bracht haben, um zu fühlen, daß eine ordentliche Ar- beit und die daher entspringenden Vortheile die be- sten Mittel sind, ein vergnügtes und zufriedenes Le- ben zu führen.
Es giebt Politiker, die behaupten, daß starke, kaum zu erschwingende Auflagen ein Mittel seyn, das gemeine Volk zur Arbeit zu zwingen. Allerdings ar- beiten durch Auflagen gedrückte Menschen aus Noth mehr, als ein noch unvernünftiges Volk, das ohne viele Arbeit seine Nothdurft zu befriedigen findet. Jn so fern ist jene Behauptung wahr. Aber das wahre Mittel, immer und dauerhaften Trieb zur Arbeitsam- keit zu erwecken, ist die Erweckung des Gefühls für Wohlstand und die Annehmlichkeit des Ueberflusses. Wer erst recht fühlt, daß Ordnung und Arbeit ihm nicht blos das Nothdürftige zuwege bringt, sondern auch etwas Ueberfluß, woraus denn ein leichter und frölicher Genuß, und eine beständige Vermehrung der Mittel zu demselben entsteht, der wird denn gewiß Lust zur Arbeit bekommen. Die so entstandene Arbeitsam- keit aber ist jener, die durch Noth erzwungen worden, unendlich weit vorzuziehen.
Jn dieser angenehmen Gegend von Hieres und unter diesem gutartigen Volke brachte ich meine Zeit vergnügt zu, und meine Gesundheit stärkte sich merk- lich. Jch nahm mir daher vor, bis zu Ende des Jahrs hier zu bleiben. Aber nach der dritten Woche meines hiesigen Aufenthalts änderte ich meinen Vor- satz plötzlich. Es fiel den 21 November Schnee, der zwar in der Ebene nach wenig Stunden wieder zerfloß, auf den Bergen aber, wo die Sonne nicht hinkam, liegen blieb. Dies machte mir für den
Win-
Tagebuch von einer nach Nizza
bracht haben, um zu fuͤhlen, daß eine ordentliche Ar- beit und die daher entſpringenden Vortheile die be- ſten Mittel ſind, ein vergnuͤgtes und zufriedenes Le- ben zu fuͤhren.
Es giebt Politiker, die behaupten, daß ſtarke, kaum zu erſchwingende Auflagen ein Mittel ſeyn, das gemeine Volk zur Arbeit zu zwingen. Allerdings ar- beiten durch Auflagen gedruͤckte Menſchen aus Noth mehr, als ein noch unvernuͤnftiges Volk, das ohne viele Arbeit ſeine Nothdurft zu befriedigen findet. Jn ſo fern iſt jene Behauptung wahr. Aber das wahre Mittel, immer und dauerhaften Trieb zur Arbeitſam- keit zu erwecken, iſt die Erweckung des Gefuͤhls fuͤr Wohlſtand und die Annehmlichkeit des Ueberfluſſes. Wer erſt recht fuͤhlt, daß Ordnung und Arbeit ihm nicht blos das Nothduͤrftige zuwege bringt, ſondern auch etwas Ueberfluß, woraus denn ein leichter und froͤlicher Genuß, und eine beſtaͤndige Vermehrung der Mittel zu demſelben entſteht, der wird denn gewiß Luſt zur Arbeit bekommen. Die ſo entſtandene Arbeitſam- keit aber iſt jener, die durch Noth erzwungen worden, unendlich weit vorzuziehen.
Jn dieſer angenehmen Gegend von Hieres und unter dieſem gutartigen Volke brachte ich meine Zeit vergnuͤgt zu, und meine Geſundheit ſtaͤrkte ſich merk- lich. Jch nahm mir daher vor, bis zu Ende des Jahrs hier zu bleiben. Aber nach der dritten Woche meines hieſigen Aufenthalts aͤnderte ich meinen Vor- ſatz ploͤtzlich. Es fiel den 21 November Schnee, der zwar in der Ebene nach wenig Stunden wieder zerfloß, auf den Bergen aber, wo die Sonne nicht hinkam, liegen blieb. Dies machte mir fuͤr den
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Tagebuch von einer nach Nizza
bracht haben, um zu fuͤhlen, daß eine ordentliche Ar-
beit und die daher entſpringenden Vortheile die be-
ſten Mittel ſind, ein vergnuͤgtes und zufriedenes Le-
ben zu fuͤhren.
Es giebt Politiker, die behaupten, daß ſtarke,
kaum zu erſchwingende Auflagen ein Mittel ſeyn, das
gemeine Volk zur Arbeit zu zwingen. Allerdings ar-
beiten durch Auflagen gedruͤckte Menſchen aus Noth
mehr, als ein noch unvernuͤnftiges Volk, das ohne
viele Arbeit ſeine Nothdurft zu befriedigen findet. Jn
ſo fern iſt jene Behauptung wahr. Aber das wahre
Mittel, immer und dauerhaften Trieb zur Arbeitſam-
keit zu erwecken, iſt die Erweckung des Gefuͤhls fuͤr
Wohlſtand und die Annehmlichkeit des Ueberfluſſes.
Wer erſt recht fuͤhlt, daß Ordnung und Arbeit ihm
nicht blos das Nothduͤrftige zuwege bringt, ſondern
auch etwas Ueberfluß, woraus denn ein leichter und
froͤlicher Genuß, und eine beſtaͤndige Vermehrung der
Mittel zu demſelben entſteht, der wird denn gewiß Luſt
zur Arbeit bekommen. Die ſo entſtandene Arbeitſam-
keit aber iſt jener, die durch Noth erzwungen worden,
unendlich weit vorzuziehen.
Jn dieſer angenehmen Gegend von Hieres und
unter dieſem gutartigen Volke brachte ich meine Zeit
vergnuͤgt zu, und meine Geſundheit ſtaͤrkte ſich merk-
lich. Jch nahm mir daher vor, bis zu Ende des
Jahrs hier zu bleiben. Aber nach der dritten Woche
meines hieſigen Aufenthalts aͤnderte ich meinen Vor-
ſatz ploͤtzlich. Es fiel den 21 November Schnee,
der zwar in der Ebene nach wenig Stunden wieder
zerfloß, auf den Bergen aber, wo die Sonne nicht
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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/168>, abgerufen am 25.11.2024.
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