hatte, 40 Tage später, nachdem diese Reise gemacht und man in die Hauptstadt zurückgekehrt war, nunmehr jede weitere Entfernung von da verboten haben 3). Allein so wenig der zu befahrende Widerspruch verschiedener N. T.- lichen Schriftsteller ein Grund sein darf, von der natürli- chen Deutung ihrer Aussprüche abzugehen, so wenig kann man hiezu durch die Furcht berechtigt sein, es möchte sonst ein und derselbe Autor in verschiedenen Schriften sich widersprechen, da, wenn die eine etwas später als die andere geschrieben ist, der Schriftsteller in der Zwi- schenzeit über Manches anders berichtet worden sein kann, als er es bei Abfassung der ersten Schrift war. Dass diess in Bezug auf die Begebenheiten vor und zunächst nach der Auferstehung bei Lukas wirklich der Fall war, werden wir z. B. aus der Vergleichung von Luc. 24, 53. mit A. G. 1, 13. später noch sehen: womit denn jeder Grund ver- schwindet, zwischen das ephagen V. 43. und eipe de V. 44. gegen den Augenschein eines unmittelbaren Zusammen- hangs beinahe 6 Wochen Zwischenzeit einzuschieben, eben- so aber auch die Möglichkeit, die entgegengesezten Befehle Jesu bei Matthäus und Lukas durch Unterscheidung der Zeiten zu vereinigen.
Indess, gesezt auch, dieser Widerspruch liesse sich auf irgend eine Weise heben, so würden dennoch, selbst ohne jenen ausdrücklichen Befehl, welchen Lukas meldet, auch die blossen Fakta, wie sie bei ihm und seinem Vor- mann und Nachfolger erzählt sind, mit der Weisung, wel- che Jesus bei Matthäus den Jüngern ertheilt, unvereinbar blei- ben. Denn haben ihn, fragt der Wolfenbüttler, die sämmt- lichen Jünger zu zweien Malen in Jerusalem gesehen, ge- sprochen, betastet und mit ihm gespeist: wie kann es sein, dass sie, um ihn zu sehen, die weite Reise nach Galiläa haben
3)Schleiermacher, über den Lukas, S. 299 f. Paulus, S. 910.
Viertes Kapitel. §. 134.
hatte, 40 Tage später, nachdem diese Reise gemacht und man in die Hauptstadt zurückgekehrt war, nunmehr jede weitere Entfernung von da verboten haben 3). Allein so wenig der zu befahrende Widerspruch verschiedener N. T.- lichen Schriftsteller ein Grund sein darf, von der natürli- chen Deutung ihrer Aussprüche abzugehen, so wenig kann man hiezu durch die Furcht berechtigt sein, es möchte sonst ein und derselbe Autor in verschiedenen Schriften sich widersprechen, da, wenn die eine etwas später als die andere geschrieben ist, der Schriftsteller in der Zwi- schenzeit über Manches anders berichtet worden sein kann, als er es bei Abfassung der ersten Schrift war. Daſs dieſs in Bezug auf die Begebenheiten vor und zunächst nach der Auferstehung bei Lukas wirklich der Fall war, werden wir z. B. aus der Vergleichung von Luc. 24, 53. mit A. G. 1, 13. später noch sehen: womit denn jeder Grund ver- schwindet, zwischen das ἔφαγεν V. 43. und εἶπε δὲ V. 44. gegen den Augenschein eines unmittelbaren Zusammen- hangs beinahe 6 Wochen Zwischenzeit einzuschieben, eben- so aber auch die Möglichkeit, die entgegengesezten Befehle Jesu bei Matthäus und Lukas durch Unterscheidung der Zeiten zu vereinigen.
Indeſs, gesezt auch, dieser Widerspruch lieſse sich auf irgend eine Weise heben, so würden dennoch, selbst ohne jenen ausdrücklichen Befehl, welchen Lukas meldet, auch die bloſsen Fakta, wie sie bei ihm und seinem Vor- mann und Nachfolger erzählt sind, mit der Weisung, wel- che Jesus bei Matthäus den Jüngern ertheilt, unvereinbar blei- ben. Denn haben ihn, fragt der Wolfenbüttler, die sämmt- lichen Jünger zu zweien Malen in Jerusalem gesehen, ge- sprochen, betastet und mit ihm gespeist: wie kann es sein, daſs sie, um ihn zu sehen, die weite Reise nach Galiläa haben
3)Schleiermacher, über den Lukas, S. 299 f. Paulus, S. 910.
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Viertes Kapitel. §. 134.
hatte, 40 Tage später, nachdem diese Reise gemacht und
man in die Hauptstadt zurückgekehrt war, nunmehr jede
weitere Entfernung von da verboten haben 3). Allein so
wenig der zu befahrende Widerspruch verschiedener N. T.-
lichen Schriftsteller ein Grund sein darf, von der natürli-
chen Deutung ihrer Aussprüche abzugehen, so wenig kann
man hiezu durch die Furcht berechtigt sein, es möchte
sonst ein und derselbe Autor in verschiedenen Schriften
sich widersprechen, da, wenn die eine etwas später als
die andere geschrieben ist, der Schriftsteller in der Zwi-
schenzeit über Manches anders berichtet worden sein kann,
als er es bei Abfassung der ersten Schrift war. Daſs dieſs
in Bezug auf die Begebenheiten vor und zunächst nach der
Auferstehung bei Lukas wirklich der Fall war, werden
wir z. B. aus der Vergleichung von Luc. 24, 53. mit A. G.
1, 13. später noch sehen: womit denn jeder Grund ver-
schwindet, zwischen das ἔφαγεν V. 43. und εἶπε δὲ V. 44.
gegen den Augenschein eines unmittelbaren Zusammen-
hangs beinahe 6 Wochen Zwischenzeit einzuschieben, eben-
so aber auch die Möglichkeit, die entgegengesezten Befehle
Jesu bei Matthäus und Lukas durch Unterscheidung der
Zeiten zu vereinigen.
Indeſs, gesezt auch, dieser Widerspruch lieſse sich
auf irgend eine Weise heben, so würden dennoch, selbst
ohne jenen ausdrücklichen Befehl, welchen Lukas meldet,
auch die bloſsen Fakta, wie sie bei ihm und seinem Vor-
mann und Nachfolger erzählt sind, mit der Weisung, wel-
che Jesus bei Matthäus den Jüngern ertheilt, unvereinbar blei-
ben. Denn haben ihn, fragt der Wolfenbüttler, die sämmt-
lichen Jünger zu zweien Malen in Jerusalem gesehen, ge-
sprochen, betastet und mit ihm gespeist: wie kann es sein,
daſs sie, um ihn zu sehen, die weite Reise nach Galiläa haben
3) Schleiermacher, über den Lukas, S. 299 f. Paulus, S. 910.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/632>, abgerufen am 23.11.2024.
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