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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Dritte Betrachtung.
wiederholten malen so brünstig, daß doch dieser Kelch,
dieses ihm zugemessene Leiden, von ihm genommen wer-
den möchte. Wie beschämend ist sein Beyspiel für
mich! Wenn nur ein kleines Leiden über mich ver-
hängt ist, wie ungeduldig und ungläubig ist alsdann
mein Herz! Und wenn es dem Herrn gefiele, mir ei-
ne grosse Last von Trübsalen aufzulegen, wie wenig
würde ich alsdann meinem Erlöser ähnlich seyn! Nun,
ich will von dir, mein Heiland, die Kunst lernen, ru-
hig und standhaft zu leiden.

Mit welcher kindlichen Vertraulichkeit wendest du
dich zu deinem Vater! Er schien seine Liebe gegen
dich verläugnet zu haben, da er dich in seinem richterli-
chen Zorn mit allen Strafen der Sünden belegte. Aber
du bleibst ihm dennoch mit jener zärtlichen Liebe erge-
ben, die dein ganzes Herz erfüllte. Auch da nanntest du
ihn bey dem süssen Vaternamen, da er als Richter seine
ganze Strenge dich empfinden ließ. Nun komme eine
Angst über mich, die da wolle, ich will nicht muthloß
werden, nicht die Güte deiner Wege verkennen, nicht
von der Liebe meines Vaters weichen. Auch dann, wenn
du als Richter mit mir handelst, und ich deine schwere
züchtigende Hand fühlen werde, auch dann will ich sagen:
Abba! mein Vater! Und ich kann, ich darf so sagen,
da du mir das Recht erworben hast, den Richter mei-
nen Vater zu nennen. -- Allein diese kindliche Vertrau-
lichkeit des betenden Mittlers ist mit der tiefsten Demuth,
mit dem genauesten Gehorsam verbunden. Auf seinen
Knien, auf seinem Angesicht im Staube, liegt er da, und
seufzt aus seiner beklommenen Seele zu Gott empor. Ach,
ich Asche, ich Staub, wie kann ich mich tief genug vor
der Majestät meines Gottes erniedrigen? Wie kann
mein sündiges Herz zerschlagen und gedemüthiget genug

seyn,

Dritte Betrachtung.
wiederholten malen ſo brünſtig, daß doch dieſer Kelch,
dieſes ihm zugemeſſene Leiden, von ihm genommen wer-
den möchte. Wie beſchämend iſt ſein Beyſpiel für
mich! Wenn nur ein kleines Leiden über mich ver-
hängt iſt, wie ungeduldig und ungläubig iſt alsdann
mein Herz! Und wenn es dem Herrn gefiele, mir ei-
ne groſſe Laſt von Trübſalen aufzulegen, wie wenig
würde ich alsdann meinem Erlöſer ähnlich ſeyn! Nun,
ich will von dir, mein Heiland, die Kunſt lernen, ru-
hig und ſtandhaft zu leiden.

Mit welcher kindlichen Vertraulichkeit wendeſt du
dich zu deinem Vater! Er ſchien ſeine Liebe gegen
dich verläugnet zu haben, da er dich in ſeinem richterli-
chen Zorn mit allen Strafen der Sünden belegte. Aber
du bleibſt ihm dennoch mit jener zärtlichen Liebe erge-
ben, die dein ganzes Herz erfüllte. Auch da nannteſt du
ihn bey dem ſüſſen Vaternamen, da er als Richter ſeine
ganze Strenge dich empfinden ließ. Nun komme eine
Angſt über mich, die da wolle, ich will nicht muthloß
werden, nicht die Güte deiner Wege verkennen, nicht
von der Liebe meines Vaters weichen. Auch dann, wenn
du als Richter mit mir handelſt, und ich deine ſchwere
züchtigende Hand fühlen werde, auch dann will ich ſagen:
Abba! mein Vater! Und ich kann, ich darf ſo ſagen,
da du mir das Recht erworben haſt, den Richter mei-
nen Vater zu nennen. — Allein dieſe kindliche Vertrau-
lichkeit des betenden Mittlers iſt mit der tiefſten Demuth,
mit dem genaueſten Gehorſam verbunden. Auf ſeinen
Knien, auf ſeinem Angeſicht im Staube, liegt er da, und
ſeufzt aus ſeiner beklommenen Seele zu Gott empor. Ach,
ich Aſche, ich Staub, wie kann ich mich tief genug vor
der Majeſtät meines Gottes erniedrigen? Wie kann
mein ſündiges Herz zerſchlagen und gedemüthiget genug

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[24/0046] Dritte Betrachtung. wiederholten malen ſo brünſtig, daß doch dieſer Kelch, dieſes ihm zugemeſſene Leiden, von ihm genommen wer- den möchte. Wie beſchämend iſt ſein Beyſpiel für mich! Wenn nur ein kleines Leiden über mich ver- hängt iſt, wie ungeduldig und ungläubig iſt alsdann mein Herz! Und wenn es dem Herrn gefiele, mir ei- ne groſſe Laſt von Trübſalen aufzulegen, wie wenig würde ich alsdann meinem Erlöſer ähnlich ſeyn! Nun, ich will von dir, mein Heiland, die Kunſt lernen, ru- hig und ſtandhaft zu leiden. Mit welcher kindlichen Vertraulichkeit wendeſt du dich zu deinem Vater! Er ſchien ſeine Liebe gegen dich verläugnet zu haben, da er dich in ſeinem richterli- chen Zorn mit allen Strafen der Sünden belegte. Aber du bleibſt ihm dennoch mit jener zärtlichen Liebe erge- ben, die dein ganzes Herz erfüllte. Auch da nannteſt du ihn bey dem ſüſſen Vaternamen, da er als Richter ſeine ganze Strenge dich empfinden ließ. Nun komme eine Angſt über mich, die da wolle, ich will nicht muthloß werden, nicht die Güte deiner Wege verkennen, nicht von der Liebe meines Vaters weichen. Auch dann, wenn du als Richter mit mir handelſt, und ich deine ſchwere züchtigende Hand fühlen werde, auch dann will ich ſagen: Abba! mein Vater! Und ich kann, ich darf ſo ſagen, da du mir das Recht erworben haſt, den Richter mei- nen Vater zu nennen. — Allein dieſe kindliche Vertrau- lichkeit des betenden Mittlers iſt mit der tiefſten Demuth, mit dem genaueſten Gehorſam verbunden. Auf ſeinen Knien, auf ſeinem Angeſicht im Staube, liegt er da, und ſeufzt aus ſeiner beklommenen Seele zu Gott empor. Ach, ich Aſche, ich Staub, wie kann ich mich tief genug vor der Majeſtät meines Gottes erniedrigen? Wie kann mein ſündiges Herz zerſchlagen und gedemüthiget genug ſeyn,

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/46>, abgerufen am 21.11.2024.