Accommodation an die damalige Weltvorstellung annehmen, und sagen, um die Jünger von dem Zurückgang Jesu in die höhere Welt zu überzeugen, habe Gott, obgleich diese Welt der Wirklichkeit nach keineswegs im oberen Luft- raum zu suchen sei, doch das Spectakel einer solchen Er- hebung veranstaltet: was aber Gott zum täuschenden Schau- spieler machen heisst.
Als einen Versuch, solchen Schwierigkeiten und Un- gereimtheiten uns zu entheben, müssen wir die natürliche Erklärung dieses Faktums willkommen heissen 4). Sie un- terscheidet in den evangelischen Erzählungen von der Him- melfahrt das Angeschaute von dem durch Raisonnement Erschlossenen. Freilich, indem es in der A. G. heisst: bleponton auton eperthe: so scheint hier eben die Erhe- bung in den Himmel als angeschautes Faktum dargestellt zu werden. Hier soll nun aber eperthe nicht eine Erhe- bung über den Boden, sondern nur diess bedeuten, dass Jesus, um die Jünger zu segnen, sich hoch aufgerichtet habe, und ihnen dadurch erhabener erschienen sei. So- fort wird aus dem Schluss des Lukasevangeliums das diese herübergeholt, in der Bedeutung, dass Jesus, indem er sich von seinen Jüngern verabschiedete, sich entfernter von ih- nen gestellt habe. Hierauf sei in ähnlicher Weise, wie auf dem Verklärungsberg, ein Gewölk zwischen Jesum und die Jünger getreten, und habe ihn, in Verbindung mit den zahlreichen Olbäumen des Bergs, ihren Blicken entzogen, was sie dann auf die Versicherung zweier unbekannten Männer hin für eine Aufnahme Jesu in den Himmel gehal- ten haben. Allein, wenn Lukas in der A. G. das eperthe unmittelbar mit der Angabe verbindet: kai nephele upela- ben auton: so soll doch wohl jene Erhebung die Einleitung zu dem Aufgenommenwerden durch die Wolke sein, was
4) Wie sie namentlich Paulus giebt, a. a. O. S. 910 ff. L. J. 1, b, S. 318 ff.
43 *
Fünftes Kapitel. §. 138.
Accommodation an die damalige Weltvorstellung annehmen, und sagen, um die Jünger von dem Zurückgang Jesu in die höhere Welt zu überzeugen, habe Gott, obgleich diese Welt der Wirklichkeit nach keineswegs im oberen Luft- raum zu suchen sei, doch das Spectakel einer solchen Er- hebung veranstaltet: was aber Gott zum täuschenden Schau- spieler machen heiſst.
Als einen Versuch, solchen Schwierigkeiten und Un- gereimtheiten uns zu entheben, müssen wir die natürliche Erklärung dieses Faktums willkommen heiſsen 4). Sie un- terscheidet in den evangelischen Erzählungen von der Him- melfahrt das Angeschaute von dem durch Raisonnement Erschlossenen. Freilich, indem es in der A. G. heiſst: βλεπόντων αὐτῶν ἐπήρϑη: so scheint hier eben die Erhe- bung in den Himmel als angeschautes Faktum dargestellt zu werden. Hier soll nun aber ἐπήρϑη nicht eine Erhe- bung über den Boden, sondern nur dieſs bedeuten, daſs Jesus, um die Jünger zu segnen, sich hoch aufgerichtet habe, und ihnen dadurch erhabener erschienen sei. So- fort wird aus dem Schluſs des Lukasevangeliums das διέςη herübergeholt, in der Bedeutung, daſs Jesus, indem er sich von seinen Jüngern verabschiedete, sich entfernter von ih- nen gestellt habe. Hierauf sei in ähnlicher Weise, wie auf dem Verklärungsberg, ein Gewölk zwischen Jesum und die Jünger getreten, und habe ihn, in Verbindung mit den zahlreichen Olbäumen des Bergs, ihren Blicken entzogen, was sie dann auf die Versicherung zweier unbekannten Männer hin für eine Aufnahme Jesu in den Himmel gehal- ten haben. Allein, wenn Lukas in der A. G. das ἐπήρϑη unmittelbar mit der Angabe verbindet: καὶ νεφέλη ὑπέλα- βεν αὐτὸν: so soll doch wohl jene Erhebung die Einleitung zu dem Aufgenommenwerden durch die Wolke sein, was
4) Wie sie namentlich Paulus giebt, a. a. O. S. 910 ff. L. J. 1, b, S. 318 ff.
43 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0694"n="675"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Fünftes Kapitel</hi>. §. 138.</fw><lb/>
Accommodation an die damalige Weltvorstellung annehmen,<lb/>
und sagen, um die Jünger von dem Zurückgang Jesu in<lb/>
die höhere Welt zu überzeugen, habe Gott, obgleich diese<lb/>
Welt der Wirklichkeit nach keineswegs im oberen Luft-<lb/>
raum zu suchen sei, doch das Spectakel einer solchen Er-<lb/>
hebung veranstaltet: was aber Gott zum täuschenden Schau-<lb/>
spieler machen heiſst.</p><lb/><p>Als einen Versuch, solchen Schwierigkeiten und Un-<lb/>
gereimtheiten uns zu entheben, müssen wir die natürliche<lb/>
Erklärung dieses Faktums willkommen heiſsen <noteplace="foot"n="4)">Wie sie namentlich <hirendition="#k">Paulus</hi> giebt, a. a. O. S. 910 ff. L. J.<lb/>
1, b, S. 318 ff.</note>. Sie un-<lb/>
terscheidet in den evangelischen Erzählungen von der Him-<lb/>
melfahrt das Angeschaute von dem durch Raisonnement<lb/>
Erschlossenen. Freilich, indem es in der A. G. heiſst:<lb/><foreignxml:lang="ell">βλεπόντωναὐτῶνἐπήρϑη</foreign>: so scheint hier eben die Erhe-<lb/>
bung in den Himmel als angeschautes Faktum dargestellt<lb/>
zu werden. Hier soll nun aber <foreignxml:lang="ell">ἐπήρϑη</foreign> nicht eine Erhe-<lb/>
bung über den Boden, sondern nur dieſs bedeuten, daſs<lb/>
Jesus, um die Jünger zu segnen, sich hoch aufgerichtet<lb/>
habe, und ihnen dadurch erhabener erschienen sei. So-<lb/>
fort wird aus dem Schluſs des Lukasevangeliums das <foreignxml:lang="ell">διέςη</foreign><lb/>
herübergeholt, in der Bedeutung, daſs Jesus, indem er sich<lb/>
von seinen Jüngern verabschiedete, sich entfernter von ih-<lb/>
nen gestellt habe. Hierauf sei in ähnlicher Weise, wie auf<lb/>
dem Verklärungsberg, ein Gewölk zwischen Jesum und<lb/>
die Jünger getreten, und habe ihn, in Verbindung mit den<lb/>
zahlreichen Olbäumen des Bergs, ihren Blicken entzogen,<lb/>
was sie dann auf die Versicherung zweier unbekannten<lb/>
Männer hin für eine Aufnahme Jesu in den Himmel gehal-<lb/>
ten haben. Allein, wenn Lukas in der A. G. das ἐπήρϑη<lb/>
unmittelbar mit der Angabe verbindet: <foreignxml:lang="ell">καὶνεφέληὑπέλα-<lb/>βεναὐτὸν</foreign>: so soll doch wohl jene Erhebung die Einleitung<lb/>
zu dem Aufgenommenwerden durch die Wolke sein, was<lb/><fwplace="bottom"type="sig">43 *</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[675/0694]
Fünftes Kapitel. §. 138.
Accommodation an die damalige Weltvorstellung annehmen,
und sagen, um die Jünger von dem Zurückgang Jesu in
die höhere Welt zu überzeugen, habe Gott, obgleich diese
Welt der Wirklichkeit nach keineswegs im oberen Luft-
raum zu suchen sei, doch das Spectakel einer solchen Er-
hebung veranstaltet: was aber Gott zum täuschenden Schau-
spieler machen heiſst.
Als einen Versuch, solchen Schwierigkeiten und Un-
gereimtheiten uns zu entheben, müssen wir die natürliche
Erklärung dieses Faktums willkommen heiſsen 4). Sie un-
terscheidet in den evangelischen Erzählungen von der Him-
melfahrt das Angeschaute von dem durch Raisonnement
Erschlossenen. Freilich, indem es in der A. G. heiſst:
βλεπόντων αὐτῶν ἐπήρϑη: so scheint hier eben die Erhe-
bung in den Himmel als angeschautes Faktum dargestellt
zu werden. Hier soll nun aber ἐπήρϑη nicht eine Erhe-
bung über den Boden, sondern nur dieſs bedeuten, daſs
Jesus, um die Jünger zu segnen, sich hoch aufgerichtet
habe, und ihnen dadurch erhabener erschienen sei. So-
fort wird aus dem Schluſs des Lukasevangeliums das διέςη
herübergeholt, in der Bedeutung, daſs Jesus, indem er sich
von seinen Jüngern verabschiedete, sich entfernter von ih-
nen gestellt habe. Hierauf sei in ähnlicher Weise, wie auf
dem Verklärungsberg, ein Gewölk zwischen Jesum und
die Jünger getreten, und habe ihn, in Verbindung mit den
zahlreichen Olbäumen des Bergs, ihren Blicken entzogen,
was sie dann auf die Versicherung zweier unbekannten
Männer hin für eine Aufnahme Jesu in den Himmel gehal-
ten haben. Allein, wenn Lukas in der A. G. das ἐπήρϑη
unmittelbar mit der Angabe verbindet: καὶ νεφέλη ὑπέλα-
βεν αὐτὸν: so soll doch wohl jene Erhebung die Einleitung
zu dem Aufgenommenwerden durch die Wolke sein, was
4) Wie sie namentlich Paulus giebt, a. a. O. S. 910 ff. L. J.
1, b, S. 318 ff.
43 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/694>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.