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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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vor dem Leiden Jesu.
schürzte sich mit einem leinenen Schurze, welcher gemei-
niglich von Sklaven bey der Bedienung ihrer Herren
getragen wurde. Hierauf goß er Wasser in ein Gefäß,
welches in jedem Speisesaale vorhanden war, damit nach
jüdischem Gebrauche sowohl die Hände und Füsse, als auch
Becher und andre Geschirre abgewaschen werden konnten.
Nach dieser Zubereitung fieng er an, seinen Jüngern die
Füsse zu waschen, und sie sodann mit dem Tuche, womit er
umgürtet war, abzutrocknen. Als nun Petrum die Reihe
traf, weigerte er sich und sprach zu Jesu: Wie? du
Herr? du solltest mir die Füsse waschen?
Jesus
antwortete ihm: du siehest jetzt freylich nicht die Ab-
sicht dieser Handlung ein; allein du wirst es her-
nach erfahren.
Petrus, dem es immer noch eine für Je-
sum unschickliche Erniedrigung zu seyn schien, versetzte da-
gegen: nimmermehr sollst du mir die Füsse waschen.
Jesus gab ihm zur Antwort: wenn du nicht durch mich
gereiniget wirst, so hast du keinen Theil an mir.

Simon faßte nicht den ganzen Sinn dieses Ausspruches;
daher sprach er zu Jesu: Herr, so wasche mich; jedoch
nicht blos die Füsse, sondern auch die Hände und
das Haupt. Denn es ist mir nichts schätzbarer, als
Antheil an dir und deiner Liebe zu haben.
Jesus
antwortete ihm: Einer der ganz gewaschen ist, hat
nicht nöthig, gleich darauf nochmals gebadet zu wer-
den: es müßten denn die Füsse, die leichter, als der
übrige Körper, verunreiniget werden können, eine
Reinigung erfordern. Ich habe daher nicht nö-
thig, euch jetzt ganz zu waschen. Denn ihr seyd so-
wohl dem Leibe, als der Seele nach, rein; wiewohl
ich es nicht von allen ohne Ausnahme sagen kann.

Jesus zielte mit dieser Einschränkung auf den Verrä-

ther,

vor dem Leiden Jeſu.
ſchürzte ſich mit einem leinenen Schurze, welcher gemei-
niglich von Sklaven bey der Bedienung ihrer Herren
getragen wurde. Hierauf goß er Waſſer in ein Gefäß,
welches in jedem Speiſeſaale vorhanden war, damit nach
jüdiſchem Gebrauche ſowohl die Hände und Füſſe, als auch
Becher und andre Geſchirre abgewaſchen werden konnten.
Nach dieſer Zubereitung fieng er an, ſeinen Jüngern die
Füſſe zu waſchen, und ſie ſodann mit dem Tuche, womit er
umgürtet war, abzutrocknen. Als nun Petrum die Reihe
traf, weigerte er ſich und ſprach zu Jeſu: Wie? du
Herr? du ſollteſt mir die Füſſe waſchen?
Jeſus
antwortete ihm: du ſieheſt jetzt freylich nicht die Ab-
ſicht dieſer Handlung ein; allein du wirſt es her-
nach erfahren.
Petrus, dem es immer noch eine für Je-
ſum unſchickliche Erniedrigung zu ſeyn ſchien, verſetzte da-
gegen: nimmermehr ſollſt du mir die Füſſe waſchen.
Jeſus gab ihm zur Antwort: wenn du nicht durch mich
gereiniget wirſt, ſo haſt du keinen Theil an mir.

Simon faßte nicht den ganzen Sinn dieſes Ausſpruches;
daher ſprach er zu Jeſu: Herr, ſo waſche mich; jedoch
nicht blos die Füſſe, ſondern auch die Hände und
das Haupt. Denn es iſt mir nichts ſchätzbarer, als
Antheil an dir und deiner Liebe zu haben.
Jeſus
antwortete ihm: Einer der ganz gewaſchen iſt, hat
nicht nöthig, gleich darauf nochmals gebadet zu wer-
den: es müßten denn die Füſſe, die leichter, als der
übrige Körper, verunreiniget werden können, eine
Reinigung erfordern. Ich habe daher nicht nö-
thig, euch jetzt ganz zu waſchen. Denn ihr ſeyd ſo-
wohl dem Leibe, als der Seele nach, rein; wiewohl
ich es nicht von allen ohne Ausnahme ſagen kann.

Jeſus zielte mit dieſer Einſchränkung auf den Verrä-

ther,
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[205/0227] vor dem Leiden Jeſu. ſchürzte ſich mit einem leinenen Schurze, welcher gemei- niglich von Sklaven bey der Bedienung ihrer Herren getragen wurde. Hierauf goß er Waſſer in ein Gefäß, welches in jedem Speiſeſaale vorhanden war, damit nach jüdiſchem Gebrauche ſowohl die Hände und Füſſe, als auch Becher und andre Geſchirre abgewaſchen werden konnten. Nach dieſer Zubereitung fieng er an, ſeinen Jüngern die Füſſe zu waſchen, und ſie ſodann mit dem Tuche, womit er umgürtet war, abzutrocknen. Als nun Petrum die Reihe traf, weigerte er ſich und ſprach zu Jeſu: Wie? du Herr? du ſollteſt mir die Füſſe waſchen? Jeſus antwortete ihm: du ſieheſt jetzt freylich nicht die Ab- ſicht dieſer Handlung ein; allein du wirſt es her- nach erfahren. Petrus, dem es immer noch eine für Je- ſum unſchickliche Erniedrigung zu ſeyn ſchien, verſetzte da- gegen: nimmermehr ſollſt du mir die Füſſe waſchen. Jeſus gab ihm zur Antwort: wenn du nicht durch mich gereiniget wirſt, ſo haſt du keinen Theil an mir. Simon faßte nicht den ganzen Sinn dieſes Ausſpruches; daher ſprach er zu Jeſu: Herr, ſo waſche mich; jedoch nicht blos die Füſſe, ſondern auch die Hände und das Haupt. Denn es iſt mir nichts ſchätzbarer, als Antheil an dir und deiner Liebe zu haben. Jeſus antwortete ihm: Einer der ganz gewaſchen iſt, hat nicht nöthig, gleich darauf nochmals gebadet zu wer- den: es müßten denn die Füſſe, die leichter, als der übrige Körper, verunreiniget werden können, eine Reinigung erfordern. Ich habe daher nicht nö- thig, euch jetzt ganz zu waſchen. Denn ihr ſeyd ſo- wohl dem Leibe, als der Seele nach, rein; wiewohl ich es nicht von allen ohne Ausnahme ſagen kann. Jeſus zielte mit dieſer Einſchränkung auf den Verrä- ther,

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/227>, abgerufen am 25.11.2024.