Lukas das eipon, in eipen verwandelt, auf Jesum bezog, Galiläa aber mit Matthäus als Schauplaz nicht der frühe- ren Vorhersagung, sondern der bevorstehenden Erschei- nung Jesu beibehielt.
Ziehen wir hierauf die allgemeine Beschaffenheit der beiden Erzählungen und die Natur der Sache in Betracht, so stehen der Annahme, dass Jesus nach seiner Auferste- hung den Jüngern wirklich mehreremale in und bei Jeru- salem erschienen sei, die Kunde hievon aber aus der Tra- dition, wie sie dem ersten Evangelium zum Grunde lag, sich verloren habe, dieselben Schwierigkeiten entgegen, und die entgegengesezte hat eben so viel für sich, wie wir diess bei einer früheren Untersuchung in Bezug auf die mehreren Festreisen und judäischen Aufenthalte Jesu ge- funden haben 12). Dass die jerusalemischen Erscheinun- gen des Auferstandenen in Galiläa, wo dieser Vorausse- tzung nach die Matthäustradition sich bildete, unabsicht- lich, also durch völliges Verschwinden der Kunde von denselben, in Vergessenheit gekommen wären, lässt sich bei der Wichtigkeit gerade dieser Erscheinungen, welche, wie die vor den versammelten Eilfen und vor Thomas, die sichersten Zeugnisse für die Realität der Auferstehung enthielten, und bei dem organisirenden Einfluss der Ge- meinde in Jerusalem, nicht wohl denken; dass man aber in Galiläa von den judäischen Erscheinungen Jesu zwar gewusst, der Verfasser des ersten Evangeliums aber sie absichtlich verschwiegen haben sollte, um seiner Provinz allein die Ehre derselben zu erhalten, diess sezt einen ga- liläischen Particularismus, eine Opposition der dortigen Christen gegen die Gemeinde zu Jerusalem voraus, wovon uns jede geschichtliche Spur abgeht. Das andre Mögliche hingegen, dass vielleicht, nachdem ursprünglich bloss ga- liläische Erscheinungen des Auferstandenen bekannt ge-
12) 1. Band, S. 440 f.
Dritter Abschnitt.
Lukas das ειπον, in εἶπεν verwandelt, auf Jesum bezog, Galiläa aber mit Matthäus als Schauplaz nicht der frühe- ren Vorhersagung, sondern der bevorstehenden Erschei- nung Jesu beibehielt.
Ziehen wir hierauf die allgemeine Beschaffenheit der beiden Erzählungen und die Natur der Sache in Betracht, so stehen der Annahme, daſs Jesus nach seiner Auferste- hung den Jüngern wirklich mehreremale in und bei Jeru- salem erschienen sei, die Kunde hievon aber aus der Tra- dition, wie sie dem ersten Evangelium zum Grunde lag, sich verloren habe, dieselben Schwierigkeiten entgegen, und die entgegengesezte hat eben so viel für sich, wie wir dieſs bei einer früheren Untersuchung in Bezug auf die mehreren Festreisen und judäischen Aufenthalte Jesu ge- funden haben 12). Daſs die jerusalemischen Erscheinun- gen des Auferstandenen in Galiläa, wo dieser Vorausse- tzung nach die Matthäustradition sich bildete, unabsicht- lich, also durch völliges Verschwinden der Kunde von denselben, in Vergessenheit gekommen wären, läſst sich bei der Wichtigkeit gerade dieser Erscheinungen, welche, wie die vor den versammelten Eilfen und vor Thomas, die sichersten Zeugnisse für die Realität der Auferstehung enthielten, und bei dem organisirenden Einfluſs der Ge- meinde in Jerusalem, nicht wohl denken; daſs man aber in Galiläa von den judäischen Erscheinungen Jesu zwar gewuſst, der Verfasser des ersten Evangeliums aber sie absichtlich verschwiegen haben sollte, um seiner Provinz allein die Ehre derselben zu erhalten, dieſs sezt einen ga- liläischen Particularismus, eine Opposition der dortigen Christen gegen die Gemeinde zu Jerusalem voraus, wovon uns jede geschichtliche Spur abgeht. Das andre Mögliche hingegen, daſs vielleicht, nachdem ursprünglich bloſs ga- liläische Erscheinungen des Auferstandenen bekannt ge-
12) 1. Band, S. 440 f.
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Dritter Abschnitt.
Lukas das ειπον, in εἶπεν verwandelt, auf Jesum bezog,
Galiläa aber mit Matthäus als Schauplaz nicht der frühe-
ren Vorhersagung, sondern der bevorstehenden Erschei-
nung Jesu beibehielt.
Ziehen wir hierauf die allgemeine Beschaffenheit der
beiden Erzählungen und die Natur der Sache in Betracht,
so stehen der Annahme, daſs Jesus nach seiner Auferste-
hung den Jüngern wirklich mehreremale in und bei Jeru-
salem erschienen sei, die Kunde hievon aber aus der Tra-
dition, wie sie dem ersten Evangelium zum Grunde lag,
sich verloren habe, dieselben Schwierigkeiten entgegen,
und die entgegengesezte hat eben so viel für sich, wie wir
dieſs bei einer früheren Untersuchung in Bezug auf die
mehreren Festreisen und judäischen Aufenthalte Jesu ge-
funden haben 12). Daſs die jerusalemischen Erscheinun-
gen des Auferstandenen in Galiläa, wo dieser Vorausse-
tzung nach die Matthäustradition sich bildete, unabsicht-
lich, also durch völliges Verschwinden der Kunde von
denselben, in Vergessenheit gekommen wären, läſst sich
bei der Wichtigkeit gerade dieser Erscheinungen, welche,
wie die vor den versammelten Eilfen und vor Thomas, die
sichersten Zeugnisse für die Realität der Auferstehung
enthielten, und bei dem organisirenden Einfluſs der Ge-
meinde in Jerusalem, nicht wohl denken; daſs man aber
in Galiläa von den judäischen Erscheinungen Jesu zwar
gewuſst, der Verfasser des ersten Evangeliums aber sie
absichtlich verschwiegen haben sollte, um seiner Provinz
allein die Ehre derselben zu erhalten, dieſs sezt einen ga-
liläischen Particularismus, eine Opposition der dortigen
Christen gegen die Gemeinde zu Jerusalem voraus, wovon
uns jede geschichtliche Spur abgeht. Das andre Mögliche
hingegen, daſs vielleicht, nachdem ursprünglich bloſs ga-
liläische Erscheinungen des Auferstandenen bekannt ge-
12) 1. Band, S. 440 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/637>, abgerufen am 23.11.2024.
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