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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Zwanzigste Betrachtung.
ihrer bösen Thaten sind: er fühlte den lebendigsten Ab-
scheu vor sich und seiner Frevelthat. Schaam, Angst,
Mißfallen an der Sünde, schwermüthiges Nachdenken,
tiefer Gram wechselten bey ihm ab. Er erkannte seine Mis-
sethat und schämte sich nicht, sie vor denen zu bekennen,
welchen dieses Bekenntniß am unangenehmsten seyn mußte.
Er gieng zu den Hohenpriestern und warf vor ihre Füsse
das Blutgeld hin. Er suchte bey ihnen Trost, und glaubte
für sein Herz eine Erleichterung zu finden, wenn er durch
diesen Schritt eines Theils seiner Last entlediget worden
wäre. Aber alles dieses konte sein verwundetes Gewissen
nicht heilen, konnte den Schmerz nicht lindern, den das
Andenken seiner Bosheit in ihm erregte, konnte ihn nicht
der Verzweiflung entreissen. -- Versuche es nur, o Sün-
der! versuch es, wenn dein Geist zerschlagen und geäng-
stiget ist, in bittrer Reue Ruhe zu finden. Vergieß Strö-
me von Thränen, laß die Schaam dich zu Boden drücken,
was wirst du dadurch erhalten? Es wird so wenig Ru-
he in dein beklommenes Herz zurückkehren, daß es vielmehr
unter seiner eigenen Pein erliegen wird. Suche alsdann
nur bey den Genossen deiner Missethat Erleichterung. Ach
sie, die so grausam gegen sich selbst sind, können gegen
dich nicht mitleidig seyn! Sie, die selbst keine Ruhe haben,
können dir keine Ruhe schenken. Wenn du vor ihnen in
bittern Thränen zerfliessest: vielleicht werden sie dir auch
antworten: da siehe du zu. Und wehe dir, wenn du dei-
nem eigenen Rath überlassen bleibst! Wehe dir, wenn
dich deine Vorsichtigkeit vom Verderben erretten soll!

Nur ein Weg ist übrig, welcher dich dem Elende
der Verzweiflung entreissen kan. Laß dein durch die Reue
gemartertes Herz bey demjenigen Ruhe suchen, der sein
Blut für alle Sünden vergossen hat. Wie? wenn Ju-
das reuevoll und von seinen Missethaten beladen, sich zu

Je-

Zwanzigſte Betrachtung.
ihrer böſen Thaten ſind: er fühlte den lebendigſten Ab-
ſcheu vor ſich und ſeiner Frevelthat. Schaam, Angſt,
Mißfallen an der Sünde, ſchwermüthiges Nachdenken,
tiefer Gram wechſelten bey ihm ab. Er erkannte ſeine Miſ-
ſethat und ſchämte ſich nicht, ſie vor denen zu bekennen,
welchen dieſes Bekenntniß am unangenehmſten ſeyn mußte.
Er gieng zu den Hohenprieſtern und warf vor ihre Füſſe
das Blutgeld hin. Er ſuchte bey ihnen Troſt, und glaubte
für ſein Herz eine Erleichterung zu finden, wenn er durch
dieſen Schritt eines Theils ſeiner Laſt entlediget worden
wäre. Aber alles dieſes konte ſein verwundetes Gewiſſen
nicht heilen, konnte den Schmerz nicht lindern, den das
Andenken ſeiner Bosheit in ihm erregte, konnte ihn nicht
der Verzweiflung entreiſſen. — Verſuche es nur, o Sün-
der! verſuch es, wenn dein Geiſt zerſchlagen und geäng-
ſtiget iſt, in bittrer Reue Ruhe zu finden. Vergieß Strö-
me von Thränen, laß die Schaam dich zu Boden drücken,
was wirſt du dadurch erhalten? Es wird ſo wenig Ru-
he in dein beklommenes Herz zurückkehren, daß es vielmehr
unter ſeiner eigenen Pein erliegen wird. Suche alsdann
nur bey den Genoſſen deiner Miſſethat Erleichterung. Ach
ſie, die ſo grauſam gegen ſich ſelbſt ſind, können gegen
dich nicht mitleidig ſeyn! Sie, die ſelbſt keine Ruhe haben,
können dir keine Ruhe ſchenken. Wenn du vor ihnen in
bittern Thränen zerflieſſeſt: vielleicht werden ſie dir auch
antworten: da ſiehe du zu. Und wehe dir, wenn du dei-
nem eigenen Rath überlaſſen bleibſt! Wehe dir, wenn
dich deine Vorſichtigkeit vom Verderben erretten ſoll!

Nur ein Weg iſt übrig, welcher dich dem Elende
der Verzweiflung entreiſſen kan. Laß dein durch die Reue
gemartertes Herz bey demjenigen Ruhe ſuchen, der ſein
Blut für alle Sünden vergoſſen hat. Wie? wenn Ju-
das reuevoll und von ſeinen Miſſethaten beladen, ſich zu

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[94/0116] Zwanzigſte Betrachtung. ihrer böſen Thaten ſind: er fühlte den lebendigſten Ab- ſcheu vor ſich und ſeiner Frevelthat. Schaam, Angſt, Mißfallen an der Sünde, ſchwermüthiges Nachdenken, tiefer Gram wechſelten bey ihm ab. Er erkannte ſeine Miſ- ſethat und ſchämte ſich nicht, ſie vor denen zu bekennen, welchen dieſes Bekenntniß am unangenehmſten ſeyn mußte. Er gieng zu den Hohenprieſtern und warf vor ihre Füſſe das Blutgeld hin. Er ſuchte bey ihnen Troſt, und glaubte für ſein Herz eine Erleichterung zu finden, wenn er durch dieſen Schritt eines Theils ſeiner Laſt entlediget worden wäre. Aber alles dieſes konte ſein verwundetes Gewiſſen nicht heilen, konnte den Schmerz nicht lindern, den das Andenken ſeiner Bosheit in ihm erregte, konnte ihn nicht der Verzweiflung entreiſſen. — Verſuche es nur, o Sün- der! verſuch es, wenn dein Geiſt zerſchlagen und geäng- ſtiget iſt, in bittrer Reue Ruhe zu finden. Vergieß Strö- me von Thränen, laß die Schaam dich zu Boden drücken, was wirſt du dadurch erhalten? Es wird ſo wenig Ru- he in dein beklommenes Herz zurückkehren, daß es vielmehr unter ſeiner eigenen Pein erliegen wird. Suche alsdann nur bey den Genoſſen deiner Miſſethat Erleichterung. Ach ſie, die ſo grauſam gegen ſich ſelbſt ſind, können gegen dich nicht mitleidig ſeyn! Sie, die ſelbſt keine Ruhe haben, können dir keine Ruhe ſchenken. Wenn du vor ihnen in bittern Thränen zerflieſſeſt: vielleicht werden ſie dir auch antworten: da ſiehe du zu. Und wehe dir, wenn du dei- nem eigenen Rath überlaſſen bleibſt! Wehe dir, wenn dich deine Vorſichtigkeit vom Verderben erretten ſoll! Nur ein Weg iſt übrig, welcher dich dem Elende der Verzweiflung entreiſſen kan. Laß dein durch die Reue gemartertes Herz bey demjenigen Ruhe ſuchen, der ſein Blut für alle Sünden vergoſſen hat. Wie? wenn Ju- das reuevoll und von ſeinen Miſſethaten beladen, ſich zu Je-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/116>, abgerufen am 03.07.2024.