testen. Erkennen wir somit in der Darstellung des lezteren die am weitesten fortgeschrittene Tradition, so kann es Wun- der nehmen, wie hienach die Überlieferung in entgegenge- sezter Weise gewirkt haben müsste: in Bezug auf die Be- stimmung der Art und Form jener Mittheilung von der Wahrheit entfernend, in Betreff der Zeitbestimmung aber dem Richtigen annähernd. Doch diess erklärt sich, sobald man bemerkt, dass auch zu den Änderungen in der Zeit- bestimmung die Tradition nicht durch kritisches Forschen nach Wahrheit, welches freilich an ihr befremden müsste, sondern durch dieselbe Tendenz, jene Mittheilung als ein- zelnen Wunderakt hinzustellen, verleitet wurde, wie zu der andern Abänderung. Sollte nämlich Jesus durch ei- nen besondern Akt seinen Jüngern das pneuma verliehen haben: so musste es angemessen erscheinen, diesen Akt in den Stand seiner Verherrlichung, d. h. also entweder mit Jo- hannes in die Zeit nach der Auferstehung, oder noch bes- ser mit Lukas auch noch nach der Himmelfahrt zu ver- setzen, wie ja das vierte Evangelium ausdrücklich bemerkt, zu Jesu Lebzeiten habe es noch kein pneuma agion gege- ben, oti Iesous edepo edoxasthe (7, 39).
Diese Fassung der Ansicht des vierten Evangeliums über die Mittheilung des Geistes an die Jünger bewährt sich als die richtige noch dadurch, dass sie auf eine frü- her unentschieden gelassene Dunkelheit in diesem Evange- lium ein unerwartetes Licht zurückwirft. In den Abschieds- reden Jesu nämlich konnte der Streit nicht geschlichtet werden, ob das, was Jesus dort von seiner Wiederkunft sagt, auf die Tage seiner Auferstehung, oder auf die Aus- giessung des Geistes zu beziehen sei, weil für das Erstere die Beschreibung jener Wiederkunft als eines Wiederse- hens, für das Leztere die Bemerkung, dass sie in jener Zeit ihn nichts mehr fragen, ihn ganz verstehen würden, gleich entscheidend zu sprechen schien: ein Zwiespalt, der aufs Erwünschteste geschlichtet ist, wenn nach der Ansicht des
Fünftes Kapitel. §. 137.
testen. Erkennen wir somit in der Darstellung des lezteren die am weitesten fortgeschrittene Tradition, so kann es Wun- der nehmen, wie hienach die Überlieferung in entgegenge- sezter Weise gewirkt haben müſste: in Bezug auf die Be- stimmung der Art und Form jener Mittheilung von der Wahrheit entfernend, in Betreff der Zeitbestimmung aber dem Richtigen annähernd. Doch dieſs erklärt sich, sobald man bemerkt, daſs auch zu den Änderungen in der Zeit- bestimmung die Tradition nicht durch kritisches Forschen nach Wahrheit, welches freilich an ihr befremden müſste, sondern durch dieselbe Tendenz, jene Mittheilung als ein- zelnen Wunderakt hinzustellen, verleitet wurde, wie zu der andern Abänderung. Sollte nämlich Jesus durch ei- nen besondern Akt seinen Jüngern das πνεῦμα verliehen haben: so muſste es angemessen erscheinen, diesen Akt in den Stand seiner Verherrlichung, d. h. also entweder mit Jo- hannes in die Zeit nach der Auferstehung, oder noch bes- ser mit Lukas auch noch nach der Himmelfahrt zu ver- setzen, wie ja das vierte Evangelium ausdrücklich bemerkt, zu Jesu Lebzeiten habe es noch kein πνεῦμα ἅγιον gege- ben, ὅτι Ἰησοῦς ἐδέπω ἐδοξάσϑη (7, 39).
Diese Fassung der Ansicht des vierten Evangeliums über die Mittheilung des Geistes an die Jünger bewährt sich als die richtige noch dadurch, daſs sie auf eine frü- her unentschieden gelassene Dunkelheit in diesem Evange- lium ein unerwartetes Licht zurückwirft. In den Abschieds- reden Jesu nämlich konnte der Streit nicht geschlichtet werden, ob das, was Jesus dort von seiner Wiederkunft sagt, auf die Tage seiner Auferstehung, oder auf die Aus- gieſsung des Geistes zu beziehen sei, weil für das Erstere die Beschreibung jener Wiederkunft als eines Wiederse- hens, für das Leztere die Bemerkung, daſs sie in jener Zeit ihn nichts mehr fragen, ihn ganz verstehen würden, gleich entscheidend zu sprechen schien: ein Zwiespalt, der aufs Erwünschteste geschlichtet ist, wenn nach der Ansicht des
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Fünftes Kapitel. §. 137.
testen. Erkennen wir somit in der Darstellung des lezteren
die am weitesten fortgeschrittene Tradition, so kann es Wun-
der nehmen, wie hienach die Überlieferung in entgegenge-
sezter Weise gewirkt haben müſste: in Bezug auf die Be-
stimmung der Art und Form jener Mittheilung von der
Wahrheit entfernend, in Betreff der Zeitbestimmung aber
dem Richtigen annähernd. Doch dieſs erklärt sich, sobald
man bemerkt, daſs auch zu den Änderungen in der Zeit-
bestimmung die Tradition nicht durch kritisches Forschen
nach Wahrheit, welches freilich an ihr befremden müſste,
sondern durch dieselbe Tendenz, jene Mittheilung als ein-
zelnen Wunderakt hinzustellen, verleitet wurde, wie zu
der andern Abänderung. Sollte nämlich Jesus durch ei-
nen besondern Akt seinen Jüngern das πνεῦμα verliehen
haben: so muſste es angemessen erscheinen, diesen Akt in
den Stand seiner Verherrlichung, d. h. also entweder mit Jo-
hannes in die Zeit nach der Auferstehung, oder noch bes-
ser mit Lukas auch noch nach der Himmelfahrt zu ver-
setzen, wie ja das vierte Evangelium ausdrücklich bemerkt,
zu Jesu Lebzeiten habe es noch kein πνεῦμα ἅγιον gege-
ben, ὅτι Ἰησοῦς ἐδέπω ἐδοξάσϑη (7, 39).
Diese Fassung der Ansicht des vierten Evangeliums
über die Mittheilung des Geistes an die Jünger bewährt
sich als die richtige noch dadurch, daſs sie auf eine frü-
her unentschieden gelassene Dunkelheit in diesem Evange-
lium ein unerwartetes Licht zurückwirft. In den Abschieds-
reden Jesu nämlich konnte der Streit nicht geschlichtet
werden, ob das, was Jesus dort von seiner Wiederkunft
sagt, auf die Tage seiner Auferstehung, oder auf die Aus-
gieſsung des Geistes zu beziehen sei, weil für das Erstere
die Beschreibung jener Wiederkunft als eines Wiederse-
hens, für das Leztere die Bemerkung, daſs sie in jener
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 671. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/690>, abgerufen am 23.11.2024.
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