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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Drittes Kapitel. §. 128.
Umstehenden, oti Elian phonei outos u. s. w., nur so ent-
standen sein, dass dem Wunsch, für diese Scene dem
Psalm gemäss verschiedene Spottreden zu bekommen, der
Gleichklang des eli in dem Jesu geliehenen Ausruf mit
dem auf den Messias bezogenen Elias entgegengekommen
wäre.

Über den lezten Laut, welcher von dem sterbenden
Jesus vernommen wurde, differiren die Evangelisten. Nach
den beiden ersten war es bloss eine phone megale, mit
welcher er verschied (V. 50. 37.); nach Lukas das Gebet:
pater, eis kheiras sou parathesomai to pneuma mou (V. 46.);
nach Johannes das kurze tetelesai, worauf er das Haupt
neigte und verschied (V. 30.). Hier lassen sich die zwei
ersten Evangelisten mit je einem oder dem andern der fol-
genden durch die Annahme vereinigen: was jene unbe-
stimmt als lauten Schrei bezeichnen, und was man nach
ihrer Darstellung für einen unartikulirten Schmerzenslaut
halten könnte, davon geben diese näher die Worte an.
Schwerer hingegen fällt die Vereinigung der zwei lezten
Evangelien miteinander. Denn soll nun Jesus zuerst sei-
ne Seele Gott befohlen, und hierauf noch: es ist vollbracht!
gerufen haben, oder umgekehrt: so ist beides gleichsehr
gegen die Absicht der Evangelisten, da des Lukas kai tau-

keiner Sylbe angedeutet, vielmehr soll schon jezt sich ein
heimlicher Schauder über die Gemüther ausgebreitet, und
die Spötter bei dem Gedanken gebebt haben, Elias möchte
im Wetter erscheinen. Allein wenn sofort unter dem Vor-
wand, zusehen zu wollen, ei erkhetai Elias, soson auton, ei-
ner, der Jesu zu trinken geben will, davon abgemahnt wird,
so ist doch hiedurch jener Vorwand deutlich genug als ein
höhnischer bezeichnet, und gehört also der Schauder und
das Beben nur der unwissenschaftlichen Stimmung des bibl.
Commentators an, in welcher er sich namentlich der Lei-
densgeschichte, als einem mysterium tremendum gegenüber
befindet, und welche ihn auch schon in Pilatus eine Tiefe
finden liess, die ihm die Evangelisten nirgends geben.

Drittes Kapitel. §. 128.
Umstehenden, ὅτι Ἠλίαν φωνεῖ οὖτος u. s. w., nur so ent-
standen sein, daſs dem Wunsch, für diese Scene dem
Psalm gemäſs verschiedene Spottreden zu bekommen, der
Gleichklang des ἠλὶ in dem Jesu geliehenen Ausruf mit
dem auf den Messias bezogenen Elias entgegengekommen
wäre.

Über den lezten Laut, welcher von dem sterbenden
Jesus vernommen wurde, differiren die Evangelisten. Nach
den beiden ersten war es bloſs eine φωνὴ μεγάλη, mit
welcher er verschied (V. 50. 37.); nach Lukas das Gebet:
πάτερ, εἰς χεῖράς σου παραϑήσομαι τὸ πνεῦμά μου (V. 46.);
nach Johannes das kurze τετέλεςαι, worauf er das Haupt
neigte und verschied (V. 30.). Hier lassen sich die zwei
ersten Evangelisten mit je einem oder dem andern der fol-
genden durch die Annahme vereinigen: was jene unbe-
stimmt als lauten Schrei bezeichnen, und was man nach
ihrer Darstellung für einen unartikulirten Schmerzenslaut
halten könnte, davon geben diese näher die Worte an.
Schwerer hingegen fällt die Vereinigung der zwei lezten
Evangelien miteinander. Denn soll nun Jesus zuerst sei-
ne Seele Gott befohlen, und hierauf noch: es ist vollbracht!
gerufen haben, oder umgekehrt: so ist beides gleichsehr
gegen die Absicht der Evangelisten, da des Lukas καὶ ταῦ-

keiner Sylbe angedeutet, vielmehr soll schon jezt sich ein
heimlicher Schauder über die Gemüther ausgebreitet, und
die Spötter bei dem Gedanken gebebt haben, Elias möchte
im Wetter erscheinen. Allein wenn sofort unter dem Vor-
wand, zusehen zu wollen, εἰ ἔρχεται Ἠλίας, σώσων αὐτὸν, ei-
ner, der Jesu zu trinken geben will, davon abgemahnt wird,
so ist doch hiedurch jener Vorwand deutlich genug als ein
höhnischer bezeichnet, und gehört also der Schauder und
das Beben nur der unwissenschaftlichen Stimmung des bibl.
Commentators an, in welcher er sich namentlich der Lei-
densgeschichte, als einem mysterium tremendum gegenüber
befindet, und welche ihn auch schon in Pilatus eine Tiefe
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[551/0570] Drittes Kapitel. §. 128. Umstehenden, ὅτι Ἠλίαν φωνεῖ οὖτος u. s. w., nur so ent- standen sein, daſs dem Wunsch, für diese Scene dem Psalm gemäſs verschiedene Spottreden zu bekommen, der Gleichklang des ἠλὶ in dem Jesu geliehenen Ausruf mit dem auf den Messias bezogenen Elias entgegengekommen wäre. Über den lezten Laut, welcher von dem sterbenden Jesus vernommen wurde, differiren die Evangelisten. Nach den beiden ersten war es bloſs eine φωνὴ μεγάλη, mit welcher er verschied (V. 50. 37.); nach Lukas das Gebet: πάτερ, εἰς χεῖράς σου παραϑήσομαι τὸ πνεῦμά μου (V. 46.); nach Johannes das kurze τετέλεςαι, worauf er das Haupt neigte und verschied (V. 30.). Hier lassen sich die zwei ersten Evangelisten mit je einem oder dem andern der fol- genden durch die Annahme vereinigen: was jene unbe- stimmt als lauten Schrei bezeichnen, und was man nach ihrer Darstellung für einen unartikulirten Schmerzenslaut halten könnte, davon geben diese näher die Worte an. Schwerer hingegen fällt die Vereinigung der zwei lezten Evangelien miteinander. Denn soll nun Jesus zuerst sei- ne Seele Gott befohlen, und hierauf noch: es ist vollbracht! gerufen haben, oder umgekehrt: so ist beides gleichsehr gegen die Absicht der Evangelisten, da des Lukas καὶ ταῦ- 39) 39) keiner Sylbe angedeutet, vielmehr soll schon jezt sich ein heimlicher Schauder über die Gemüther ausgebreitet, und die Spötter bei dem Gedanken gebebt haben, Elias möchte im Wetter erscheinen. Allein wenn sofort unter dem Vor- wand, zusehen zu wollen, εἰ ἔρχεται Ἠλίας, σώσων αὐτὸν, ei- ner, der Jesu zu trinken geben will, davon abgemahnt wird, so ist doch hiedurch jener Vorwand deutlich genug als ein höhnischer bezeichnet, und gehört also der Schauder und das Beben nur der unwissenschaftlichen Stimmung des bibl. Commentators an, in welcher er sich namentlich der Lei- densgeschichte, als einem mysterium tremendum gegenüber befindet, und welche ihn auch schon in Pilatus eine Tiefe finden liess, die ihm die Evangelisten nirgends geben.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/570>, abgerufen am 18.05.2024.