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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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gethanen Reise.
brutalen Wesen unsrer Leute von dieser Classe sind sie
weit entfernt. Jch habe von keinem Postillon auf dem
ganzen Wege ein einziges ungeduldiges Wort gehört.
Es traf sich doch bisweilen, daß vor einander vorbey-
fahrende Wagen an einander stießen, oder sich etwas
mühsam ausweichen mußten. Anstatt des Schim-
pfens und Fluchens, das man bey dergleichen Gele-
genheiten im nördlichen Deutschland nicht selten hört,
sah ich bey diesem sonst lebhaften Volke nichts als
Sanftmuth und gegenseitige Hülfsleistung. Nie hat
ein Postillon, der mich gefahren, unterweges ange-
halten, um zu trinken, oder seine Pferde zu tränken,
als da, wo er ausspannte, nämlich Mittags und Abends.
Die ganze Zwischenzeit fährt man gut und ohne An-
halten fort. Ein Reisender kann den Postillon gera-
de wie seinen eigenen Bedienten ansehen. Er thut
ohne Widerrede, was man von ihm verlangt. Bey
aufstoßenden Schwierigkeiten, oder wenn etwas an
dem Fuhrwerke reißt oder bricht, suchen sie sich zu
helfen ohne ungeduldig zu werden.

Aber die Gastwirthe schienen mir überall habsüch-
tig zu seyn, und sich sehr wenig um einen Fremden zu
bekümmern.

Das Landvolk ist durchgehends schlecht gekleidet,
und scheinet sehr elend. Ruft man aber auf dem Fel-
de oder in den Dörfern jemanden an, um sich etwa
wornach zu erkundigen, so findet man ihn höflich und
gefällig. Jch habe von Lyon aus bis Nizza, ob es
gleich jetzt die Herbstzeit war, und der Wein auf dem
ganzen Wege sehr gemein ist, keinen betrunkenen Men-
schen angetroffen. Ein einzigesmal hat sich mein Po-
stillon mit einem andern, der dieselbe Straße fuhr,

etwas

gethanen Reiſe.
brutalen Weſen unſrer Leute von dieſer Claſſe ſind ſie
weit entfernt. Jch habe von keinem Poſtillon auf dem
ganzen Wege ein einziges ungeduldiges Wort gehoͤrt.
Es traf ſich doch bisweilen, daß vor einander vorbey-
fahrende Wagen an einander ſtießen, oder ſich etwas
muͤhſam ausweichen mußten. Anſtatt des Schim-
pfens und Fluchens, das man bey dergleichen Gele-
genheiten im noͤrdlichen Deutſchland nicht ſelten hoͤrt,
ſah ich bey dieſem ſonſt lebhaften Volke nichts als
Sanftmuth und gegenſeitige Huͤlfsleiſtung. Nie hat
ein Poſtillon, der mich gefahren, unterweges ange-
halten, um zu trinken, oder ſeine Pferde zu traͤnken,
als da, wo er ausſpannte, naͤmlich Mittags und Abends.
Die ganze Zwiſchenzeit faͤhrt man gut und ohne An-
halten fort. Ein Reiſender kann den Poſtillon gera-
de wie ſeinen eigenen Bedienten anſehen. Er thut
ohne Widerrede, was man von ihm verlangt. Bey
aufſtoßenden Schwierigkeiten, oder wenn etwas an
dem Fuhrwerke reißt oder bricht, ſuchen ſie ſich zu
helfen ohne ungeduldig zu werden.

Aber die Gaſtwirthe ſchienen mir uͤberall habſuͤch-
tig zu ſeyn, und ſich ſehr wenig um einen Fremden zu
bekuͤmmern.

Das Landvolk iſt durchgehends ſchlecht gekleidet,
und ſcheinet ſehr elend. Ruft man aber auf dem Fel-
de oder in den Doͤrfern jemanden an, um ſich etwa
wornach zu erkundigen, ſo findet man ihn hoͤflich und
gefaͤllig. Jch habe von Lyon aus bis Nizza, ob es
gleich jetzt die Herbſtzeit war, und der Wein auf dem
ganzen Wege ſehr gemein iſt, keinen betrunkenen Men-
ſchen angetroffen. Ein einzigesmal hat ſich mein Po-
ſtillon mit einem andern, der dieſelbe Straße fuhr,

etwas
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[173/0193] gethanen Reiſe. brutalen Weſen unſrer Leute von dieſer Claſſe ſind ſie weit entfernt. Jch habe von keinem Poſtillon auf dem ganzen Wege ein einziges ungeduldiges Wort gehoͤrt. Es traf ſich doch bisweilen, daß vor einander vorbey- fahrende Wagen an einander ſtießen, oder ſich etwas muͤhſam ausweichen mußten. Anſtatt des Schim- pfens und Fluchens, das man bey dergleichen Gele- genheiten im noͤrdlichen Deutſchland nicht ſelten hoͤrt, ſah ich bey dieſem ſonſt lebhaften Volke nichts als Sanftmuth und gegenſeitige Huͤlfsleiſtung. Nie hat ein Poſtillon, der mich gefahren, unterweges ange- halten, um zu trinken, oder ſeine Pferde zu traͤnken, als da, wo er ausſpannte, naͤmlich Mittags und Abends. Die ganze Zwiſchenzeit faͤhrt man gut und ohne An- halten fort. Ein Reiſender kann den Poſtillon gera- de wie ſeinen eigenen Bedienten anſehen. Er thut ohne Widerrede, was man von ihm verlangt. Bey aufſtoßenden Schwierigkeiten, oder wenn etwas an dem Fuhrwerke reißt oder bricht, ſuchen ſie ſich zu helfen ohne ungeduldig zu werden. Aber die Gaſtwirthe ſchienen mir uͤberall habſuͤch- tig zu ſeyn, und ſich ſehr wenig um einen Fremden zu bekuͤmmern. Das Landvolk iſt durchgehends ſchlecht gekleidet, und ſcheinet ſehr elend. Ruft man aber auf dem Fel- de oder in den Doͤrfern jemanden an, um ſich etwa wornach zu erkundigen, ſo findet man ihn hoͤflich und gefaͤllig. Jch habe von Lyon aus bis Nizza, ob es gleich jetzt die Herbſtzeit war, und der Wein auf dem ganzen Wege ſehr gemein iſt, keinen betrunkenen Men- ſchen angetroffen. Ein einzigesmal hat ſich mein Po- ſtillon mit einem andern, der dieſelbe Straße fuhr, etwas

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/193>, abgerufen am 23.11.2024.