Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Kapitel. §. 91.
wohl die ursprüngliche sei? so wird die Ortsangabe zu
keiner Entscheidung helfen, da genau ebensogut vor als
hinter Jericho ein Blinder zu Jesu stossen konnte. Eher
wird man in Bezug auf die Zahl Grund haben, sich zu
entscheiden, und zwar zu Gunsten des Lukas und Markus
für bloss Einen Blinden. Keineswegs zwar aus dem von
Schleiermacher angegebenen Grunde, weil Markus, der
durch die Angabe, wie der Blinde geheissen, eine genauere
Bekanntschaft mit den Verhältnissen beurkunde, auch nur
Einen habe 7), da dem so oft auf eigne Hand individuali-
sirenden Markus am wenigsten bei den ihm eigenthümli-
chen Namen zu trauen sein dürfte; sondern aus dem Grun-
de, weil sich denn doch, diesen Fall mit der Erzählung
von dem Gadarenischen Besessenen zusammengehalten, ei-
ne Neigung des ersten Evangeliums zu Verdopplungen
nicht verkennen lässt.

Vielleicht war die Verdoppelung des Blinden bei Mat-
thäus durch die Erinnerung an die demselben Evangelisten
eigenthümliche Erzählung von einer früheren Heilung zweier
Blinden (9, 27 ff.) veranlasst. Hier, gleichfalls im Wegge-
hen, nämlich von dem Ort, wo er die Tochter des arkhon
wiedererweckt hatte, folgen Jesu zwei Blinde nach, (die
bei Jericho sitzen) und rufen ähnlich wie dort den Da-
vidssohn um Erbarmen an, der sie sofort auch hier, wie
dort nach Matthäus, durch Handauflegung heilt. Daneben
finden sich freilich nicht geringe Abweichungen: von ei-
nem Stillegebot der Begleiter Jesu steht hier nichts, und
während bei Jericho Jesus die Blinden sogleich zu sich
ruft, kommen sie in dem früheren Falle erst zu ihm, als
er wieder zu Hause ist; ferner, während er dort sie fragt,
was sie von ihm wollen? fragt er hier gleich, ob sie das
Vertrauen haben, dass er sie heilen könne? endlich das
Verbot, Niemand etwas zu sagen, ist dem früheren Fall

7) a. a. O. S. 237.
Das Leben Jesu II. Band. 5

Neuntes Kapitel. §. 91.
wohl die ursprüngliche sei? so wird die Ortsangabe zu
keiner Entscheidung helfen, da genau ebensogut vor als
hinter Jericho ein Blinder zu Jesu stoſsen konnte. Eher
wird man in Bezug auf die Zahl Grund haben, sich zu
entscheiden, und zwar zu Gunsten des Lukas und Markus
für bloſs Einen Blinden. Keineswegs zwar aus dem von
Schleiermacher angegebenen Grunde, weil Markus, der
durch die Angabe, wie der Blinde geheiſsen, eine genauere
Bekanntschaft mit den Verhältnissen beurkunde, auch nur
Einen habe 7), da dem so oft auf eigne Hand individuali-
sirenden Markus am wenigsten bei den ihm eigenthümli-
chen Namen zu trauen sein dürfte; sondern aus dem Grun-
de, weil sich denn doch, diesen Fall mit der Erzählung
von dem Gadarenischen Besessenen zusammengehalten, ei-
ne Neigung des ersten Evangeliums zu Verdopplungen
nicht verkennen läſst.

Vielleicht war die Verdoppelung des Blinden bei Mat-
thäus durch die Erinnerung an die demselben Evangelisten
eigenthümliche Erzählung von einer früheren Heilung zweier
Blinden (9, 27 ff.) veranlaſst. Hier, gleichfalls im Wegge-
hen, nämlich von dem Ort, wo er die Tochter des ἄρχων
wiedererweckt hatte, folgen Jesu zwei Blinde nach, (die
bei Jericho sitzen) und rufen ähnlich wie dort den Da-
vidssohn um Erbarmen an, der sie sofort auch hier, wie
dort nach Matthäus, durch Handauflegung heilt. Daneben
finden sich freilich nicht geringe Abweichungen: von ei-
nem Stillegebot der Begleiter Jesu steht hier nichts, und
während bei Jericho Jesus die Blinden sogleich zu sich
ruft, kommen sie in dem früheren Falle erst zu ihm, als
er wieder zu Hause ist; ferner, während er dort sie fragt,
was sie von ihm wollen? fragt er hier gleich, ob sie das
Vertrauen haben, daſs er sie heilen könne? endlich das
Verbot, Niemand etwas zu sagen, ist dem früheren Fall

7) a. a. O. S. 237.
Das Leben Jesu II. Band. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0084" n="65"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 91.</fw><lb/>
wohl die ursprüngliche sei? so wird die Ortsangabe zu<lb/>
keiner Entscheidung helfen, da genau ebensogut vor als<lb/>
hinter Jericho ein Blinder zu Jesu sto&#x017F;sen konnte. Eher<lb/>
wird man in Bezug auf die Zahl Grund haben, sich zu<lb/>
entscheiden, und zwar zu Gunsten des Lukas und Markus<lb/>
für blo&#x017F;s Einen Blinden. Keineswegs zwar aus dem von<lb/><hi rendition="#k">Schleiermacher</hi> angegebenen Grunde, weil Markus, der<lb/>
durch die Angabe, wie der Blinde gehei&#x017F;sen, eine genauere<lb/>
Bekanntschaft mit den Verhältnissen beurkunde, auch nur<lb/>
Einen habe <note place="foot" n="7)">a. a. O. S. 237.</note>, da dem so oft auf eigne Hand individuali-<lb/>
sirenden Markus am wenigsten bei den ihm eigenthümli-<lb/>
chen Namen zu trauen sein dürfte; sondern aus dem Grun-<lb/>
de, weil sich denn doch, diesen Fall mit der Erzählung<lb/>
von dem Gadarenischen Besessenen zusammengehalten, ei-<lb/>
ne Neigung des ersten Evangeliums zu Verdopplungen<lb/>
nicht verkennen lä&#x017F;st.</p><lb/>
          <p>Vielleicht war die Verdoppelung des Blinden bei Mat-<lb/>
thäus durch die Erinnerung an die demselben Evangelisten<lb/>
eigenthümliche Erzählung von einer früheren Heilung zweier<lb/>
Blinden (9, 27 ff.) veranla&#x017F;st. Hier, gleichfalls im Wegge-<lb/>
hen, nämlich von dem Ort, wo er die Tochter des &#x1F04;&#x03C1;&#x03C7;&#x03C9;&#x03BD;<lb/>
wiedererweckt hatte, folgen Jesu zwei Blinde nach, (die<lb/>
bei Jericho sitzen) und rufen ähnlich wie dort den Da-<lb/>
vidssohn um Erbarmen an, der sie sofort auch hier, wie<lb/>
dort nach Matthäus, durch Handauflegung heilt. Daneben<lb/>
finden sich freilich nicht geringe Abweichungen: von ei-<lb/>
nem Stillegebot der Begleiter Jesu steht hier nichts, und<lb/>
während bei Jericho Jesus die Blinden sogleich zu sich<lb/>
ruft, kommen sie in dem früheren Falle erst zu ihm, als<lb/>
er wieder zu Hause ist; ferner, während er dort sie fragt,<lb/>
was sie von ihm wollen? fragt er hier gleich, ob sie das<lb/>
Vertrauen haben, da&#x017F;s er sie heilen könne? endlich das<lb/>
Verbot, Niemand etwas zu sagen, ist dem früheren Fall<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">Das Leben Jesu II. Band.</hi> 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0084] Neuntes Kapitel. §. 91. wohl die ursprüngliche sei? so wird die Ortsangabe zu keiner Entscheidung helfen, da genau ebensogut vor als hinter Jericho ein Blinder zu Jesu stoſsen konnte. Eher wird man in Bezug auf die Zahl Grund haben, sich zu entscheiden, und zwar zu Gunsten des Lukas und Markus für bloſs Einen Blinden. Keineswegs zwar aus dem von Schleiermacher angegebenen Grunde, weil Markus, der durch die Angabe, wie der Blinde geheiſsen, eine genauere Bekanntschaft mit den Verhältnissen beurkunde, auch nur Einen habe 7), da dem so oft auf eigne Hand individuali- sirenden Markus am wenigsten bei den ihm eigenthümli- chen Namen zu trauen sein dürfte; sondern aus dem Grun- de, weil sich denn doch, diesen Fall mit der Erzählung von dem Gadarenischen Besessenen zusammengehalten, ei- ne Neigung des ersten Evangeliums zu Verdopplungen nicht verkennen läſst. Vielleicht war die Verdoppelung des Blinden bei Mat- thäus durch die Erinnerung an die demselben Evangelisten eigenthümliche Erzählung von einer früheren Heilung zweier Blinden (9, 27 ff.) veranlaſst. Hier, gleichfalls im Wegge- hen, nämlich von dem Ort, wo er die Tochter des ἄρχων wiedererweckt hatte, folgen Jesu zwei Blinde nach, (die bei Jericho sitzen) und rufen ähnlich wie dort den Da- vidssohn um Erbarmen an, der sie sofort auch hier, wie dort nach Matthäus, durch Handauflegung heilt. Daneben finden sich freilich nicht geringe Abweichungen: von ei- nem Stillegebot der Begleiter Jesu steht hier nichts, und während bei Jericho Jesus die Blinden sogleich zu sich ruft, kommen sie in dem früheren Falle erst zu ihm, als er wieder zu Hause ist; ferner, während er dort sie fragt, was sie von ihm wollen? fragt er hier gleich, ob sie das Vertrauen haben, daſs er sie heilen könne? endlich das Verbot, Niemand etwas zu sagen, ist dem früheren Fall 7) a. a. O. S. 237. Das Leben Jesu II. Band. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/84
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/84>, abgerufen am 27.11.2024.