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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Zweyter Abschnitt.
Praktische Anmerkungen.

1. Ich sehe an dem Beyspiele Jesu, mit welcher Gelindigkeit
und liebreichen Nachsicht ich mit Personen umzugehen habe, die
aus Vorurtheilen oder aus Uebereilung gewisse Fehltritte began-
gen haben.

2. Sich einer rechtmäßigen Obrigkeit widersetzen, gesetzt auch,
daß es zur Vertheidigung einer guten Sache geschehe, ist ein un-
erlaubter Eifer.

3. Unserm Jesu war an der Errettung der Sünder mehr, als
an seiner eigenen Sicherheit gelegen. Er hatte alle Mittel in
Händen, sich in Freyheit zu setzen, aber er gebrauchte sie nicht,
um die Absicht seiner Zukunft zu erfüllen.

4. In allen Umständen beruhigte Jesus sein Gemüth mit der
Vorstellung des Willens Gottes. Dieser war für ihn der
stärkste Bewegungsgrund, sich keinem Leiden zu entziehen.

5. Was Jesus ehemals lehrte, das übte er nunmehr selbst
aus. Er that seinen Beleidigern gutes.

6. Die Beweise der göttlichen Majestät, welche Jesus von
Zeit zu Zeit mitten unter seinem Leiden zu erkennen giebt, können
mich auf das stärkste überzeugen, daß dieser Leidende der einge-
bohrne Sohn Gottes ist.

10. Rede Christi an die Schaar.

So bald er nun durch diese wohlthätige Handlung die
Gemüther seiner Feinde besänftiget sahe, welche über das
Verfahren Petri aufgebracht worden waren, so richtete er
seine Rede zu der ganzen Schaar, die ihn überfallen hatte.
Besonders wandte er sich zu den Hohenpriestern, Tempel-
hauptleuten und Aeltesten des Volks. Denn die Heftig-
keit der Leidenschaft, und die Begierde, in einem Unter-
nehmen, an dessen Ausgang ihnen so viel gelegen war,
glücklich zu seyn, hatte über die sonst so stoltze Gesinnung
dieser Männer so viel Gewalt, daß sie sich selbst unter den
niedrigsten Pöbel mischten. Ihr seyd, sprach er zu ih-
nen, mit vieler bewafneten Mannschaft, mit Schwerd-

tern,
Zweyter Abſchnitt.
Praktiſche Anmerkungen.

1. Ich ſehe an dem Beyſpiele Jeſu, mit welcher Gelindigkeit
und liebreichen Nachſicht ich mit Perſonen umzugehen habe, die
aus Vorurtheilen oder aus Uebereilung gewiſſe Fehltritte began-
gen haben.

2. Sich einer rechtmäßigen Obrigkeit widerſetzen, geſetzt auch,
daß es zur Vertheidigung einer guten Sache geſchehe, iſt ein un-
erlaubter Eifer.

3. Unſerm Jeſu war an der Errettung der Sünder mehr, als
an ſeiner eigenen Sicherheit gelegen. Er hatte alle Mittel in
Händen, ſich in Freyheit zu ſetzen, aber er gebrauchte ſie nicht,
um die Abſicht ſeiner Zukunft zu erfüllen.

4. In allen Umſtänden beruhigte Jeſus ſein Gemüth mit der
Vorſtellung des Willens Gottes. Dieſer war für ihn der
ſtärkſte Bewegungsgrund, ſich keinem Leiden zu entziehen.

5. Was Jeſus ehemals lehrte, das übte er nunmehr ſelbſt
aus. Er that ſeinen Beleidigern gutes.

6. Die Beweiſe der göttlichen Majeſtät, welche Jeſus von
Zeit zu Zeit mitten unter ſeinem Leiden zu erkennen giebt, können
mich auf das ſtärkſte überzeugen, daß dieſer Leidende der einge-
bohrne Sohn Gottes iſt.

10. Rede Chriſti an die Schaar.

So bald er nun durch dieſe wohlthätige Handlung die
Gemüther ſeiner Feinde beſänftiget ſahe, welche über das
Verfahren Petri aufgebracht worden waren, ſo richtete er
ſeine Rede zu der ganzen Schaar, die ihn überfallen hatte.
Beſonders wandte er ſich zu den Hohenprieſtern, Tempel-
hauptleuten und Aelteſten des Volks. Denn die Heftig-
keit der Leidenſchaft, und die Begierde, in einem Unter-
nehmen, an deſſen Ausgang ihnen ſo viel gelegen war,
glücklich zu ſeyn, hatte über die ſonſt ſo ſtoltze Geſinnung
dieſer Männer ſo viel Gewalt, daß ſie ſich ſelbſt unter den
niedrigſten Pöbel miſchten. Ihr ſeyd, ſprach er zu ih-
nen, mit vieler bewafneten Mannſchaft, mit Schwerd-

tern,
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[232/0254] Zweyter Abſchnitt. Praktiſche Anmerkungen. 1. Ich ſehe an dem Beyſpiele Jeſu, mit welcher Gelindigkeit und liebreichen Nachſicht ich mit Perſonen umzugehen habe, die aus Vorurtheilen oder aus Uebereilung gewiſſe Fehltritte began- gen haben. 2. Sich einer rechtmäßigen Obrigkeit widerſetzen, geſetzt auch, daß es zur Vertheidigung einer guten Sache geſchehe, iſt ein un- erlaubter Eifer. 3. Unſerm Jeſu war an der Errettung der Sünder mehr, als an ſeiner eigenen Sicherheit gelegen. Er hatte alle Mittel in Händen, ſich in Freyheit zu ſetzen, aber er gebrauchte ſie nicht, um die Abſicht ſeiner Zukunft zu erfüllen. 4. In allen Umſtänden beruhigte Jeſus ſein Gemüth mit der Vorſtellung des Willens Gottes. Dieſer war für ihn der ſtärkſte Bewegungsgrund, ſich keinem Leiden zu entziehen. 5. Was Jeſus ehemals lehrte, das übte er nunmehr ſelbſt aus. Er that ſeinen Beleidigern gutes. 6. Die Beweiſe der göttlichen Majeſtät, welche Jeſus von Zeit zu Zeit mitten unter ſeinem Leiden zu erkennen giebt, können mich auf das ſtärkſte überzeugen, daß dieſer Leidende der einge- bohrne Sohn Gottes iſt. 10. Rede Chriſti an die Schaar. So bald er nun durch dieſe wohlthätige Handlung die Gemüther ſeiner Feinde beſänftiget ſahe, welche über das Verfahren Petri aufgebracht worden waren, ſo richtete er ſeine Rede zu der ganzen Schaar, die ihn überfallen hatte. Beſonders wandte er ſich zu den Hohenprieſtern, Tempel- hauptleuten und Aelteſten des Volks. Denn die Heftig- keit der Leidenſchaft, und die Begierde, in einem Unter- nehmen, an deſſen Ausgang ihnen ſo viel gelegen war, glücklich zu ſeyn, hatte über die ſonſt ſo ſtoltze Geſinnung dieſer Männer ſo viel Gewalt, daß ſie ſich ſelbſt unter den niedrigſten Pöbel miſchten. Ihr ſeyd, ſprach er zu ih- nen, mit vieler bewafneten Mannſchaft, mit Schwerd- tern,

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/254>, abgerufen am 23.11.2024.