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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Sechste Betrachtung.
pfen Odem, Leben und Stärke giebt? Ist ers, auf des-
sen Wink alle Creaturen vergehen, und alle Sünder verza-
gen müssen? Ja, du bist es. Dieses Wunder beweißt
die Allmacht, die in dir wohnte. Welch einen Sieg er-
hieltst du über die Bosheit deiner Feinde! In stolzer Zu-
versicht auf ihre Macht, auf ihre Menge, auf ihre Waf-
fen näherten sie sich dir und der kleinen wehrlosen Schaar
deiner Jünger. Ihres Siegs gewiß, freueten sie sich
schon in ihrer Bosheis, dich überwältiget und deine Freun-
de zerstreut zu haben. Aber wie machtest du ihre stolzen
Anschläge zu Schanden! Ein Wort aus deinem Munde
schlägt sie darnieder; und hier liegen die Ruhmredigen,
gleich als durch einen Donnerstrahl zur Erde hingedon-
nert, und erwarten von deiner Gnade ihr neues Leben.
Ja es war Gnade meines Jesu, daß sie durch sein Wort
nur erschreckt, nicht verletzt, nur betäubt, nicht getödtet
wurden. Er zeigte ihnen, was er thun könnte, wenn er
nach seiner Macht handlen wollte. Aber sie erkannten
weder seine Macht noch Güte: kaum war ihnen die Kraft
geschenkt, von der Erde aufzustehen, so fiengen sie aufs
neue an, ihre verrätherischen Anschläge zu vollführen. Der
Verräther durch das nicht abgeschreckt, was er selbst viel-
leicht mit den Genossen seines Frevels erfahren, nahet sich,
seinen Meister zu küssen, und dadurch zu erkennen zu ge-
ben, daß es Zeit wäre, Jesum zu greifen. Und alsbald
traten sie auch hinzu und legten die Hände an Jesu.

Diese Feinde Jesu sind ein Bild von allen Veräch-
tern Jesu und seiner Gnade. Wie oft wirft der Herr
durch Krankheit und andere Zufälle seine Feinde nieder!
Wie ost bringt er sie ihrem Grabe nahe, um sie durch die
Schrecken des Gerichts und der Ewigkeit aus ihrem
Schlummer zu erwecken! Aber selten erhält er seine Ab-
sichten. Kaum haben sie wieder ihre Kräfte gesammlet,

kaum

Sechſte Betrachtung.
pfen Odem, Leben und Stärke giebt? Iſt ers, auf deſ-
ſen Wink alle Creaturen vergehen, und alle Sünder verza-
gen müſſen? Ja, du biſt es. Dieſes Wunder beweißt
die Allmacht, die in dir wohnte. Welch einen Sieg er-
hieltſt du über die Bosheit deiner Feinde! In ſtolzer Zu-
verſicht auf ihre Macht, auf ihre Menge, auf ihre Waf-
fen näherten ſie ſich dir und der kleinen wehrloſen Schaar
deiner Jünger. Ihres Siegs gewiß, freueten ſie ſich
ſchon in ihrer Bosheis, dich überwältiget und deine Freun-
de zerſtreut zu haben. Aber wie machteſt du ihre ſtolzen
Anſchläge zu Schanden! Ein Wort aus deinem Munde
ſchlägt ſie darnieder; und hier liegen die Ruhmredigen,
gleich als durch einen Donnerſtrahl zur Erde hingedon-
nert, und erwarten von deiner Gnade ihr neues Leben.
Ja es war Gnade meines Jeſu, daß ſie durch ſein Wort
nur erſchreckt, nicht verletzt, nur betäubt, nicht getödtet
wurden. Er zeigte ihnen, was er thun könnte, wenn er
nach ſeiner Macht handlen wollte. Aber ſie erkannten
weder ſeine Macht noch Güte: kaum war ihnen die Kraft
geſchenkt, von der Erde aufzuſtehen, ſo fiengen ſie aufs
neue an, ihre verrätheriſchen Anſchläge zu vollführen. Der
Verräther durch das nicht abgeſchreckt, was er ſelbſt viel-
leicht mit den Genoſſen ſeines Frevels erfahren, nahet ſich,
ſeinen Meiſter zu küſſen, und dadurch zu erkennen zu ge-
ben, daß es Zeit wäre, Jeſum zu greifen. Und alsbald
traten ſie auch hinzu und legten die Hände an Jeſu.

Dieſe Feinde Jeſu ſind ein Bild von allen Veräch-
tern Jeſu und ſeiner Gnade. Wie oft wirft der Herr
durch Krankheit und andere Zufälle ſeine Feinde nieder!
Wie oſt bringt er ſie ihrem Grabe nahe, um ſie durch die
Schrecken des Gerichts und der Ewigkeit aus ihrem
Schlummer zu erwecken! Aber ſelten erhält er ſeine Ab-
ſichten. Kaum haben ſie wieder ihre Kräfte geſammlet,

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[34/0056] Sechſte Betrachtung. pfen Odem, Leben und Stärke giebt? Iſt ers, auf deſ- ſen Wink alle Creaturen vergehen, und alle Sünder verza- gen müſſen? Ja, du biſt es. Dieſes Wunder beweißt die Allmacht, die in dir wohnte. Welch einen Sieg er- hieltſt du über die Bosheit deiner Feinde! In ſtolzer Zu- verſicht auf ihre Macht, auf ihre Menge, auf ihre Waf- fen näherten ſie ſich dir und der kleinen wehrloſen Schaar deiner Jünger. Ihres Siegs gewiß, freueten ſie ſich ſchon in ihrer Bosheis, dich überwältiget und deine Freun- de zerſtreut zu haben. Aber wie machteſt du ihre ſtolzen Anſchläge zu Schanden! Ein Wort aus deinem Munde ſchlägt ſie darnieder; und hier liegen die Ruhmredigen, gleich als durch einen Donnerſtrahl zur Erde hingedon- nert, und erwarten von deiner Gnade ihr neues Leben. Ja es war Gnade meines Jeſu, daß ſie durch ſein Wort nur erſchreckt, nicht verletzt, nur betäubt, nicht getödtet wurden. Er zeigte ihnen, was er thun könnte, wenn er nach ſeiner Macht handlen wollte. Aber ſie erkannten weder ſeine Macht noch Güte: kaum war ihnen die Kraft geſchenkt, von der Erde aufzuſtehen, ſo fiengen ſie aufs neue an, ihre verrätheriſchen Anſchläge zu vollführen. Der Verräther durch das nicht abgeſchreckt, was er ſelbſt viel- leicht mit den Genoſſen ſeines Frevels erfahren, nahet ſich, ſeinen Meiſter zu küſſen, und dadurch zu erkennen zu ge- ben, daß es Zeit wäre, Jeſum zu greifen. Und alsbald traten ſie auch hinzu und legten die Hände an Jeſu. Dieſe Feinde Jeſu ſind ein Bild von allen Veräch- tern Jeſu und ſeiner Gnade. Wie oft wirft der Herr durch Krankheit und andere Zufälle ſeine Feinde nieder! Wie oſt bringt er ſie ihrem Grabe nahe, um ſie durch die Schrecken des Gerichts und der Ewigkeit aus ihrem Schlummer zu erwecken! Aber ſelten erhält er ſeine Ab- ſichten. Kaum haben ſie wieder ihre Kräfte geſammlet, kaum

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/56>, abgerufen am 22.11.2024.