Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

Bild:
<< vorherige Seite

Als am Ende des Kais Frau von Ellissen's Wagen über die Brücke fuhr und in die große Allee einbog, die von mächtigen, säulengleichen Ulmen gebildet war, schweiften ihre Augen, bewegt vom Anblick der Fabriksgebäude, die einst ihr Eigentum gewesen und die Erinnerung an eine schon ferne Vergangenheit aufrollten, liebevoll über die grünende Ebene mit ihren Gärten, ihren Häuschen, die sich bis an die, den Horizont abschließenden, nur durch den Einschnitt des Flusses unterbrochenen, von leichtem Nebel bedeckten Anhöhen erstreckten.

Ihre Träumerei pflegte sich ihrer Umgebung anzupassen und je nach der Gegend, durch die sie kam, zu wechseln. In ihrer zarten Empfindsamkeit war sie allen äußeren Eindrücken preisgegeben. Sie behauptete, vom Reflex der Dinge auf beinahe brutale Weise "berührt" zu werden, so daß sie von plötzlichen Schmerzgefühlen zu unerwarteter Freude übergehen konnte ohne sich dessen erwehren zu können. Und sie versuchte das nicht einmal, als ob sie an einer Erkrankung des Willens litte, die nur dann aufhörte, wenn es galt, einen Kampf zu Gunsten anderer zu führen. Die zarten Blüten zwischen dem jungen Grün, die Freude, die aus den neuverjüngten Wiesen

Als am Ende des Kais Frau von Ellissen’s Wagen über die Brücke fuhr und in die große Allee einbog, die von mächtigen, säulengleichen Ulmen gebildet war, schweiften ihre Augen, bewegt vom Anblick der Fabriksgebäude, die einst ihr Eigentum gewesen und die Erinnerung an eine schon ferne Vergangenheit aufrollten, liebevoll über die grünende Ebene mit ihren Gärten, ihren Häuschen, die sich bis an die, den Horizont abschließenden, nur durch den Einschnitt des Flusses unterbrochenen, von leichtem Nebel bedeckten Anhöhen erstreckten.

Ihre Träumerei pflegte sich ihrer Umgebung anzupassen und je nach der Gegend, durch die sie kam, zu wechseln. In ihrer zarten Empfindsamkeit war sie allen äußeren Eindrücken preisgegeben. Sie behauptete, vom Reflex der Dinge auf beinahe brutale Weise „berührt“ zu werden, so daß sie von plötzlichen Schmerzgefühlen zu unerwarteter Freude übergehen konnte ohne sich dessen erwehren zu können. Und sie versuchte das nicht einmal, als ob sie an einer Erkrankung des Willens litte, die nur dann aufhörte, wenn es galt, einen Kampf zu Gunsten anderer zu führen. Die zarten Blüten zwischen dem jungen Grün, die Freude, die aus den neuverjüngten Wiesen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0017" n="16"/>
        <p>Als am Ende des Kais Frau von Ellissen&#x2019;s Wagen über die Brücke fuhr und in die große Allee einbog, die von mächtigen, säulengleichen Ulmen gebildet war, schweiften ihre Augen, bewegt vom Anblick der Fabriksgebäude, die einst ihr Eigentum gewesen und die Erinnerung an eine schon ferne Vergangenheit aufrollten, liebevoll über die grünende Ebene mit ihren Gärten, ihren Häuschen, die sich bis an die, den Horizont abschließenden, nur durch den Einschnitt des Flusses unterbrochenen, von leichtem Nebel bedeckten Anhöhen erstreckten.</p>
        <p>Ihre Träumerei pflegte sich ihrer Umgebung anzupassen und je nach der Gegend, durch die sie kam, zu wechseln. In ihrer zarten Empfindsamkeit war sie allen äußeren Eindrücken preisgegeben. Sie behauptete, vom Reflex der Dinge auf beinahe brutale Weise &#x201E;berührt&#x201C; zu werden, so daß sie von plötzlichen Schmerzgefühlen zu unerwarteter Freude übergehen konnte ohne sich dessen erwehren zu können. Und sie versuchte das nicht einmal, als ob sie an einer Erkrankung des Willens litte, die nur dann aufhörte, wenn es galt, einen Kampf zu Gunsten anderer zu führen. Die zarten Blüten zwischen dem jungen Grün, die Freude, die aus den neuverjüngten Wiesen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0017] Als am Ende des Kais Frau von Ellissen’s Wagen über die Brücke fuhr und in die große Allee einbog, die von mächtigen, säulengleichen Ulmen gebildet war, schweiften ihre Augen, bewegt vom Anblick der Fabriksgebäude, die einst ihr Eigentum gewesen und die Erinnerung an eine schon ferne Vergangenheit aufrollten, liebevoll über die grünende Ebene mit ihren Gärten, ihren Häuschen, die sich bis an die, den Horizont abschließenden, nur durch den Einschnitt des Flusses unterbrochenen, von leichtem Nebel bedeckten Anhöhen erstreckten. Ihre Träumerei pflegte sich ihrer Umgebung anzupassen und je nach der Gegend, durch die sie kam, zu wechseln. In ihrer zarten Empfindsamkeit war sie allen äußeren Eindrücken preisgegeben. Sie behauptete, vom Reflex der Dinge auf beinahe brutale Weise „berührt“ zu werden, so daß sie von plötzlichen Schmerzgefühlen zu unerwarteter Freude übergehen konnte ohne sich dessen erwehren zu können. Und sie versuchte das nicht einmal, als ob sie an einer Erkrankung des Willens litte, die nur dann aufhörte, wenn es galt, einen Kampf zu Gunsten anderer zu führen. Die zarten Blüten zwischen dem jungen Grün, die Freude, die aus den neuverjüngten Wiesen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/17
Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/17>, abgerufen am 24.11.2024.