gewesen wäre. So bliebe noch, dass Johannes aus Anbe- quemung an die griechische Cultur der Kleinasiaten, unter welchen er geschrieben haben soll, die ihnen unglaublichen oder anstössigen Dämonengeschichten aus seinem Evange- lium weggelassen hätte. Aber konnte und durfte wohl, muss man auch hier fragen, ein Apostel aus blosser Ac- commodation an die feinen Ohren seiner Zuhörer einen so wesentlichen Zug des Wirkens Jesu zurückbehalten? Ge- wiss vielmehr deutet auch dieses Stillschweigen auf einen Verfasser hin, welcher die Wirksamkeit Jesu nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus einer durch helle- nischen Einfluss modificirten Tradition kannte, in welcher daher die der höheren griechischen Bildung weniger ent- sprechenden Dämonenaustreibungen entweder ganz ver- schwunden, oder doch so zurückgetreten waren, dass sie vom Verfasser des Evangeliums übergangen werden konnten.
§. 90. Heilungen von Aussätzigen.
Unter den Kranken, welche Jesus heilte, spielen ge- mäss dem leicht Hautkrankheiten erzeugenden Klima von Palästina die Aussätzigen eine Hauptrolle. Wo Jesus der synoptischen Erzählung zufolge die Abgesandten des Täu- fers auf die faktischen Beweise seiner Messianität hinweist (Matth. 11, 5.), führt er unter diesen auch das leproi ka- tharizontai auf; wo er seine Jünger bei der ersten Aus- sendung zu allerhand Wunderthaten bevollmächtigt, stellt er die Reinigung der Aussätzigen oben an (Matth. 10, 8.), und zwei Fälle von solchen Heilungen werden uns im Ein- zelnen erzählt.
Der eine Fall ist allen Synoptikern gemeinschaftlich, wiewohl sie ihn in verschiedenen Zusammenhang stellen. Matthäus nämlich lässt Jesu bei'm Herabgehen von dem Berge, auf welchem er die Bergrede gehalten (8, 1 ff.), die übrigen in unbestimmter Stellung am Anfang seiner gali-
Zweiter Abschnitt.
gewesen wäre. So bliebe noch, daſs Johannes aus Anbe- quemung an die griechische Cultur der Kleinasiaten, unter welchen er geschrieben haben soll, die ihnen unglaublichen oder anstössigen Dämonengeschichten aus seinem Evange- lium weggelassen hätte. Aber konnte und durfte wohl, muſs man auch hier fragen, ein Apostel aus bloſser Ac- commodation an die feinen Ohren seiner Zuhörer einen so wesentlichen Zug des Wirkens Jesu zurückbehalten? Ge- wiſs vielmehr deutet auch dieses Stillschweigen auf einen Verfasser hin, welcher die Wirksamkeit Jesu nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus einer durch helle- nischen Einfluſs modificirten Tradition kannte, in welcher daher die der höheren griechischen Bildung weniger ent- sprechenden Dämonenaustreibungen entweder ganz ver- schwunden, oder doch so zurückgetreten waren, daſs sie vom Verfasser des Evangeliums übergangen werden konnten.
§. 90. Heilungen von Aussätzigen.
Unter den Kranken, welche Jesus heilte, spielen ge- mäſs dem leicht Hautkrankheiten erzeugenden Klima von Palästina die Aussätzigen eine Hauptrolle. Wo Jesus der synoptischen Erzählung zufolge die Abgesandten des Täu- fers auf die faktischen Beweise seiner Messianität hinweist (Matth. 11, 5.), führt er unter diesen auch das λεπροὶ κα- ϑαρίζονται auf; wo er seine Jünger bei der ersten Aus- sendung zu allerhand Wunderthaten bevollmächtigt, stellt er die Reinigung der Aussätzigen oben an (Matth. 10, 8.), und zwei Fälle von solchen Heilungen werden uns im Ein- zelnen erzählt.
Der eine Fall ist allen Synoptikern gemeinschaftlich, wiewohl sie ihn in verschiedenen Zusammenhang stellen. Matthäus nämlich läſst Jesu bei'm Herabgehen von dem Berge, auf welchem er die Bergrede gehalten (8, 1 ff.), die übrigen in unbestimmter Stellung am Anfang seiner gali-
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Zweiter Abschnitt.
gewesen wäre. So bliebe noch, daſs Johannes aus Anbe-
quemung an die griechische Cultur der Kleinasiaten, unter
welchen er geschrieben haben soll, die ihnen unglaublichen
oder anstössigen Dämonengeschichten aus seinem Evange-
lium weggelassen hätte. Aber konnte und durfte wohl,
muſs man auch hier fragen, ein Apostel aus bloſser Ac-
commodation an die feinen Ohren seiner Zuhörer einen so
wesentlichen Zug des Wirkens Jesu zurückbehalten? Ge-
wiſs vielmehr deutet auch dieses Stillschweigen auf einen
Verfasser hin, welcher die Wirksamkeit Jesu nicht aus
eigener Anschauung, sondern nur aus einer durch helle-
nischen Einfluſs modificirten Tradition kannte, in welcher
daher die der höheren griechischen Bildung weniger ent-
sprechenden Dämonenaustreibungen entweder ganz ver-
schwunden, oder doch so zurückgetreten waren, daſs sie
vom Verfasser des Evangeliums übergangen werden konnten.
§. 90.
Heilungen von Aussätzigen.
Unter den Kranken, welche Jesus heilte, spielen ge-
mäſs dem leicht Hautkrankheiten erzeugenden Klima von
Palästina die Aussätzigen eine Hauptrolle. Wo Jesus der
synoptischen Erzählung zufolge die Abgesandten des Täu-
fers auf die faktischen Beweise seiner Messianität hinweist
(Matth. 11, 5.), führt er unter diesen auch das λεπροὶ κα-
ϑαρίζονται auf; wo er seine Jünger bei der ersten Aus-
sendung zu allerhand Wunderthaten bevollmächtigt, stellt
er die Reinigung der Aussätzigen oben an (Matth. 10, 8.),
und zwei Fälle von solchen Heilungen werden uns im Ein-
zelnen erzählt.
Der eine Fall ist allen Synoptikern gemeinschaftlich,
wiewohl sie ihn in verschiedenen Zusammenhang stellen.
Matthäus nämlich läſst Jesu bei'm Herabgehen von dem
Berge, auf welchem er die Bergrede gehalten (8, 1 ff.), die
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/71>, abgerufen am 22.11.2024.
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