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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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gethanen Reise.
ställe u. s. f. Die Leute wohnen also vornen heraus,
wo sie ein altes hohes Gemäuer gerade vor ihren Fen-
stern haben; an dem hintern Theil der Häuser, von
da aus sie eine der herrlichsten Aussichten haben könn-
ten, sind keine Zimmer und keine Fenster.

Es war mir ein trauriger Gedanke, hier ein
Volk anzutreffen, das für die Schönheiten der Natur,
für die frölichsten Aussichten und für die gesundeste
Luft an seinen Wohnungen völlig unempfindlich ist.
Das ist gerade so viel, als aus einer stinkenden Pfü-
tze trinken, und gleich daneben eine schöne und gesunde
Quelle verabsäumen. Was für einen Begriff muß
man sich von dem Gemüthszustande eines solchen
Volks machen? Vermuthlich haben die Sorgen der
Nahrung sie in diese viehische Unempfindlichkeit ge-
setzt. Der sonst große Gasthof in dieser Vorstadt, in
dem ich eingekehrt war, ist einer der unreinlichsten,
die ich auf dieser Straße angetroffen habe.

Den 22 Octob. Reise von St. Valier bis Lau-
riole,
welches 10 Lieues gerechnet wird.

Von St. Valier bis Tain oder Tein, welches
zwey Stunden weit davon ist, geht die Straße über
einen sehr schmalen Strich ebenen Landes, zwischen
dem Ufer der Rhone und den daneben liegenden Ber-
gen. Sie ist mit schönen und großen Maulbeerbäu-
men besetzt. Die Berge, an denen die Straße hin-
geht, sind meistentheils unfruchtbare Klumpen zusam-
mengebackener Kieselsteine, oder Felsen, die auf den
Alpen Nagelflüe genennt werden. Nahe bey Tain
schließen sich die Berge so dicht an die Rhone an, daß
hier die Straße theils in den Felsen eingehauen, theils

in

gethanen Reiſe.
ſtaͤlle u. ſ. f. Die Leute wohnen alſo vornen heraus,
wo ſie ein altes hohes Gemaͤuer gerade vor ihren Fen-
ſtern haben; an dem hintern Theil der Haͤuſer, von
da aus ſie eine der herrlichſten Ausſichten haben koͤnn-
ten, ſind keine Zimmer und keine Fenſter.

Es war mir ein trauriger Gedanke, hier ein
Volk anzutreffen, das fuͤr die Schoͤnheiten der Natur,
fuͤr die froͤlichſten Ausſichten und fuͤr die geſundeſte
Luft an ſeinen Wohnungen voͤllig unempfindlich iſt.
Das iſt gerade ſo viel, als aus einer ſtinkenden Pfuͤ-
tze trinken, und gleich daneben eine ſchoͤne und geſunde
Quelle verabſaͤumen. Was fuͤr einen Begriff muß
man ſich von dem Gemuͤthszuſtande eines ſolchen
Volks machen? Vermuthlich haben die Sorgen der
Nahrung ſie in dieſe viehiſche Unempfindlichkeit ge-
ſetzt. Der ſonſt große Gaſthof in dieſer Vorſtadt, in
dem ich eingekehrt war, iſt einer der unreinlichſten,
die ich auf dieſer Straße angetroffen habe.

Den 22 Octob. Reiſe von St. Valier bis Lau-
riole,
welches 10 Lieues gerechnet wird.

Von St. Valier bis Tain oder Tein, welches
zwey Stunden weit davon iſt, geht die Straße uͤber
einen ſehr ſchmalen Strich ebenen Landes, zwiſchen
dem Ufer der Rhone und den daneben liegenden Ber-
gen. Sie iſt mit ſchoͤnen und großen Maulbeerbaͤu-
men beſetzt. Die Berge, an denen die Straße hin-
geht, ſind meiſtentheils unfruchtbare Klumpen zuſam-
mengebackener Kieſelſteine, oder Felſen, die auf den
Alpen Nagelfluͤe genennt werden. Nahe bey Tain
ſchließen ſich die Berge ſo dicht an die Rhone an, daß
hier die Straße theils in den Felſen eingehauen, theils

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[93/0113] gethanen Reiſe. ſtaͤlle u. ſ. f. Die Leute wohnen alſo vornen heraus, wo ſie ein altes hohes Gemaͤuer gerade vor ihren Fen- ſtern haben; an dem hintern Theil der Haͤuſer, von da aus ſie eine der herrlichſten Ausſichten haben koͤnn- ten, ſind keine Zimmer und keine Fenſter. Es war mir ein trauriger Gedanke, hier ein Volk anzutreffen, das fuͤr die Schoͤnheiten der Natur, fuͤr die froͤlichſten Ausſichten und fuͤr die geſundeſte Luft an ſeinen Wohnungen voͤllig unempfindlich iſt. Das iſt gerade ſo viel, als aus einer ſtinkenden Pfuͤ- tze trinken, und gleich daneben eine ſchoͤne und geſunde Quelle verabſaͤumen. Was fuͤr einen Begriff muß man ſich von dem Gemuͤthszuſtande eines ſolchen Volks machen? Vermuthlich haben die Sorgen der Nahrung ſie in dieſe viehiſche Unempfindlichkeit ge- ſetzt. Der ſonſt große Gaſthof in dieſer Vorſtadt, in dem ich eingekehrt war, iſt einer der unreinlichſten, die ich auf dieſer Straße angetroffen habe. Den 22 Octob. Reiſe von St. Valier bis Lau- riole, welches 10 Lieues gerechnet wird. Von St. Valier bis Tain oder Tein, welches zwey Stunden weit davon iſt, geht die Straße uͤber einen ſehr ſchmalen Strich ebenen Landes, zwiſchen dem Ufer der Rhone und den daneben liegenden Ber- gen. Sie iſt mit ſchoͤnen und großen Maulbeerbaͤu- men beſetzt. Die Berge, an denen die Straße hin- geht, ſind meiſtentheils unfruchtbare Klumpen zuſam- mengebackener Kieſelſteine, oder Felſen, die auf den Alpen Nagelfluͤe genennt werden. Nahe bey Tain ſchließen ſich die Berge ſo dicht an die Rhone an, daß hier die Straße theils in den Felſen eingehauen, theils in

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/113>, abgerufen am 24.11.2024.