Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905Aber nach den ersten Arpeggien, die unter seinen Fingern perlten wie ein Regen von Küssen und Tränen, stürzte Fred mit ausgebreiteten Armen auf sein Instrument nieder, schlug mit der Stirne auf das Elfenbein der Register und schluchzte: "Was mir fehlt ... was mir fehlt?! ... Ich sterbe vor Liebe!" Ein wahnsinniger Schmerz schüttelte ihn. Seit langem schon hatte er das unausweichliche Unheil, die entsetzliche Gewißheit nahen sehen, daß Frau von Ellissen nie die Seine würde. Solange aber Mira sich nicht ausgesprochen, hatte er nicht verstehen wollen. Er war mit seinen Schmerzen vorwärts geschritten, immer weiter, wie ein Mondsüchtiger dem Ziele zu, das er seit vielen Jahren, seit jeher, wie es ihm schien, verfolgte. Er hatte sie so geliebt, daß er sich einbildete und vielleicht war dem auch so, daß er sie noch immer so begehrte wie in den ersten Tagen der Leidenschaft, in denen seine erwachenden Sinne sich ihr zugewandt. Er sah nicht ihre dreißig Jahre herankommen, in seinen Liebesträumen erschien sie ihm schöner als je, frisch, schlank, mit ihren großen Kinderaugen und ihrem naiven Mund. Und immer wieder kehrte er zu ihrer Schönheit zurück, als der Quelle seines ersten Sehnens, Aber nach den ersten Arpeggien, die unter seinen Fingern perlten wie ein Regen von Küssen und Tränen, stürzte Fred mit ausgebreiteten Armen auf sein Instrument nieder, schlug mit der Stirne auf das Elfenbein der Register und schluchzte: „Was mir fehlt … was mir fehlt?! … Ich sterbe vor Liebe!“ Ein wahnsinniger Schmerz schüttelte ihn. Seit langem schon hatte er das unausweichliche Unheil, die entsetzliche Gewißheit nahen sehen, daß Frau von Ellissen nie die Seine würde. Solange aber Mira sich nicht ausgesprochen, hatte er nicht verstehen wollen. Er war mit seinen Schmerzen vorwärts geschritten, immer weiter, wie ein Mondsüchtiger dem Ziele zu, das er seit vielen Jahren, seit jeher, wie es ihm schien, verfolgte. Er hatte sie so geliebt, daß er sich einbildete und vielleicht war dem auch so, daß er sie noch immer so begehrte wie in den ersten Tagen der Leidenschaft, in denen seine erwachenden Sinne sich ihr zugewandt. Er sah nicht ihre dreißig Jahre herankommen, in seinen Liebesträumen erschien sie ihm schöner als je, frisch, schlank, mit ihren großen Kinderaugen und ihrem naiven Mund. Und immer wieder kehrte er zu ihrer Schönheit zurück, als der Quelle seines ersten Sehnens, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0060" n="59"/> <p>Aber nach den ersten Arpeggien, die unter seinen Fingern perlten wie ein Regen von Küssen und Tränen, stürzte Fred mit ausgebreiteten Armen auf sein Instrument nieder, schlug mit der Stirne auf das Elfenbein der Register und schluchzte:</p> <p>„Was mir fehlt … was mir fehlt?! … Ich sterbe vor Liebe!“</p> <p>Ein wahnsinniger Schmerz schüttelte ihn. Seit langem schon hatte er das unausweichliche Unheil, die entsetzliche Gewißheit nahen sehen, daß Frau von Ellissen nie die Seine würde. Solange aber Mira sich nicht ausgesprochen, hatte er nicht verstehen wollen. Er war mit seinen Schmerzen vorwärts geschritten, immer weiter, wie ein Mondsüchtiger dem Ziele zu, das er seit vielen Jahren, seit jeher, wie es ihm schien, verfolgte. Er hatte sie so geliebt, daß er sich einbildete und vielleicht war dem auch so, daß er sie noch immer so begehrte wie in den ersten Tagen der Leidenschaft, in denen seine erwachenden Sinne sich ihr zugewandt. Er sah nicht ihre dreißig Jahre herankommen, in seinen Liebesträumen erschien sie ihm schöner als je, frisch, schlank, mit ihren großen Kinderaugen und ihrem naiven Mund. Und immer wieder kehrte er zu ihrer Schönheit zurück, als der Quelle seines ersten Sehnens, </p> </div> </body> </text> </TEI> [59/0060]
Aber nach den ersten Arpeggien, die unter seinen Fingern perlten wie ein Regen von Küssen und Tränen, stürzte Fred mit ausgebreiteten Armen auf sein Instrument nieder, schlug mit der Stirne auf das Elfenbein der Register und schluchzte:
„Was mir fehlt … was mir fehlt?! … Ich sterbe vor Liebe!“
Ein wahnsinniger Schmerz schüttelte ihn. Seit langem schon hatte er das unausweichliche Unheil, die entsetzliche Gewißheit nahen sehen, daß Frau von Ellissen nie die Seine würde. Solange aber Mira sich nicht ausgesprochen, hatte er nicht verstehen wollen. Er war mit seinen Schmerzen vorwärts geschritten, immer weiter, wie ein Mondsüchtiger dem Ziele zu, das er seit vielen Jahren, seit jeher, wie es ihm schien, verfolgte. Er hatte sie so geliebt, daß er sich einbildete und vielleicht war dem auch so, daß er sie noch immer so begehrte wie in den ersten Tagen der Leidenschaft, in denen seine erwachenden Sinne sich ihr zugewandt. Er sah nicht ihre dreißig Jahre herankommen, in seinen Liebesträumen erschien sie ihm schöner als je, frisch, schlank, mit ihren großen Kinderaugen und ihrem naiven Mund. Und immer wieder kehrte er zu ihrer Schönheit zurück, als der Quelle seines ersten Sehnens,
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Zitationshilfe: | Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/60>, abgerufen am 27.07.2024. |