Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905mehrere Tausende. Wissen Sie, wie viel sie verdient? Dreitausend Franken. Davon lebt sie, sehr anständig und unterstützt noch Bedürftige. Niemand weiß es, ihre Barmherzigkeit, ihre Güte übt sie im geheimen, ebenso wie ihre Frömmigkeit. Denn nur selten kann man sie in eine religiöse Diskussion verwickeln. Sie lächelt bloß, läßt die Leute reden, alles reden: ihrem reichen weiten Geist wohnt Verständnis und Duldsamkeit inne. Aber sie bewahrt ihren Glauben, ihren Schatz, ihre Leuchte, ihre Freude. Oh ja! ich beneide sie!" Fred legte leicht seine Hand auf die der jungen Frau: "Sie haben doch, was Herzensgüte betrifft, sie um nichts zu beneiden, Mira!" "O, schweigen Sie, Fred!" sagte sie leise errötend, "gegen die Miß bin ich nur eine elende Egoistin." "Also," erwiederte der junge Mann lächelnd und hielt ihre Hand fest, "dann kommen Sie doch auf den Ball der Präfektur?" "Warum?" fragte Frau von Ellissen erregt. "Sie wissen doch, Fred, daß ich auf keinen Ball mehr gehe, daß ich in einigen Tagen dreißig Jahre alt werde." "Und man spricht schon von der Toilette, die Sie tragen werden. Alles weiß man in diesen kleinen Städten." mehrere Tausende. Wissen Sie, wie viel sie verdient? Dreitausend Franken. Davon lebt sie, sehr anständig und unterstützt noch Bedürftige. Niemand weiß es, ihre Barmherzigkeit, ihre Güte übt sie im geheimen, ebenso wie ihre Frömmigkeit. Denn nur selten kann man sie in eine religiöse Diskussion verwickeln. Sie lächelt bloß, läßt die Leute reden, alles reden: ihrem reichen weiten Geist wohnt Verständnis und Duldsamkeit inne. Aber sie bewahrt ihren Glauben, ihren Schatz, ihre Leuchte, ihre Freude. Oh ja! ich beneide sie!“ Fred legte leicht seine Hand auf die der jungen Frau: „Sie haben doch, was Herzensgüte betrifft, sie um nichts zu beneiden, Mira!“ „O, schweigen Sie, Fred!“ sagte sie leise errötend, „gegen die Miß bin ich nur eine elende Egoistin.“ „Also,“ erwiederte der junge Mann lächelnd und hielt ihre Hand fest, „dann kommen Sie doch auf den Ball der Präfektur?“ „Warum?“ fragte Frau von Ellissen erregt. „Sie wissen doch, Fred, daß ich auf keinen Ball mehr gehe, daß ich in einigen Tagen dreißig Jahre alt werde.“ „Und man spricht schon von der Toilette, die Sie tragen werden. Alles weiß man in diesen kleinen Städten.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="31"/> mehrere Tausende. Wissen Sie, wie viel sie verdient? Dreitausend Franken. Davon lebt sie, sehr anständig und unterstützt noch Bedürftige. Niemand weiß es, ihre Barmherzigkeit, ihre Güte übt sie im geheimen, ebenso wie ihre Frömmigkeit. Denn nur selten kann man sie in eine religiöse Diskussion verwickeln. Sie lächelt bloß, läßt die Leute reden, alles reden: ihrem reichen weiten Geist wohnt Verständnis und Duldsamkeit inne. Aber sie bewahrt ihren Glauben, ihren Schatz, ihre Leuchte, ihre Freude. Oh ja! ich beneide sie!“</p> <p>Fred legte leicht seine Hand auf die der jungen Frau:</p> <p>„Sie haben doch, was Herzensgüte betrifft, sie um nichts zu beneiden, Mira!“</p> <p>„O, schweigen Sie, Fred!“ sagte sie leise errötend, „gegen die Miß bin ich nur eine elende Egoistin.“</p> <p>„Also,“ erwiederte der junge Mann lächelnd und hielt ihre Hand fest, „dann kommen Sie doch auf den Ball der Präfektur?“</p> <p>„Warum?“ fragte Frau von Ellissen erregt. „Sie wissen doch, Fred, daß ich auf keinen Ball mehr gehe, daß ich in einigen Tagen dreißig Jahre alt werde.“</p> <p>„Und man spricht schon von der Toilette, die Sie tragen werden. Alles weiß man in diesen kleinen Städten.“</p> </div> </body> </text> </TEI> [31/0032]
mehrere Tausende. Wissen Sie, wie viel sie verdient? Dreitausend Franken. Davon lebt sie, sehr anständig und unterstützt noch Bedürftige. Niemand weiß es, ihre Barmherzigkeit, ihre Güte übt sie im geheimen, ebenso wie ihre Frömmigkeit. Denn nur selten kann man sie in eine religiöse Diskussion verwickeln. Sie lächelt bloß, läßt die Leute reden, alles reden: ihrem reichen weiten Geist wohnt Verständnis und Duldsamkeit inne. Aber sie bewahrt ihren Glauben, ihren Schatz, ihre Leuchte, ihre Freude. Oh ja! ich beneide sie!“
Fred legte leicht seine Hand auf die der jungen Frau:
„Sie haben doch, was Herzensgüte betrifft, sie um nichts zu beneiden, Mira!“
„O, schweigen Sie, Fred!“ sagte sie leise errötend, „gegen die Miß bin ich nur eine elende Egoistin.“
„Also,“ erwiederte der junge Mann lächelnd und hielt ihre Hand fest, „dann kommen Sie doch auf den Ball der Präfektur?“
„Warum?“ fragte Frau von Ellissen erregt. „Sie wissen doch, Fred, daß ich auf keinen Ball mehr gehe, daß ich in einigen Tagen dreißig Jahre alt werde.“
„Und man spricht schon von der Toilette, die Sie tragen werden. Alles weiß man in diesen kleinen Städten.“
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Zitationshilfe: | Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/32>, abgerufen am 16.02.2025. |