Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Viertes Kapitel. §. 129. Zeitbestimmung mit dem Folgenden, so dass die Aufer-weckten zwar gleich nach ihrer bei'm Tode Jesu erfolg- ten Wiederbelebung auch aus den Gräbern hervorgegan- gen sein, aber erst nach seiner Auferstehung sollen in die Stadt haben gehen dürfen: so sucht man von dem Lezte- ren vergeblich irgend einen Grund. Diese Schwierigkei- ten zu vermeiden, ist es eine grobe Gewalthülfe gewesen, die ganze Stelle ohne kritische Gründe für eingeschoben zu erklären 16); feiner ist die Art, wie die rationalisti- schen Erklärer durch Beseitigung des Wunderbaren in dem Ereigniss auch die übrigen Schwierigkeiten wegzuräumen suchen. Wie bei'm Zerreissen des Vorhangs wird auch hier meistens an das Erdbeben angeknüpft: durch dieses sollen mehrere Grabmäler, namentlich auch von Prophe- ten, geöffnet worden sein, in welchen man, sei es, dass sie verschüttet, oder verwest, oder von wilden Thieren ge- raubt worden waren, keine Leichen mehr gefunden habe. Als nun nach Jesu Auferstehung die ihm Geneigten unter den Bewohnern Jerusalems voll von Auferstehungsgedanken gewesen, so haben diese Gedanken, zusammen mit den leer- gefundenen Gräbern, Träume und Visionen in ihnen er- regt, in welchen sie die in jenen Gräbern beigesezt ge- wesenen frommen Vorfahren zu sehen geglaubt haben 17). Allein die leergefundenen Gräber hätten auch mit der Kunde von Jesu Auferstehung zusammen schwerlich sol- che Träume hervorgebracht, wenn nicht schon vorher un- ter den Juden die Erwartung geherrscht hätte, der Mes- sias werde die verstorbenen frommen Israeliten auferwe- cken. War aber diese Erwartung vorhanden, so konnte aus derselben, eher als Träume, vielmehr die Sage von 16) Stroth, von Interpolationen im Evang. Matth. In Eichhorn's Repertorium, 9, S. 139. 17) So Paulus und Kuinöl, z. d. St., welcher leztere diese Er klärung eine mythische nennt. Das Leben Jesu II. Band. 36
Viertes Kapitel. §. 129. Zeitbestimmung mit dem Folgenden, so daſs die Aufer-weckten zwar gleich nach ihrer bei'm Tode Jesu erfolg- ten Wiederbelebung auch aus den Gräbern hervorgegan- gen sein, aber erst nach seiner Auferstehung sollen in die Stadt haben gehen dürfen: so sucht man von dem Lezte- ren vergeblich irgend einen Grund. Diese Schwierigkei- ten zu vermeiden, ist es eine grobe Gewalthülfe gewesen, die ganze Stelle ohne kritische Gründe für eingeschoben zu erklären 16); feiner ist die Art, wie die rationalisti- schen Erklärer durch Beseitigung des Wunderbaren in dem Ereigniſs auch die übrigen Schwierigkeiten wegzuräumen suchen. Wie bei'm Zerreissen des Vorhangs wird auch hier meistens an das Erdbeben angeknüpft: durch dieses sollen mehrere Grabmäler, namentlich auch von Prophe- ten, geöffnet worden sein, in welchen man, sei es, daſs sie verschüttet, oder verwest, oder von wilden Thieren ge- raubt worden waren, keine Leichen mehr gefunden habe. Als nun nach Jesu Auferstehung die ihm Geneigten unter den Bewohnern Jerusalems voll von Auferstehungsgedanken gewesen, so haben diese Gedanken, zusammen mit den leer- gefundenen Gräbern, Träume und Visionen in ihnen er- regt, in welchen sie die in jenen Gräbern beigesezt ge- wesenen frommen Vorfahren zu sehen geglaubt haben 17). Allein die leergefundenen Gräber hätten auch mit der Kunde von Jesu Auferstehung zusammen schwerlich sol- che Träume hervorgebracht, wenn nicht schon vorher un- ter den Juden die Erwartung geherrscht hätte, der Mes- sias werde die verstorbenen frommen Israëliten auferwe- cken. War aber diese Erwartung vorhanden, so konnte aus derselben, eher als Träume, vielmehr die Sage von 16) Stroth, von Interpolationen im Evang. Matth. In Eichhorn's Repertorium, 9, S. 139. 17) So Paulus und Kuinöl, z. d. St., welcher leztere diese Er klärung eine mythische nennt. Das Leben Jesu II. Band. 36
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Viertes Kapitel. §. 129.
Zeitbestimmung mit dem Folgenden, so daſs die Aufer-
weckten zwar gleich nach ihrer bei'm Tode Jesu erfolg-
ten Wiederbelebung auch aus den Gräbern hervorgegan-
gen sein, aber erst nach seiner Auferstehung sollen in die
Stadt haben gehen dürfen: so sucht man von dem Lezte-
ren vergeblich irgend einen Grund. Diese Schwierigkei-
ten zu vermeiden, ist es eine grobe Gewalthülfe gewesen,
die ganze Stelle ohne kritische Gründe für eingeschoben
zu erklären 16); feiner ist die Art, wie die rationalisti-
schen Erklärer durch Beseitigung des Wunderbaren in dem
Ereigniſs auch die übrigen Schwierigkeiten wegzuräumen
suchen. Wie bei'm Zerreissen des Vorhangs wird auch
hier meistens an das Erdbeben angeknüpft: durch dieses
sollen mehrere Grabmäler, namentlich auch von Prophe-
ten, geöffnet worden sein, in welchen man, sei es, daſs
sie verschüttet, oder verwest, oder von wilden Thieren ge-
raubt worden waren, keine Leichen mehr gefunden habe.
Als nun nach Jesu Auferstehung die ihm Geneigten unter
den Bewohnern Jerusalems voll von Auferstehungsgedanken
gewesen, so haben diese Gedanken, zusammen mit den leer-
gefundenen Gräbern, Träume und Visionen in ihnen er-
regt, in welchen sie die in jenen Gräbern beigesezt ge-
wesenen frommen Vorfahren zu sehen geglaubt haben 17).
Allein die leergefundenen Gräber hätten auch mit der
Kunde von Jesu Auferstehung zusammen schwerlich sol-
che Träume hervorgebracht, wenn nicht schon vorher un-
ter den Juden die Erwartung geherrscht hätte, der Mes-
sias werde die verstorbenen frommen Israëliten auferwe-
cken. War aber diese Erwartung vorhanden, so konnte
aus derselben, eher als Träume, vielmehr die Sage von
16) Stroth, von Interpolationen im Evang. Matth. In Eichhorn's
Repertorium, 9, S. 139.
17) So Paulus und Kuinöl, z. d. St., welcher leztere diese Er
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