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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Güte Jesu gegen den gefallenen Petrum.
da er seinem Tode entgegen sieht, läßt er seinen verlohr-
nen Sohn vor sein Sterbebette kommen. Seine To-
desangst erlaubt ihm nicht zu sprechen, aber er blickt ihn
an; und dieser letzte Blick der halbgebrochnen Augen
soll ihm seine Zärtlichkeit, seine Sorge für desselben
Wohl entdecken. Aber zu schwach ist dieses Bild, die
Zärtlichkeit der Blicke Jesu, die er auf Petrum warf,
vorzustellen. Mit unwiederstehlicher Güte sah er ihn
an, und so verstellt auch sein Antlitz war, so war den-
noch die Sanftmuth, die Leutseligkeit, die Menschen-
liebe aus allen Zügen sichtbar. Und, o Petrus! in wel-
che Abgründe des Elendes würde deine Seele versenkt
worden seyn, wenn Jesus nicht diese Zärtlichkeit an dir
bewiesen hätte? Wie nahe warst du vielleicht der Ge-
fahr, immer weiter auf dem Lasterwege fortzugehen, im-
mer kaltsinniger gegen deinen Meister zu werden, im-
mer mehr dein Herz gegen alle Eindrücke der Wahr-
heit zu verhärtern! Vielleicht würdest du schlaftrunken
fortgegangen seyn: oder vielleicht würde dich dein Gewis-
sen bis zur Verzweiflung gemartert haben! Welche un-
beschreibliche Liebe! Jesus blickt dich in diesem für dich
entscheidenden Zeitpunkt an. Sein Blick soll dich an dei-
ne Gelübde, und an deine Betheurungen erinnern. Sein
Blick sollte dein Herz mit Schaam und Reue erfüllen. Sein
Blick sollte dich aus dem Schlummer erwecken. Sein
Blick sollte dich abhalten, weiter fortzusündigen. Sein
Blick sollte dich in der Einsamkeit aufrichten, und dich von
der fortdaurenden Liebe deines Meisters überzeugen. Dis
alles suchte Jesus bey dem Petrus zu erhalten. Und ge-
priesen sey seine Gnade, daß sie sich nicht vergeblich um
die Rettung dieses verlohrnen Sünders bemühet hat!

Aber auch an mir hat sich deine Gnade, o Erbar-
mer! verherrlichet. Bist du es nicht, der mich von dem

We-
E 5

Güte Jeſu gegen den gefallenen Petrum.
da er ſeinem Tode entgegen ſieht, läßt er ſeinen verlohr-
nen Sohn vor ſein Sterbebette kommen. Seine To-
desangſt erlaubt ihm nicht zu ſprechen, aber er blickt ihn
an; und dieſer letzte Blick der halbgebrochnen Augen
ſoll ihm ſeine Zärtlichkeit, ſeine Sorge für deſſelben
Wohl entdecken. Aber zu ſchwach iſt dieſes Bild, die
Zärtlichkeit der Blicke Jeſu, die er auf Petrum warf,
vorzuſtellen. Mit unwiederſtehlicher Güte ſah er ihn
an, und ſo verſtellt auch ſein Antlitz war, ſo war den-
noch die Sanftmuth, die Leutſeligkeit, die Menſchen-
liebe aus allen Zügen ſichtbar. Und, o Petrus! in wel-
che Abgründe des Elendes würde deine Seele verſenkt
worden ſeyn, wenn Jeſus nicht dieſe Zärtlichkeit an dir
bewieſen hätte? Wie nahe warſt du vielleicht der Ge-
fahr, immer weiter auf dem Laſterwege fortzugehen, im-
mer kaltſinniger gegen deinen Meiſter zu werden, im-
mer mehr dein Herz gegen alle Eindrücke der Wahr-
heit zu verhärtern! Vielleicht würdeſt du ſchlaftrunken
fortgegangen ſeyn: oder vielleicht würde dich dein Gewiſ-
ſen bis zur Verzweiflung gemartert haben! Welche un-
beſchreibliche Liebe! Jeſus blickt dich in dieſem für dich
entſcheidenden Zeitpunkt an. Sein Blick ſoll dich an dei-
ne Gelübde, und an deine Betheurungen erinnern. Sein
Blick ſollte dein Herz mit Schaam und Reue erfüllen. Sein
Blick ſollte dich aus dem Schlummer erwecken. Sein
Blick ſollte dich abhalten, weiter fortzuſündigen. Sein
Blick ſollte dich in der Einſamkeit aufrichten, und dich von
der fortdaurenden Liebe deines Meiſters überzeugen. Dis
alles ſuchte Jeſus bey dem Petrus zu erhalten. Und ge-
prieſen ſey ſeine Gnade, daß ſie ſich nicht vergeblich um
die Rettung dieſes verlohrnen Sünders bemühet hat!

Aber auch an mir hat ſich deine Gnade, o Erbar-
mer! verherrlichet. Biſt du es nicht, der mich von dem

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E 5
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[73/0095] Güte Jeſu gegen den gefallenen Petrum. da er ſeinem Tode entgegen ſieht, läßt er ſeinen verlohr- nen Sohn vor ſein Sterbebette kommen. Seine To- desangſt erlaubt ihm nicht zu ſprechen, aber er blickt ihn an; und dieſer letzte Blick der halbgebrochnen Augen ſoll ihm ſeine Zärtlichkeit, ſeine Sorge für deſſelben Wohl entdecken. Aber zu ſchwach iſt dieſes Bild, die Zärtlichkeit der Blicke Jeſu, die er auf Petrum warf, vorzuſtellen. Mit unwiederſtehlicher Güte ſah er ihn an, und ſo verſtellt auch ſein Antlitz war, ſo war den- noch die Sanftmuth, die Leutſeligkeit, die Menſchen- liebe aus allen Zügen ſichtbar. Und, o Petrus! in wel- che Abgründe des Elendes würde deine Seele verſenkt worden ſeyn, wenn Jeſus nicht dieſe Zärtlichkeit an dir bewieſen hätte? Wie nahe warſt du vielleicht der Ge- fahr, immer weiter auf dem Laſterwege fortzugehen, im- mer kaltſinniger gegen deinen Meiſter zu werden, im- mer mehr dein Herz gegen alle Eindrücke der Wahr- heit zu verhärtern! Vielleicht würdeſt du ſchlaftrunken fortgegangen ſeyn: oder vielleicht würde dich dein Gewiſ- ſen bis zur Verzweiflung gemartert haben! Welche un- beſchreibliche Liebe! Jeſus blickt dich in dieſem für dich entſcheidenden Zeitpunkt an. Sein Blick ſoll dich an dei- ne Gelübde, und an deine Betheurungen erinnern. Sein Blick ſollte dein Herz mit Schaam und Reue erfüllen. Sein Blick ſollte dich aus dem Schlummer erwecken. Sein Blick ſollte dich abhalten, weiter fortzuſündigen. Sein Blick ſollte dich in der Einſamkeit aufrichten, und dich von der fortdaurenden Liebe deines Meiſters überzeugen. Dis alles ſuchte Jeſus bey dem Petrus zu erhalten. Und ge- prieſen ſey ſeine Gnade, daß ſie ſich nicht vergeblich um die Rettung dieſes verlohrnen Sünders bemühet hat! Aber auch an mir hat ſich deine Gnade, o Erbar- mer! verherrlichet. Biſt du es nicht, der mich von dem We- E 5

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/95>, abgerufen am 22.11.2024.