loß gebe; wollt ihr nun, daß ich euch der Jüden König loß gebe? Da schrieen sie wieder allesamt, und sprachen: nicht diesen: sondern Barrabam. Barrabas aber war ein Mörder.
Sollte sich doch der Himmel davor entsetzen, erschre- cken und sehr erbeben. Israel thut eine zwiefache Sünde. Es errettet einen Bösewicht vom Tode, und giebt den unschuldigen Jesum zum Tode dahin. Dem, der Menschenblut vergossen hatte, wird das Leben gerettet, und dem, der so viele Kranke vom Tode befreyet hatte, wird das Leben genommen. Der Bösewicht wird geduldet, und der Unschuldige wird vertilget. Man mag sich diesen Fall so schrecklich gedenken, als es möglich ist, so wird man doch nicht im Stande seyn, das Verabscheuungswür- dige dieser verruchten Handlung völlig einzusehen. Es bleibt allezeit eine Unmenschlichkeit, wenn man die Unschuld der Bosheit ihrer Verfolger Preiß giebt; es ist unter allen Umständen eine himmelschreyende Ungerechtigkeit, wenn diejenigen, welche Beschützer und Vertheidiger der Un- schuld seyn sollen, Werkzeuge ihrer Mißhandlungen wer- den. Allein wenn der Frevel so weit getrieben wird, daß man alle Gesetze der Billigkeit übertritt, um nur einem Unschuldigen schaden zu können: wenn man lieber die Laster begünstigen, als der Tugend beyspringen will: das übersteigt alles, was von Grausamkeit und Bosheit ge- dacht werden kann. Und so handelten die Jüden gegen den unschuldigen Jesum. Sie waren damit noch nicht zufrieden, daß sie ihn allen Mißhandlungen der Bosheit überliessen, und die Werkzeuge seiner Verfolgung wur- den. Sie giengen in ihrer Wuth noch weiter. Als es darauf ankam, entweder einen Mörder oder einen Wohl- thäter aus der Gesellschaft der Menschen zu vertilgen, ent- weder Barrabam oder Jesum aus dem Wege zu räumen:
was
Drey und zwanzigſte Betrachtung.
loß gebe; wollt ihr nun, daß ich euch der Jüden König loß gebe? Da ſchrieen ſie wieder alleſamt, und ſprachen: nicht dieſen: ſondern Barrabam. Barrabas aber war ein Mörder.
Sollte ſich doch der Himmel davor entſetzen, erſchre- cken und ſehr erbeben. Iſrael thut eine zwiefache Sünde. Es errettet einen Böſewicht vom Tode, und giebt den unſchuldigen Jeſum zum Tode dahin. Dem, der Menſchenblut vergoſſen hatte, wird das Leben gerettet, und dem, der ſo viele Kranke vom Tode befreyet hatte, wird das Leben genommen. Der Böſewicht wird geduldet, und der Unſchuldige wird vertilget. Man mag ſich dieſen Fall ſo ſchrecklich gedenken, als es möglich iſt, ſo wird man doch nicht im Stande ſeyn, das Verabſcheuungswür- dige dieſer verruchten Handlung völlig einzuſehen. Es bleibt allezeit eine Unmenſchlichkeit, wenn man die Unſchuld der Bosheit ihrer Verfolger Preiß giebt; es iſt unter allen Umſtänden eine himmelſchreyende Ungerechtigkeit, wenn diejenigen, welche Beſchützer und Vertheidiger der Un- ſchuld ſeyn ſollen, Werkzeuge ihrer Mißhandlungen wer- den. Allein wenn der Frevel ſo weit getrieben wird, daß man alle Geſetze der Billigkeit übertritt, um nur einem Unſchuldigen ſchaden zu können: wenn man lieber die Laſter begünſtigen, als der Tugend beyſpringen will: das überſteigt alles, was von Grauſamkeit und Bosheit ge- dacht werden kann. Und ſo handelten die Jüden gegen den unſchuldigen Jeſum. Sie waren damit noch nicht zufrieden, daß ſie ihn allen Mißhandlungen der Bosheit überlieſſen, und die Werkzeuge ſeiner Verfolgung wur- den. Sie giengen in ihrer Wuth noch weiter. Als es darauf ankam, entweder einen Mörder oder einen Wohl- thäter aus der Geſellſchaft der Menſchen zu vertilgen, ent- weder Barrabam oder Jeſum aus dem Wege zu räumen:
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Drey und zwanzigſte Betrachtung.
loß gebe; wollt ihr nun, daß ich euch der Jüden König loß
gebe? Da ſchrieen ſie wieder alleſamt, und ſprachen: nicht
dieſen: ſondern Barrabam. Barrabas aber war ein Mörder.
Sollte ſich doch der Himmel davor entſetzen, erſchre-
cken und ſehr erbeben. Iſrael thut eine zwiefache
Sünde. Es errettet einen Böſewicht vom Tode,
und giebt den unſchuldigen Jeſum zum Tode dahin. Dem,
der Menſchenblut vergoſſen hatte, wird das Leben gerettet,
und dem, der ſo viele Kranke vom Tode befreyet hatte, wird
das Leben genommen. Der Böſewicht wird geduldet, und
der Unſchuldige wird vertilget. Man mag ſich dieſen
Fall ſo ſchrecklich gedenken, als es möglich iſt, ſo wird
man doch nicht im Stande ſeyn, das Verabſcheuungswür-
dige dieſer verruchten Handlung völlig einzuſehen. Es
bleibt allezeit eine Unmenſchlichkeit, wenn man die Unſchuld
der Bosheit ihrer Verfolger Preiß giebt; es iſt unter allen
Umſtänden eine himmelſchreyende Ungerechtigkeit, wenn
diejenigen, welche Beſchützer und Vertheidiger der Un-
ſchuld ſeyn ſollen, Werkzeuge ihrer Mißhandlungen wer-
den. Allein wenn der Frevel ſo weit getrieben wird, daß
man alle Geſetze der Billigkeit übertritt, um nur einem
Unſchuldigen ſchaden zu können: wenn man lieber die
Laſter begünſtigen, als der Tugend beyſpringen will: das
überſteigt alles, was von Grauſamkeit und Bosheit ge-
dacht werden kann. Und ſo handelten die Jüden gegen
den unſchuldigen Jeſum. Sie waren damit noch nicht
zufrieden, daß ſie ihn allen Mißhandlungen der Bosheit
überlieſſen, und die Werkzeuge ſeiner Verfolgung wur-
den. Sie giengen in ihrer Wuth noch weiter. Als es
darauf ankam, entweder einen Mörder oder einen Wohl-
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/126>, abgerufen am 01.07.2024.
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