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Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

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Fenster zuzusehen wie die Schwalben vorbeifliegen, während ich in meinem Zimmer vergraben bleibe und damit beschäftigt bin, den Plafond mit einer Hartnäckigkeit zu betrachten, die ich anfange unerträglich zu finden. Wenn ich dich richtig beurteilt habe, so muß ich sagen, daß das Milieu in dem wir leben, - wenn man das "leben" nennen kann - deinen Inspirationen nicht günstig ist. Wir müssen also auf eine Einsamkeitsexistenz im entferntesten Provinzwinkel verzichten, wo dein Gehirn keine Nahrung, keine Anregung erhält. Ist das nicht wahr?"

"Das ist richtig" sagte er.

"Man baut nicht ein Monument, wenn man nur den Grundriß dazu macht. Man braucht auch Marmor für den Aufbau. - .. Strebe doch der Laufbahn zu, die allen offen ist, der Quelle zu, aus der alle schöpfen. Lasse uns in der Hauptstadt leben! Dort wirst du mit berühmten Künstlern Verkehr haben, wirst ihre Ideen kennen lernen, und wirst daran deine Phantasie entzünden. Das kritische Betrachten schöner Kunstwerke wird deine schöpferische Kraft anspornen. Du wirst es anders machen wollen, und wirst es besser machen, und der Erfolg wird riesenhaft anwachsen. Es ist meine Pflicht dich mit

Fenster zuzusehen wie die Schwalben vorbeifliegen, während ich in meinem Zimmer vergraben bleibe und damit beschäftigt bin, den Plafond mit einer Hartnäckigkeit zu betrachten, die ich anfange unerträglich zu finden. Wenn ich dich richtig beurteilt habe, so muß ich sagen, daß das Milieu in dem wir leben, – wenn man das „leben“ nennen kann – deinen Inspirationen nicht günstig ist. Wir müssen also auf eine Einsamkeitsexistenz im entferntesten Provinzwinkel verzichten, wo dein Gehirn keine Nahrung, keine Anregung erhält. Ist das nicht wahr?“

„Das ist richtig“ sagte er.

„Man baut nicht ein Monument, wenn man nur den Grundriß dazu macht. Man braucht auch Marmor für den Aufbau. – .. Strebe doch der Laufbahn zu, die allen offen ist, der Quelle zu, aus der alle schöpfen. Lasse uns in der Hauptstadt leben! Dort wirst du mit berühmten Künstlern Verkehr haben, wirst ihre Ideen kennen lernen, und wirst daran deine Phantasie entzünden. Das kritische Betrachten schöner Kunstwerke wird deine schöpferische Kraft anspornen. Du wirst es anders machen wollen, und wirst es besser machen, und der Erfolg wird riesenhaft anwachsen. Es ist meine Pflicht dich mit

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[270/0271] Fenster zuzusehen wie die Schwalben vorbeifliegen, während ich in meinem Zimmer vergraben bleibe und damit beschäftigt bin, den Plafond mit einer Hartnäckigkeit zu betrachten, die ich anfange unerträglich zu finden. Wenn ich dich richtig beurteilt habe, so muß ich sagen, daß das Milieu in dem wir leben, – wenn man das „leben“ nennen kann – deinen Inspirationen nicht günstig ist. Wir müssen also auf eine Einsamkeitsexistenz im entferntesten Provinzwinkel verzichten, wo dein Gehirn keine Nahrung, keine Anregung erhält. Ist das nicht wahr?“ „Das ist richtig“ sagte er. „Man baut nicht ein Monument, wenn man nur den Grundriß dazu macht. Man braucht auch Marmor für den Aufbau. – .. Strebe doch der Laufbahn zu, die allen offen ist, der Quelle zu, aus der alle schöpfen. Lasse uns in der Hauptstadt leben! Dort wirst du mit berühmten Künstlern Verkehr haben, wirst ihre Ideen kennen lernen, und wirst daran deine Phantasie entzünden. Das kritische Betrachten schöner Kunstwerke wird deine schöpferische Kraft anspornen. Du wirst es anders machen wollen, und wirst es besser machen, und der Erfolg wird riesenhaft anwachsen. Es ist meine Pflicht dich mit

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Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/271>, abgerufen am 12.12.2024.