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Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

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neigte sich demütig vor dem Allerheiligsten und warf einen Blick auf die Orgel. Da niemand mehr dort war, verließ sie raschen Schrittes die Kirche, stieg in den Wagen und rief dem Kutscher zu:

"Nach Hause."

Von der Schwelle ihrer Läden sahen ihr die Kaufleute freundlich nach und riefen einander, wie jedesmal die Worte zu:

"Die schöne Frau von Elissen! ..."

"Eine so gute liebenswürdige Dame!"

Der Wagen bog ein und fuhr über die Kais entlang an den großen Fabriken, in welchen Tuche, der berühmte Industrieartikel des Landes, gewebt, gewalkt und gefärbt wurden.

Während der Fahrt mußte Frau von Ellissen oft nach rechts und links grüßen, da sie Arbeitern begegnete, die sie alle kannten. Denn sie hatte den schönsten Teil ihrer Jugend, ihre Mädchenjahre, hier verbracht. Und obgleich die Fabrik nach dem Tode ihres Mannes verkauft worden war, war ihr Interesse für das Schicksal und das Elend der Arbeiter immer noch rege geblieben. Keiner von ihnen hatte den Weg zum Landhause vor den Toren der Stadt vergessen, das sie damals stets durch einige Sommermonate

neigte sich demütig vor dem Allerheiligsten und warf einen Blick auf die Orgel. Da niemand mehr dort war, verließ sie raschen Schrittes die Kirche, stieg in den Wagen und rief dem Kutscher zu:

„Nach Hause.“

Von der Schwelle ihrer Läden sahen ihr die Kaufleute freundlich nach und riefen einander, wie jedesmal die Worte zu:

„Die schöne Frau von Elissen! …“

„Eine so gute liebenswürdige Dame!“

Der Wagen bog ein und fuhr über die Kais entlang an den großen Fabriken, in welchen Tuche, der berühmte Industrieartikel des Landes, gewebt, gewalkt und gefärbt wurden.

Während der Fahrt mußte Frau von Ellissen oft nach rechts und links grüßen, da sie Arbeitern begegnete, die sie alle kannten. Denn sie hatte den schönsten Teil ihrer Jugend, ihre Mädchenjahre, hier verbracht. Und obgleich die Fabrik nach dem Tode ihres Mannes verkauft worden war, war ihr Interesse für das Schicksal und das Elend der Arbeiter immer noch rege geblieben. Keiner von ihnen hatte den Weg zum Landhause vor den Toren der Stadt vergessen, das sie damals stets durch einige Sommermonate

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[13/0014] neigte sich demütig vor dem Allerheiligsten und warf einen Blick auf die Orgel. Da niemand mehr dort war, verließ sie raschen Schrittes die Kirche, stieg in den Wagen und rief dem Kutscher zu: „Nach Hause.“ Von der Schwelle ihrer Läden sahen ihr die Kaufleute freundlich nach und riefen einander, wie jedesmal die Worte zu: „Die schöne Frau von Elissen! …“ „Eine so gute liebenswürdige Dame!“ Der Wagen bog ein und fuhr über die Kais entlang an den großen Fabriken, in welchen Tuche, der berühmte Industrieartikel des Landes, gewebt, gewalkt und gefärbt wurden. Während der Fahrt mußte Frau von Ellissen oft nach rechts und links grüßen, da sie Arbeitern begegnete, die sie alle kannten. Denn sie hatte den schönsten Teil ihrer Jugend, ihre Mädchenjahre, hier verbracht. Und obgleich die Fabrik nach dem Tode ihres Mannes verkauft worden war, war ihr Interesse für das Schicksal und das Elend der Arbeiter immer noch rege geblieben. Keiner von ihnen hatte den Weg zum Landhause vor den Toren der Stadt vergessen, das sie damals stets durch einige Sommermonate

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Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/14>, abgerufen am 29.03.2024.