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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Erst. Abschn. Von einigen Begebenheiten
ther, der unter ihnen gegenwärtig war, und dessen ruch-
lose Absicht er genau wußte.

Praktische Anmerkungen.

1. Es ist unsre Schuldigkeit, in welchen Stand uns auch
die Vorsehung gesetzt haben mag, uns zu den aufrichtigsten Lie-
besdiensten und Gefälligkeiten gegen unsre Mitbrüder herab-
zulassen.

2. Bey der so sehr eingeschränkten Kraft unsers Verstandes,
ist es nicht jederzeit möglich, die Absicht und den Ausgang der
Führungen Gottes einzusehen.

3. Gott pfleget bisweilen sich geringscheinender Mittel bey
seiner Regierung zu bedienen; allein wir können jederzeit ver-
sichert seyn, daß er herrliche Absichten mit uns im Sinne
habe.

4. Auch die redlichsten Seelen können in Zweifel und Unruhe
über die Wege Gottes gerathen.

7. Erklärung des Fußwaschens.

Nachdem Jesus seinen Jüngern die Füsse gewaschen
und sein Oberkleid wieder um sich geworfen hatte, so legte
er sich wieder zu Tische nieder. Allein da er bemerkte, wie
wenig seine Jünger die Absicht dieser Handlung einsahen,
so suchte er auch in diesem Stücke sie von ihren Vorur-
theilen zu befreyen und ihre Einsichten zu bessern. Habt
ihr wohl, sprach er, die Absicht meiner Handlung be-
griffen? Ihr seyd gewohnt, mich Lehrer und Herr
zu nennen. Ich tadle es nicht: denn ich bin euer
Lehrer, ich bin euer Herr.
Allein lernet an meinem
Beyspiele, was ihr als Schüler und Knechte zu
thun schuldig seyd. Habe ich, als euer Herr und
Lehrer, mich nicht geschämet, euch die Füsse zu wa-
schen; wie könnet ihr es für eine Erniedrigung hal-
ten, einander die Füsse zu waschen, ich will sagen,

euch

Erſt. Abſchn. Von einigen Begebenheiten
ther, der unter ihnen gegenwärtig war, und deſſen ruch-
loſe Abſicht er genau wußte.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Es iſt unſre Schuldigkeit, in welchen Stand uns auch
die Vorſehung geſetzt haben mag, uns zu den aufrichtigſten Lie-
besdienſten und Gefälligkeiten gegen unſre Mitbrüder herab-
zulaſſen.

2. Bey der ſo ſehr eingeſchränkten Kraft unſers Verſtandes,
iſt es nicht jederzeit möglich, die Abſicht und den Ausgang der
Führungen Gottes einzuſehen.

3. Gott pfleget bisweilen ſich geringſcheinender Mittel bey
ſeiner Regierung zu bedienen; allein wir können jederzeit ver-
ſichert ſeyn, daß er herrliche Abſichten mit uns im Sinne
habe.

4. Auch die redlichſten Seelen können in Zweifel und Unruhe
über die Wege Gottes gerathen.

7. Erklärung des Fußwaſchens.

Nachdem Jeſus ſeinen Jüngern die Füſſe gewaſchen
und ſein Oberkleid wieder um ſich geworfen hatte, ſo legte
er ſich wieder zu Tiſche nieder. Allein da er bemerkte, wie
wenig ſeine Jünger die Abſicht dieſer Handlung einſahen,
ſo ſuchte er auch in dieſem Stücke ſie von ihren Vorur-
theilen zu befreyen und ihre Einſichten zu beſſern. Habt
ihr wohl, ſprach er, die Abſicht meiner Handlung be-
griffen? Ihr ſeyd gewohnt, mich Lehrer und Herr
zu nennen. Ich tadle es nicht: denn ich bin euer
Lehrer, ich bin euer Herr.
Allein lernet an meinem
Beyſpiele, was ihr als Schüler und Knechte zu
thun ſchuldig ſeyd. Habe ich, als euer Herr und
Lehrer, mich nicht geſchämet, euch die Füſſe zu wa-
ſchen; wie könnet ihr es für eine Erniedrigung hal-
ten, einander die Füſſe zu waſchen, ich will ſagen,

euch
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[206/0228] Erſt. Abſchn. Von einigen Begebenheiten ther, der unter ihnen gegenwärtig war, und deſſen ruch- loſe Abſicht er genau wußte. Praktiſche Anmerkungen. 1. Es iſt unſre Schuldigkeit, in welchen Stand uns auch die Vorſehung geſetzt haben mag, uns zu den aufrichtigſten Lie- besdienſten und Gefälligkeiten gegen unſre Mitbrüder herab- zulaſſen. 2. Bey der ſo ſehr eingeſchränkten Kraft unſers Verſtandes, iſt es nicht jederzeit möglich, die Abſicht und den Ausgang der Führungen Gottes einzuſehen. 3. Gott pfleget bisweilen ſich geringſcheinender Mittel bey ſeiner Regierung zu bedienen; allein wir können jederzeit ver- ſichert ſeyn, daß er herrliche Abſichten mit uns im Sinne habe. 4. Auch die redlichſten Seelen können in Zweifel und Unruhe über die Wege Gottes gerathen. 7. Erklärung des Fußwaſchens. Nachdem Jeſus ſeinen Jüngern die Füſſe gewaſchen und ſein Oberkleid wieder um ſich geworfen hatte, ſo legte er ſich wieder zu Tiſche nieder. Allein da er bemerkte, wie wenig ſeine Jünger die Abſicht dieſer Handlung einſahen, ſo ſuchte er auch in dieſem Stücke ſie von ihren Vorur- theilen zu befreyen und ihre Einſichten zu beſſern. Habt ihr wohl, ſprach er, die Abſicht meiner Handlung be- griffen? Ihr ſeyd gewohnt, mich Lehrer und Herr zu nennen. Ich tadle es nicht: denn ich bin euer Lehrer, ich bin euer Herr. Allein lernet an meinem Beyſpiele, was ihr als Schüler und Knechte zu thun ſchuldig ſeyd. Habe ich, als euer Herr und Lehrer, mich nicht geſchämet, euch die Füſſe zu wa- ſchen; wie könnet ihr es für eine Erniedrigung hal- ten, einander die Füſſe zu waſchen, ich will ſagen, euch

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/228>, abgerufen am 25.11.2024.