Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite

zur Bestimmung der Lebendigen.
alle Gründe, deren man sich in Vergleichung der
Städte bedienet, nemlich wieder den räumlichen
Innhalt des bebauten Platzes, wieder die Zahl der
Häuser, wieder die Zahl der gebohrnen und gestor-
benen, und selbst wieder einen nur obenhin ange-
stellten Uberschlag. 3) Man müste alle Ordnung
hierinn umstossen, indem Wien seit 1700 ungemein
sehr in der Anzahl der gestorbenen zugenommen.
Um das Jahr, da Reiffenstuhl sein Buch drucken
lassen, und da man in der einen Vorstadt so viel
Menschen gezehlet, war die jährl. Anzahl todte kaum
3000. Wenn man die politischen Umstände be-
trachtet, darf es einem nicht fremde scheinen. In
letztern Jahren ist die Zahl der gestorbenen mehr als
noch einmahl so groß gewesen. Folglich müste auch
die Zahl der Einwohner noch mahl so groß oder
Wien müste seit dem ungesunder geworden seyn, so
daß jetzt noch mahl so viel stürben, als sonst. 4) Die
Zahl der Häuser ist zu gering für so viele, wenn
auch die Vorstädte noch sechs mahl so viele hätten,
weil daselbst vieler Handel und viele Standes-Per-
sonen, die geräumlich und prächtig wohnen. Es
läßt sich zwar von der Zahl der Häuser kein richti-
gen Schluß machen, doch aber muß Platz seyn.
5) Das Gedränge auf denen Gassen, und die zahl-
reichen Proceßionen sind unsichere Gründe, wo der
Handel, der Staat, die Curiosität und andere Din-
ge, zumahl an einem Catholischen Orte, die Men-
schen in Bewegung setzen und auf die Gasse ziehen.
Man siehet einen Menschen an einem Tage öfters,
und also vervielfältigen sich einige wenige so wie in
einem Optischen Spiegel-Kasten. Wer solte von
Berlin glauben, daß nicht mehr als 80 oder noch

nicht
W 5

zur Beſtimmung der Lebendigen.
alle Gruͤnde, deren man ſich in Vergleichung der
Staͤdte bedienet, nemlich wieder den raͤumlichen
Innhalt des bebauten Platzes, wieder die Zahl der
Haͤuſer, wieder die Zahl der gebohrnen und geſtor-
benen, und ſelbſt wieder einen nur obenhin ange-
ſtellten Uberſchlag. 3) Man muͤſte alle Ordnung
hierinn umſtoſſen, indem Wien ſeit 1700 ungemein
ſehr in der Anzahl der geſtorbenen zugenommen.
Um das Jahr, da Reiffenſtuhl ſein Buch drucken
laſſen, und da man in der einen Vorſtadt ſo viel
Menſchen gezehlet, war die jaͤhrl. Anzahl todte kaum
3000. Wenn man die politiſchen Umſtaͤnde be-
trachtet, darf es einem nicht fremde ſcheinen. In
letztern Jahren iſt die Zahl der geſtorbenen mehr als
noch einmahl ſo groß geweſen. Folglich muͤſte auch
die Zahl der Einwohner noch mahl ſo groß oder
Wien muͤſte ſeit dem ungeſunder geworden ſeyn, ſo
daß jetzt noch mahl ſo viel ſtuͤrben, als ſonſt. 4) Die
Zahl der Haͤuſer iſt zu gering fuͤr ſo viele, wenn
auch die Vorſtaͤdte noch ſechs mahl ſo viele haͤtten,
weil daſelbſt vieler Handel und viele Standes-Per-
ſonen, die geraͤumlich und praͤchtig wohnen. Es
laͤßt ſich zwar von der Zahl der Haͤuſer kein richti-
gen Schluß machen, doch aber muß Platz ſeyn.
5) Das Gedraͤnge auf denen Gaſſen, und die zahl-
reichen Proceßionen ſind unſichere Gruͤnde, wo der
Handel, der Staat, die Curioſitaͤt und andere Din-
ge, zumahl an einem Catholiſchen Orte, die Men-
ſchen in Bewegung ſetzen und auf die Gaſſe ziehen.
Man ſiehet einen Menſchen an einem Tage oͤfters,
und alſo vervielfaͤltigen ſich einige wenige ſo wie in
einem Optiſchen Spiegel-Kaſten. Wer ſolte von
Berlin glauben, daß nicht mehr als 80 oder noch

nicht
W 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0377" n="329"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zur Be&#x017F;timmung der Lebendigen.</hi></fw><lb/>
alle Gru&#x0364;nde, deren man &#x017F;ich in Vergleichung der<lb/>
Sta&#x0364;dte bedienet, nemlich wieder den ra&#x0364;umlichen<lb/>
Innhalt des bebauten Platzes, wieder die Zahl der<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er, wieder die Zahl der gebohrnen und ge&#x017F;tor-<lb/>
benen, und &#x017F;elb&#x017F;t wieder einen nur obenhin ange-<lb/>
&#x017F;tellten Uber&#x017F;chlag. 3) Man mu&#x0364;&#x017F;te alle Ordnung<lb/>
hierinn um&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en, indem Wien &#x017F;eit 1700 ungemein<lb/>
&#x017F;ehr in der Anzahl der ge&#x017F;torbenen zugenommen.<lb/>
Um das Jahr, da Reiffen&#x017F;tuhl &#x017F;ein Buch drucken<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, und da man in der einen Vor&#x017F;tadt &#x017F;o viel<lb/>
Men&#x017F;chen gezehlet, war die ja&#x0364;hrl. Anzahl todte kaum<lb/>
3000. Wenn man die politi&#x017F;chen Um&#x017F;ta&#x0364;nde be-<lb/>
trachtet, darf es einem nicht fremde &#x017F;cheinen. In<lb/>
letztern Jahren i&#x017F;t die Zahl der ge&#x017F;torbenen mehr als<lb/>
noch einmahl &#x017F;o groß gewe&#x017F;en. Folglich mu&#x0364;&#x017F;te auch<lb/>
die Zahl der Einwohner noch mahl &#x017F;o groß oder<lb/>
Wien mu&#x0364;&#x017F;te &#x017F;eit dem unge&#x017F;under geworden &#x017F;eyn, &#x017F;o<lb/>
daß jetzt noch mahl &#x017F;o viel &#x017F;tu&#x0364;rben, als &#x017F;on&#x017F;t. 4) Die<lb/>
Zahl der Ha&#x0364;u&#x017F;er i&#x017F;t zu gering fu&#x0364;r &#x017F;o viele, wenn<lb/>
auch die Vor&#x017F;ta&#x0364;dte noch &#x017F;echs mahl &#x017F;o viele ha&#x0364;tten,<lb/>
weil da&#x017F;elb&#x017F;t vieler Handel und viele Standes-Per-<lb/>
&#x017F;onen, die gera&#x0364;umlich und pra&#x0364;chtig wohnen. Es<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ich zwar von der Zahl der Ha&#x0364;u&#x017F;er kein richti-<lb/>
gen Schluß machen, doch aber muß Platz &#x017F;eyn.<lb/>
5) Das Gedra&#x0364;nge auf denen Ga&#x017F;&#x017F;en, und die zahl-<lb/>
reichen Proceßionen &#x017F;ind un&#x017F;ichere Gru&#x0364;nde, wo der<lb/>
Handel, der Staat, die Curio&#x017F;ita&#x0364;t und andere Din-<lb/>
ge, zumahl an einem Catholi&#x017F;chen Orte, die Men-<lb/>
&#x017F;chen in Bewegung &#x017F;etzen und auf die Ga&#x017F;&#x017F;e ziehen.<lb/>
Man &#x017F;iehet einen Men&#x017F;chen an einem Tage o&#x0364;fters,<lb/>
und al&#x017F;o vervielfa&#x0364;ltigen &#x017F;ich einige wenige &#x017F;o wie in<lb/>
einem Opti&#x017F;chen Spiegel-Ka&#x017F;ten. Wer &#x017F;olte von<lb/>
Berlin glauben, daß nicht mehr als 80 oder noch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">W 5</fw><fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0377] zur Beſtimmung der Lebendigen. alle Gruͤnde, deren man ſich in Vergleichung der Staͤdte bedienet, nemlich wieder den raͤumlichen Innhalt des bebauten Platzes, wieder die Zahl der Haͤuſer, wieder die Zahl der gebohrnen und geſtor- benen, und ſelbſt wieder einen nur obenhin ange- ſtellten Uberſchlag. 3) Man muͤſte alle Ordnung hierinn umſtoſſen, indem Wien ſeit 1700 ungemein ſehr in der Anzahl der geſtorbenen zugenommen. Um das Jahr, da Reiffenſtuhl ſein Buch drucken laſſen, und da man in der einen Vorſtadt ſo viel Menſchen gezehlet, war die jaͤhrl. Anzahl todte kaum 3000. Wenn man die politiſchen Umſtaͤnde be- trachtet, darf es einem nicht fremde ſcheinen. In letztern Jahren iſt die Zahl der geſtorbenen mehr als noch einmahl ſo groß geweſen. Folglich muͤſte auch die Zahl der Einwohner noch mahl ſo groß oder Wien muͤſte ſeit dem ungeſunder geworden ſeyn, ſo daß jetzt noch mahl ſo viel ſtuͤrben, als ſonſt. 4) Die Zahl der Haͤuſer iſt zu gering fuͤr ſo viele, wenn auch die Vorſtaͤdte noch ſechs mahl ſo viele haͤtten, weil daſelbſt vieler Handel und viele Standes-Per- ſonen, die geraͤumlich und praͤchtig wohnen. Es laͤßt ſich zwar von der Zahl der Haͤuſer kein richti- gen Schluß machen, doch aber muß Platz ſeyn. 5) Das Gedraͤnge auf denen Gaſſen, und die zahl- reichen Proceßionen ſind unſichere Gruͤnde, wo der Handel, der Staat, die Curioſitaͤt und andere Din- ge, zumahl an einem Catholiſchen Orte, die Men- ſchen in Bewegung ſetzen und auf die Gaſſe ziehen. Man ſiehet einen Menſchen an einem Tage oͤfters, und alſo vervielfaͤltigen ſich einige wenige ſo wie in einem Optiſchen Spiegel-Kaſten. Wer ſolte von Berlin glauben, daß nicht mehr als 80 oder noch nicht W 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/377
Zitationshilfe: Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/377>, abgerufen am 25.11.2024.