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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
sich noch andere wunderbare Erscheinungen verbinden.
Von diesen beiden Stufenreihen steht die eine zur histori-
schen Wahrscheinlichkeit in umgekehrtem Verhältniss als
die andere. Dass so früh, wie Matthäus berichtet, das
pneuma, welches, übernatürlich oder natürlich gefasst,
doch immer die begeisternde Kraft des christlich modifi-
cirten Messianismus ist, den Anhängern Jesu zu Theil ge-
worden sei, wird durch seine eigene weitere Darstellung
widerlegt, laut welcher sie eben jene christliche Modifica-
tion, das Moment des Leidens und Todes im Begriff des
Messias, noch lange nach jener Aussendung Matth. 10.
nicht begriffen hatten, und da jene Instruktionsrede auch
sonst Bestandtheile enthält, welche erst auf spätere Zeiten
und Verhältnisse passen, so kann leicht auch die fragliche
Verheissung aus dem späteren Erfolg in jene frühe Zeit
zurückgetragen sein. Erst nach dem Tod und der Auf-
erstehung Jesu lässt sich die Entwicklung dessen, was das
N. T. das pneuma agion nennt, in den Jüngern denken,
und insofern steht die johanneische Darstellung der Wahr-
heit näher, als die des Matthäus; doch, da gewiss nicht
schon zwei Tage nach dem Kreuzestode Jesu der im vori-
gen §. beschriebene Umschwung in der Stimmung seiner
Anhänger erfolgt war, so trifft auch der Bericht des Jo-
hannes die Wahrheit nicht so nahe, wie der des Lukas,
welcher doch wenigstens 50 Tage zur Ausbildung der
neuen Ansichten in den Jüngern Frist giebt. -- Umgekehrt
stellen sich die Erzählungen zur geschichtlichen Wahrheit
durch den andern Klimax. Denn je sinnlicher uns die
Mittheilung einer geistigen Kraft, je mirakulöser die Aus-
bildung einer Stimmung, welche auf natürliche Weise ent-
stehen konnte, je momentaner endlich die Entstehung ei-
ner Tüchtigkeit, welche nur allmählig sich ausgebildet
haben kann, dargestellt ist: desto weiter liegt eine solche
Darstellung von der Wahrheit ab, und in dieser Hinsicht
stünde ihr also Matthäus am nächsten, Lukas am entfern-

Dritter Abschnitt.
sich noch andere wunderbare Erscheinungen verbinden.
Von diesen beiden Stufenreihen steht die eine zur histori-
schen Wahrscheinlichkeit in umgekehrtem Verhältniſs als
die andere. Daſs so früh, wie Matthäus berichtet, das
πνεῦμα, welches, übernatürlich oder natürlich gefaſst,
doch immer die begeisternde Kraft des christlich modifi-
cirten Messianismus ist, den Anhängern Jesu zu Theil ge-
worden sei, wird durch seine eigene weitere Darstellung
widerlegt, laut welcher sie eben jene christliche Modifica-
tion, das Moment des Leidens und Todes im Begriff des
Messias, noch lange nach jener Aussendung Matth. 10.
nicht begriffen hatten, und da jene Instruktionsrede auch
sonst Bestandtheile enthält, welche erst auf spätere Zeiten
und Verhältnisse passen, so kann leicht auch die fragliche
Verheiſsung aus dem späteren Erfolg in jene frühe Zeit
zurückgetragen sein. Erst nach dem Tod und der Auf-
erstehung Jesu läſst sich die Entwicklung dessen, was das
N. T. das πνεῦμα ἅγιον nennt, in den Jüngern denken,
und insofern steht die johanneische Darstellung der Wahr-
heit näher, als die des Matthäus; doch, da gewiſs nicht
schon zwei Tage nach dem Kreuzestode Jesu der im vori-
gen §. beschriebene Umschwung in der Stimmung seiner
Anhänger erfolgt war, so trifft auch der Bericht des Jo-
hannes die Wahrheit nicht so nahe, wie der des Lukas,
welcher doch wenigstens 50 Tage zur Ausbildung der
neuen Ansichten in den Jüngern Frist giebt. — Umgekehrt
stellen sich die Erzählungen zur geschichtlichen Wahrheit
durch den andern Klimax. Denn je sinnlicher uns die
Mittheilung einer geistigen Kraft, je mirakulöser die Aus-
bildung einer Stimmung, welche auf natürliche Weise ent-
stehen konnte, je momentaner endlich die Entstehung ei-
ner Tüchtigkeit, welche nur allmählig sich ausgebildet
haben kann, dargestellt ist: desto weiter liegt eine solche
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[670/0689] Dritter Abschnitt. sich noch andere wunderbare Erscheinungen verbinden. Von diesen beiden Stufenreihen steht die eine zur histori- schen Wahrscheinlichkeit in umgekehrtem Verhältniſs als die andere. Daſs so früh, wie Matthäus berichtet, das πνεῦμα, welches, übernatürlich oder natürlich gefaſst, doch immer die begeisternde Kraft des christlich modifi- cirten Messianismus ist, den Anhängern Jesu zu Theil ge- worden sei, wird durch seine eigene weitere Darstellung widerlegt, laut welcher sie eben jene christliche Modifica- tion, das Moment des Leidens und Todes im Begriff des Messias, noch lange nach jener Aussendung Matth. 10. nicht begriffen hatten, und da jene Instruktionsrede auch sonst Bestandtheile enthält, welche erst auf spätere Zeiten und Verhältnisse passen, so kann leicht auch die fragliche Verheiſsung aus dem späteren Erfolg in jene frühe Zeit zurückgetragen sein. Erst nach dem Tod und der Auf- erstehung Jesu läſst sich die Entwicklung dessen, was das N. T. das πνεῦμα ἅγιον nennt, in den Jüngern denken, und insofern steht die johanneische Darstellung der Wahr- heit näher, als die des Matthäus; doch, da gewiſs nicht schon zwei Tage nach dem Kreuzestode Jesu der im vori- gen §. beschriebene Umschwung in der Stimmung seiner Anhänger erfolgt war, so trifft auch der Bericht des Jo- hannes die Wahrheit nicht so nahe, wie der des Lukas, welcher doch wenigstens 50 Tage zur Ausbildung der neuen Ansichten in den Jüngern Frist giebt. — Umgekehrt stellen sich die Erzählungen zur geschichtlichen Wahrheit durch den andern Klimax. Denn je sinnlicher uns die Mittheilung einer geistigen Kraft, je mirakulöser die Aus- bildung einer Stimmung, welche auf natürliche Weise ent- stehen konnte, je momentaner endlich die Entstehung ei- ner Tüchtigkeit, welche nur allmählig sich ausgebildet haben kann, dargestellt ist: desto weiter liegt eine solche Darstellung von der Wahrheit ab, und in dieser Hinsicht stünde ihr also Matthäus am nächsten, Lukas am entfern-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/689>, abgerufen am 23.11.2024.