Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Der rührende Anblick Jesu.
zer Seele zu preisen, und niemals zu vergessen, was er durch
seine Leiden euch erworben hat.

Seht, welch ein Mensch! Seht ihn an, o leiden-
de Christen! Ich kann es voraussetzen, daß viele von de-
nen, die diese Blätter lesen, solche seyn werden, die durch
Krankheit, Armuth und andere Widerwärtigkeiten, sehr
elende und erbarmenswürdige Menschen worden sind. Was
kann ich euch unter euren Trübsalen zu eurer Beruhigung
anders sagen, als: seht, welch ein Mensch ist euer Jesus!
Ich will eure Noth nicht verkleinern, ich will es glauben,
daß ihr sehr geplagte, sehr gemarterte Menschen seyd.
Aber, wenn auch eure Noth noch grösser, wenn euer
Schmerz noch empfindlicher wäre, würdet ihr wohl so
viel erdulden, als euer Jesus ertragen hat? Ihr seyd |ver-
achtet. Aber wird eure Verachtung je zu dem hohen Grade
steigen, zu welchem sie bey eurem Jesu gekommen ist? Ihr
seyd voller Striemen und Wunden. Aber vielleicht wird
ein Freund seyn, der euch verbindet und Oel in eure Wun-
den gießt? Ihr liegt als ein Marterbild da. Aber ihr
werdet doch mitleidige Herzen finden, welche euch trösten
und eure Quaal zu erleichtern suchen: ihr werdet doch zum
wenigsten unter euren Leiden nicht verspottet werden: ihr
werdet doch ein Plätzgen finden, wo ihr ausruhen kön-
net. Alle diese Erquickungen hatte Jesus bey seinem gros-
sen Leiden nicht. Und habt ihr nicht alles, was ihr
leidet, durch eure Missethaten verschuldet? Jesus aber
muste um seiner Unschuld willen solche Mißhandlungen
ausstehen. O stärket, stärket euch, matte zerschlagene
Seelen, durch den Anblick eurer leidenden Liebe. Samm-
let euch aus seinem Leiden Trost und Erquickung für euer
verwundetes Herz. Nehmt jeden Kelch, den euch euer
Vater reichet, mit Willigkeit aus seinen Händen hin,

und

Der rührende Anblick Jeſu.
zer Seele zu preiſen, und niemals zu vergeſſen, was er durch
ſeine Leiden euch erworben hat.

Seht, welch ein Menſch! Seht ihn an, o leiden-
de Chriſten! Ich kann es vorausſetzen, daß viele von de-
nen, die dieſe Blätter leſen, ſolche ſeyn werden, die durch
Krankheit, Armuth und andere Widerwärtigkeiten, ſehr
elende und erbarmenswürdige Menſchen worden ſind. Was
kann ich euch unter euren Trübſalen zu eurer Beruhigung
anders ſagen, als: ſeht, welch ein Menſch iſt euer Jeſus!
Ich will eure Noth nicht verkleinern, ich will es glauben,
daß ihr ſehr geplagte, ſehr gemarterte Menſchen ſeyd.
Aber, wenn auch eure Noth noch gröſſer, wenn euer
Schmerz noch empfindlicher wäre, würdet ihr wohl ſo
viel erdulden, als euer Jeſus ertragen hat? Ihr ſeyd |ver-
achtet. Aber wird eure Verachtung je zu dem hohen Grade
ſteigen, zu welchem ſie bey eurem Jeſu gekommen iſt? Ihr
ſeyd voller Striemen und Wunden. Aber vielleicht wird
ein Freund ſeyn, der euch verbindet und Oel in eure Wun-
den gießt? Ihr liegt als ein Marterbild da. Aber ihr
werdet doch mitleidige Herzen finden, welche euch tröſten
und eure Quaal zu erleichtern ſuchen: ihr werdet doch zum
wenigſten unter euren Leiden nicht verſpottet werden: ihr
werdet doch ein Plätzgen finden, wo ihr ausruhen kön-
net. Alle dieſe Erquickungen hatte Jeſus bey ſeinem groſ-
ſen Leiden nicht. Und habt ihr nicht alles, was ihr
leidet, durch eure Miſſethaten verſchuldet? Jeſus aber
muſte um ſeiner Unſchuld willen ſolche Mißhandlungen
ausſtehen. O ſtärket, ſtärket euch, matte zerſchlagene
Seelen, durch den Anblick eurer leidenden Liebe. Samm-
let euch aus ſeinem Leiden Troſt und Erquickung für euer
verwundetes Herz. Nehmt jeden Kelch, den euch euer
Vater reichet, mit Willigkeit aus ſeinen Händen hin,

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0147" n="125"/><fw place="top" type="header">Der rührende Anblick Je&#x017F;u.</fw><lb/>
zer Seele zu prei&#x017F;en, und niemals zu verge&#x017F;&#x017F;en, was er durch<lb/>
&#x017F;eine Leiden euch erworben hat.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Seht, welch ein Men&#x017F;ch!</hi> Seht ihn an, o leiden-<lb/>
de Chri&#x017F;ten! Ich kann es voraus&#x017F;etzen, daß viele von de-<lb/>
nen, die die&#x017F;e Blätter le&#x017F;en, &#x017F;olche &#x017F;eyn werden, die durch<lb/>
Krankheit, Armuth und andere Widerwärtigkeiten, &#x017F;ehr<lb/>
elende und erbarmenswürdige Men&#x017F;chen worden &#x017F;ind. Was<lb/>
kann ich euch unter euren Trüb&#x017F;alen zu eurer Beruhigung<lb/>
anders &#x017F;agen, als: &#x017F;eht, welch ein Men&#x017F;ch i&#x017F;t euer Je&#x017F;us!<lb/>
Ich will eure Noth nicht verkleinern, ich will es glauben,<lb/>
daß ihr &#x017F;ehr geplagte, &#x017F;ehr gemarterte Men&#x017F;chen &#x017F;eyd.<lb/>
Aber, wenn auch eure Noth noch grö&#x017F;&#x017F;er, wenn euer<lb/>
Schmerz noch empfindlicher wäre, würdet ihr wohl &#x017F;o<lb/>
viel erdulden, als euer Je&#x017F;us ertragen hat? Ihr &#x017F;eyd |ver-<lb/>
achtet. Aber wird eure Verachtung je zu dem hohen Grade<lb/>
&#x017F;teigen, zu welchem &#x017F;ie bey eurem Je&#x017F;u gekommen i&#x017F;t? Ihr<lb/>
&#x017F;eyd voller Striemen und Wunden. Aber vielleicht wird<lb/>
ein Freund &#x017F;eyn, der euch verbindet und Oel in eure Wun-<lb/>
den gießt? Ihr liegt als ein Marterbild da. Aber ihr<lb/>
werdet doch mitleidige Herzen finden, welche euch trö&#x017F;ten<lb/>
und eure Quaal zu erleichtern &#x017F;uchen: ihr werdet doch zum<lb/>
wenig&#x017F;ten unter euren Leiden nicht ver&#x017F;pottet werden: ihr<lb/>
werdet doch ein Plätzgen finden, wo ihr ausruhen kön-<lb/>
net. Alle die&#x017F;e Erquickungen hatte Je&#x017F;us bey &#x017F;einem gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Leiden nicht. Und habt ihr nicht alles, was ihr<lb/>
leidet, durch eure Mi&#x017F;&#x017F;ethaten ver&#x017F;chuldet? Je&#x017F;us aber<lb/>
mu&#x017F;te um &#x017F;einer Un&#x017F;chuld willen &#x017F;olche Mißhandlungen<lb/>
aus&#x017F;tehen. O &#x017F;tärket, &#x017F;tärket euch, matte zer&#x017F;chlagene<lb/>
Seelen, durch den Anblick eurer leidenden Liebe. Samm-<lb/>
let euch aus &#x017F;einem Leiden Tro&#x017F;t und Erquickung für euer<lb/>
verwundetes Herz. Nehmt jeden Kelch, den euch euer<lb/>
Vater reichet, mit Willigkeit aus &#x017F;einen Händen hin,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0147] Der rührende Anblick Jeſu. zer Seele zu preiſen, und niemals zu vergeſſen, was er durch ſeine Leiden euch erworben hat. Seht, welch ein Menſch! Seht ihn an, o leiden- de Chriſten! Ich kann es vorausſetzen, daß viele von de- nen, die dieſe Blätter leſen, ſolche ſeyn werden, die durch Krankheit, Armuth und andere Widerwärtigkeiten, ſehr elende und erbarmenswürdige Menſchen worden ſind. Was kann ich euch unter euren Trübſalen zu eurer Beruhigung anders ſagen, als: ſeht, welch ein Menſch iſt euer Jeſus! Ich will eure Noth nicht verkleinern, ich will es glauben, daß ihr ſehr geplagte, ſehr gemarterte Menſchen ſeyd. Aber, wenn auch eure Noth noch gröſſer, wenn euer Schmerz noch empfindlicher wäre, würdet ihr wohl ſo viel erdulden, als euer Jeſus ertragen hat? Ihr ſeyd |ver- achtet. Aber wird eure Verachtung je zu dem hohen Grade ſteigen, zu welchem ſie bey eurem Jeſu gekommen iſt? Ihr ſeyd voller Striemen und Wunden. Aber vielleicht wird ein Freund ſeyn, der euch verbindet und Oel in eure Wun- den gießt? Ihr liegt als ein Marterbild da. Aber ihr werdet doch mitleidige Herzen finden, welche euch tröſten und eure Quaal zu erleichtern ſuchen: ihr werdet doch zum wenigſten unter euren Leiden nicht verſpottet werden: ihr werdet doch ein Plätzgen finden, wo ihr ausruhen kön- net. Alle dieſe Erquickungen hatte Jeſus bey ſeinem groſ- ſen Leiden nicht. Und habt ihr nicht alles, was ihr leidet, durch eure Miſſethaten verſchuldet? Jeſus aber muſte um ſeiner Unſchuld willen ſolche Mißhandlungen ausſtehen. O ſtärket, ſtärket euch, matte zerſchlagene Seelen, durch den Anblick eurer leidenden Liebe. Samm- let euch aus ſeinem Leiden Troſt und Erquickung für euer verwundetes Herz. Nehmt jeden Kelch, den euch euer Vater reichet, mit Willigkeit aus ſeinen Händen hin, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/147
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/147>, abgerufen am 24.11.2024.