war so sehr so
wohl von diesen Datteln, als auch von einer andern
Art haariger Muscheln (Musculus) durchgefressen,
wie irgend ein altes Stück Holz von Würmern, und
ich fand keinen Cubikzoll festen Stein daran. Jch
ließ den Stein zerschlagen, behielt einige Stücke mit
den lebenden Muscheln eine Zeit lang in Seewasser auf;
die andern Datteln speiste ich wie Austern, und fand
sie sehr delicat, von besserm Geschmack als die fein-
sten Austern aus der Nordsee. Als ich einige Zeit
nachher den Chevalier de Foncenex in Villa fran-
ca
besuchte, ließ er in meiner Gegenwart auch solche
Steine aus dem dortigen Hafen ausfischen, die eben
dasselbe zeigten; und wir verzehrten auch diese Dat-
teln als wahre Leckerbissen.

Bey Gelegenheit des Hafens will ich auch hierHandlung.
anführen, was ich von der hiesigen Handlung gesehen

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gethanen Reiſe.
ſchenkte. Jch habe ihn in das Naturaliencabinet der
koͤniglichen Akademie der Wiſſenſchaften geſchenkt.

Die andre Merkwuͤrdigkeit dieſer Seekuͤſte ſind
die ſogenannten Dattelmuſcheln, die ihren Namen
von der einer Dattel aͤhnlichen Figur haben. Dieſe
Muſcheln freſſen ſich, wenn ſie noch ganz klein ſind,
in den harten im Grund des Meeres liegenden Kalk-
ſtein ein, dringen darin immer tiefer, und ſo wie ſie
anwachſen und aͤlter werden, erweitert ſich auch der
Gang, den ſie ſich im Stein ausgraben. Er iſt aber
nur um die Dicke von zwey oder drey Kartenblaͤttern
weiter, als die Muſcheln dick ſind, ſo daß ſie ſich dar-
in nicht umwenden koͤnnen. Ein Kalkſtein von etwa
drey Fuß lang und einem Fuß dick, der vor fuͤnf Jah-
ren verſenkt worden, wurde, aus Gefaͤlligkeit fuͤr mich,
aus dem Grunde herauf geholt. Dieſer war ſo ſehr ſo
wohl von dieſen Datteln, als auch von einer andern
Art haariger Muſcheln (Muſculus) durchgefreſſen,
wie irgend ein altes Stuͤck Holz von Wuͤrmern, und
ich fand keinen Cubikzoll feſten Stein daran. Jch
ließ den Stein zerſchlagen, behielt einige Stuͤcke mit
den lebenden Muſcheln eine Zeit lang in Seewaſſer auf;
die andern Datteln ſpeiſte ich wie Auſtern, und fand
ſie ſehr delicat, von beſſerm Geſchmack als die fein-
ſten Auſtern aus der Nordſee. Als ich einige Zeit
nachher den Chevalier de Foncenex in Villa fran-
ca
beſuchte, ließ er in meiner Gegenwart auch ſolche
Steine aus dem dortigen Hafen ausfiſchen, die eben
daſſelbe zeigten; und wir verzehrten auch dieſe Dat-
teln als wahre Leckerbiſſen.

Bey Gelegenheit des Hafens will ich auch hierHandlung.
anfuͤhren, was ich von der hieſigen Handlung geſehen

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[185/0205] gethanen Reiſe. ſchenkte. Jch habe ihn in das Naturaliencabinet der koͤniglichen Akademie der Wiſſenſchaften geſchenkt. Die andre Merkwuͤrdigkeit dieſer Seekuͤſte ſind die ſogenannten Dattelmuſcheln, die ihren Namen von der einer Dattel aͤhnlichen Figur haben. Dieſe Muſcheln freſſen ſich, wenn ſie noch ganz klein ſind, in den harten im Grund des Meeres liegenden Kalk- ſtein ein, dringen darin immer tiefer, und ſo wie ſie anwachſen und aͤlter werden, erweitert ſich auch der Gang, den ſie ſich im Stein ausgraben. Er iſt aber nur um die Dicke von zwey oder drey Kartenblaͤttern weiter, als die Muſcheln dick ſind, ſo daß ſie ſich dar- in nicht umwenden koͤnnen. Ein Kalkſtein von etwa drey Fuß lang und einem Fuß dick, der vor fuͤnf Jah- ren verſenkt worden, wurde, aus Gefaͤlligkeit fuͤr mich, aus dem Grunde herauf geholt. Dieſer war ſo ſehr ſo wohl von dieſen Datteln, als auch von einer andern Art haariger Muſcheln (Muſculus) durchgefreſſen, wie irgend ein altes Stuͤck Holz von Wuͤrmern, und ich fand keinen Cubikzoll feſten Stein daran. Jch ließ den Stein zerſchlagen, behielt einige Stuͤcke mit den lebenden Muſcheln eine Zeit lang in Seewaſſer auf; die andern Datteln ſpeiſte ich wie Auſtern, und fand ſie ſehr delicat, von beſſerm Geſchmack als die fein- ſten Auſtern aus der Nordſee. Als ich einige Zeit nachher den Chevalier de Foncenex in Villa fran- ca beſuchte, ließ er in meiner Gegenwart auch ſolche Steine aus dem dortigen Hafen ausfiſchen, die eben daſſelbe zeigten; und wir verzehrten auch dieſe Dat- teln als wahre Leckerbiſſen. Bey Gelegenheit des Hafens will ich auch hier anfuͤhren, was ich von der hieſigen Handlung geſehen ha- Handlung. M 5

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/205>, abgerufen am 24.11.2024.