Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Sieben und zwanzigste Betrachtung.
Vater angenehm gemacht, und ihr könnt die grosse Hoff-
nung haben, einst um seiner erduldeten Schmach willen,
die Krone der Herrlichkeit zu erhalten.

Sehet, welch ein Mensch! Seht ihn an, ihr
redlichen Seelen, und laßt euch durch den Anblick seiner
Martern erwecken, den immer brünstiger, immer treuer,
immer standhafter zu lieben, der aus Liebe zu euch so tief,
so tief erniedriget, so unmenschlich mißhandelt worden ist.
Was würdet ihr thun, wenn ihr einen Freund hättet, der
an eurer Stelle alle Mühseligkeiten und Leiden übernähme?
Würde nicht da euer Herz zur inbrünstigsten Liebe hinge-
rissen werden? Und was seyd ihr eurem besten, treuesten
Freunde schuldig, der mehr an euch gethan hat, als ihr von
dem redlichgesinntesten Freunde erwarten konntet? Was sagt
euch sein zerfleischter, blutiger Leib, sein striemenvolles Ange-
sicht, sein gebeugtes gemartertes Herz? Ach, Liebe, Liebe
fordert alles von euch. Und ihr könnt nicht, ohne grau-
sam zu seyn, ihr könnt ihm dieses Opfer nicht versagen.
Wenn er von euch forderte, daß ihr, wie er, alle Schmach
und Schande von der Welt erdulden solltet; daß ihr, wie
er, die Schläge der Bosheit, die Wuth der Grausamkeit
erdulden solltet; wenn er von euch zum Beweise eurer Auf-
richtigkeit forderte, daß ihr einen Theil seiner Leiden tragen
solltet: könntet ihr euch dieser Pflicht entziehen? Ach,
alles was ihr auch dulden könntet, würde gegen dasjenige
wie nichts zu rechnen seyn, was euer Heiland erfahren
mußte. Jedoch, ein so schweres, ein so blutiges Opfer
verlangt er nicht von euch. Alles, wozu er euch auffor-
dert, ist, daß ihr ihn um seiner Leiden willen, lieben, und
ihm unveränderlich treu bleiben sollt. Nun, so entschlies-
set euch dann aufs neue, zu dieser so gerechten, so ange-
nehmen Pflicht. Gelobet es eurem Erlöser, ihn von gan-

zer

Sieben und zwanzigſte Betrachtung.
Vater angenehm gemacht, und ihr könnt die groſſe Hoff-
nung haben, einſt um ſeiner erduldeten Schmach willen,
die Krone der Herrlichkeit zu erhalten.

Sehet, welch ein Menſch! Seht ihn an, ihr
redlichen Seelen, und laßt euch durch den Anblick ſeiner
Martern erwecken, den immer brünſtiger, immer treuer,
immer ſtandhafter zu lieben, der aus Liebe zu euch ſo tief,
ſo tief erniedriget, ſo unmenſchlich mißhandelt worden iſt.
Was würdet ihr thun, wenn ihr einen Freund hättet, der
an eurer Stelle alle Mühſeligkeiten und Leiden übernähme?
Würde nicht da euer Herz zur inbrünſtigſten Liebe hinge-
riſſen werden? Und was ſeyd ihr eurem beſten, treueſten
Freunde ſchuldig, der mehr an euch gethan hat, als ihr von
dem redlichgeſinnteſten Freunde erwarten konntet? Was ſagt
euch ſein zerfleiſchter, blutiger Leib, ſein ſtriemenvolles Ange-
ſicht, ſein gebeugtes gemartertes Herz? Ach, Liebe, Liebe
fordert alles von euch. Und ihr könnt nicht, ohne grau-
ſam zu ſeyn, ihr könnt ihm dieſes Opfer nicht verſagen.
Wenn er von euch forderte, daß ihr, wie er, alle Schmach
und Schande von der Welt erdulden ſolltet; daß ihr, wie
er, die Schläge der Bosheit, die Wuth der Grauſamkeit
erdulden ſolltet; wenn er von euch zum Beweiſe eurer Auf-
richtigkeit forderte, daß ihr einen Theil ſeiner Leiden tragen
ſolltet: könntet ihr euch dieſer Pflicht entziehen? Ach,
alles was ihr auch dulden könntet, würde gegen dasjenige
wie nichts zu rechnen ſeyn, was euer Heiland erfahren
mußte. Jedoch, ein ſo ſchweres, ein ſo blutiges Opfer
verlangt er nicht von euch. Alles, wozu er euch auffor-
dert, iſt, daß ihr ihn um ſeiner Leiden willen, lieben, und
ihm unveränderlich treu bleiben ſollt. Nun, ſo entſchlieſ-
ſet euch dann aufs neue, zu dieſer ſo gerechten, ſo ange-
nehmen Pflicht. Gelobet es eurem Erlöſer, ihn von gan-

zer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0146" n="124"/><fw place="top" type="header">Sieben und zwanzig&#x017F;te Betrachtung.</fw><lb/>
Vater angenehm gemacht, und ihr könnt die gro&#x017F;&#x017F;e Hoff-<lb/>
nung haben, ein&#x017F;t um &#x017F;einer erduldeten Schmach willen,<lb/>
die Krone der Herrlichkeit zu erhalten.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sehet, welch ein Men&#x017F;ch!</hi> Seht ihn an, ihr<lb/>
redlichen Seelen, und laßt euch durch den Anblick &#x017F;einer<lb/>
Martern erwecken, den immer brün&#x017F;tiger, immer treuer,<lb/>
immer &#x017F;tandhafter zu lieben, der aus Liebe zu euch &#x017F;o tief,<lb/>
&#x017F;o tief erniedriget, &#x017F;o unmen&#x017F;chlich mißhandelt worden i&#x017F;t.<lb/>
Was würdet ihr thun, wenn ihr einen Freund hättet, der<lb/>
an eurer Stelle alle Müh&#x017F;eligkeiten und Leiden übernähme?<lb/>
Würde nicht da euer Herz zur inbrün&#x017F;tig&#x017F;ten Liebe hinge-<lb/>
ri&#x017F;&#x017F;en werden? Und was &#x017F;eyd ihr eurem be&#x017F;ten, treue&#x017F;ten<lb/>
Freunde &#x017F;chuldig, der mehr an euch gethan hat, als ihr von<lb/>
dem redlichge&#x017F;innte&#x017F;ten Freunde erwarten konntet? Was &#x017F;agt<lb/>
euch &#x017F;ein zerflei&#x017F;chter, blutiger Leib, &#x017F;ein &#x017F;triemenvolles Ange-<lb/>
&#x017F;icht, &#x017F;ein gebeugtes gemartertes Herz? Ach, Liebe, Liebe<lb/>
fordert alles von euch. Und ihr könnt nicht, ohne grau-<lb/>
&#x017F;am zu &#x017F;eyn, ihr könnt ihm die&#x017F;es Opfer nicht ver&#x017F;agen.<lb/>
Wenn er von euch forderte, daß ihr, wie er, alle Schmach<lb/>
und Schande von der Welt erdulden &#x017F;olltet; daß ihr, wie<lb/>
er, die Schläge der Bosheit, die Wuth der Grau&#x017F;amkeit<lb/>
erdulden &#x017F;olltet; wenn er von euch zum Bewei&#x017F;e eurer Auf-<lb/>
richtigkeit forderte, daß ihr einen Theil &#x017F;einer Leiden tragen<lb/>
&#x017F;olltet: könntet ihr euch die&#x017F;er Pflicht entziehen? Ach,<lb/>
alles was ihr auch dulden könntet, würde gegen dasjenige<lb/>
wie nichts zu rechnen &#x017F;eyn, was euer Heiland erfahren<lb/>
mußte. Jedoch, ein &#x017F;o &#x017F;chweres, ein &#x017F;o blutiges Opfer<lb/>
verlangt er nicht von euch. Alles, wozu er euch auffor-<lb/>
dert, i&#x017F;t, daß ihr ihn um &#x017F;einer Leiden willen, lieben, und<lb/>
ihm unveränderlich treu bleiben &#x017F;ollt. Nun, &#x017F;o ent&#x017F;chlie&#x017F;-<lb/>
&#x017F;et euch dann aufs neue, zu die&#x017F;er &#x017F;o gerechten, &#x017F;o ange-<lb/>
nehmen Pflicht. Gelobet es eurem Erlö&#x017F;er, ihn von gan-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zer</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0146] Sieben und zwanzigſte Betrachtung. Vater angenehm gemacht, und ihr könnt die groſſe Hoff- nung haben, einſt um ſeiner erduldeten Schmach willen, die Krone der Herrlichkeit zu erhalten. Sehet, welch ein Menſch! Seht ihn an, ihr redlichen Seelen, und laßt euch durch den Anblick ſeiner Martern erwecken, den immer brünſtiger, immer treuer, immer ſtandhafter zu lieben, der aus Liebe zu euch ſo tief, ſo tief erniedriget, ſo unmenſchlich mißhandelt worden iſt. Was würdet ihr thun, wenn ihr einen Freund hättet, der an eurer Stelle alle Mühſeligkeiten und Leiden übernähme? Würde nicht da euer Herz zur inbrünſtigſten Liebe hinge- riſſen werden? Und was ſeyd ihr eurem beſten, treueſten Freunde ſchuldig, der mehr an euch gethan hat, als ihr von dem redlichgeſinnteſten Freunde erwarten konntet? Was ſagt euch ſein zerfleiſchter, blutiger Leib, ſein ſtriemenvolles Ange- ſicht, ſein gebeugtes gemartertes Herz? Ach, Liebe, Liebe fordert alles von euch. Und ihr könnt nicht, ohne grau- ſam zu ſeyn, ihr könnt ihm dieſes Opfer nicht verſagen. Wenn er von euch forderte, daß ihr, wie er, alle Schmach und Schande von der Welt erdulden ſolltet; daß ihr, wie er, die Schläge der Bosheit, die Wuth der Grauſamkeit erdulden ſolltet; wenn er von euch zum Beweiſe eurer Auf- richtigkeit forderte, daß ihr einen Theil ſeiner Leiden tragen ſolltet: könntet ihr euch dieſer Pflicht entziehen? Ach, alles was ihr auch dulden könntet, würde gegen dasjenige wie nichts zu rechnen ſeyn, was euer Heiland erfahren mußte. Jedoch, ein ſo ſchweres, ein ſo blutiges Opfer verlangt er nicht von euch. Alles, wozu er euch auffor- dert, iſt, daß ihr ihn um ſeiner Leiden willen, lieben, und ihm unveränderlich treu bleiben ſollt. Nun, ſo entſchlieſ- ſet euch dann aufs neue, zu dieſer ſo gerechten, ſo ange- nehmen Pflicht. Gelobet es eurem Erlöſer, ihn von gan- zer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/146
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/146>, abgerufen am 24.11.2024.