Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Drittes Kapitel. §. 128. an Jesum. Denn um von einem am Kreuz Hängendeneineinstiges Kommen zur Errichtung des Messiasreichs zu er- warten, dazu gehörte das ganze System von einem ster- benden Messias, welches die Apostel vor der Auferstehung nicht begriffen, und welches somit ein leses vor ihnen gefasst haben müsste. Diess ist so unwahrscheinlich, dass es kein Wunder ist, wenn Manche in der Bekehrung des Räubers am Kreuz ein Wunder haben sehen wollen 24), und es wird durch die Annahme, welche die Erklärer zu Hülfe rufen, der Mensch werde wohl kein gemeiner, son- dern ein politischer Verbrecher, vielleicht einer der su- sasiason des Barabbas, gewesen sein 25), nur noch un- denkbarer. Denn war er ein zum Aufruhr geneigter Is- raelit, der auf Befreiung seines Volks vom römischen Jo- che hinarbeiten wollte: so war gewiss auch seine Idee vom Messias am weitesten davon entfernt, einen politisch so ganz vernichteten, wie Jesus damals war, als solchen anzuerkennen. Man darf aber nur ein Auge für Sagen- bildung haben, so wird man sie hier besonders kenntlich wiederfinden. Zwei Übelthäter waren mit Jesu gekreuzigt, so viel hatte die Geschichte, oder auch diess schon die Weissagung Jes. 53, 12, an die Hand gegeben. Sie hiengen zunächst als stumme Personen da, wie wir sie im vierten Evangelium finden, in dessen Entstehungsgebiet nur die einfache Nachricht, dass sie mit Jesu gekreuzigt worden, gedrungen war. So unbenüzt aber konnte sie die Sage in die Länge unmöglich lassen: sie öffnete ihnen den Mund, und da sie übrigens nur von Schmähungen der Umgeben- den zu berichten hatte, so liess sie in den allgemeinen Hohn 24) s. Thilo, Cod. apocr. I. S. 143. Weitere apokryphische Nach- richten von den beiden Mitgekreuzigten finden sich im evang. infant. arab. c. 23, bei Thilo, p. 92 f., vgl. die Anm. p. 143; im ev. Nicod. c. 9. 10, Thilo, p. 581 ff. c. 26, p. 766 ff. 25) Paulus und Kuinöl, z. d. St.
Drittes Kapitel. §. 128. an Jesum. Denn um von einem am Kreuz Hängendeneineinstiges Kommen zur Errichtung des Messiasreichs zu er- warten, dazu gehörte das ganze System von einem ster- benden Messias, welches die Apostel vor der Auferstehung nicht begriffen, und welches somit ein λῃςὴς vor ihnen gefaſst haben müſste. Dieſs ist so unwahrscheinlich, daſs es kein Wunder ist, wenn Manche in der Bekehrung des Räubers am Kreuz ein Wunder haben sehen wollen 24), und es wird durch die Annahme, welche die Erklärer zu Hülfe rufen, der Mensch werde wohl kein gemeiner, son- dern ein politischer Verbrecher, vielleicht einer der συ- ςασιαςῶν des Barabbas, gewesen sein 25), nur noch un- denkbarer. Denn war er ein zum Aufruhr geneigter Is- raëlit, der auf Befreiung seines Volks vom römischen Jo- che hinarbeiten wollte: so war gewiſs auch seine Idee vom Messias am weitesten davon entfernt, einen politisch so ganz vernichteten, wie Jesus damals war, als solchen anzuerkennen. Man darf aber nur ein Auge für Sagen- bildung haben, so wird man sie hier besonders kenntlich wiederfinden. Zwei Übelthäter waren mit Jesu gekreuzigt, so viel hatte die Geschichte, oder auch dieſs schon die Weissagung Jes. 53, 12, an die Hand gegeben. Sie hiengen zunächst als stumme Personen da, wie wir sie im vierten Evangelium finden, in dessen Entstehungsgebiet nur die einfache Nachricht, daſs sie mit Jesu gekreuzigt worden, gedrungen war. So unbenüzt aber konnte sie die Sage in die Länge unmöglich lassen: sie öffnete ihnen den Mund, und da sie übrigens nur von Schmähungen der Umgeben- den zu berichten hatte, so lieſs sie in den allgemeinen Hohn 24) s. Thilo, Cod. apocr. I. S. 143. Weitere apokryphische Nach- richten von den beiden Mitgekreuzigten finden sich im evang. infant. arab. c. 23, bei Thilo, p. 92 f., vgl. die Anm. p. 143; im ev. Nicod. c. 9. 10, Thilo, p. 581 ff. c. 26, p. 766 ff. 25) Paulus und Kuinöl, z. d. St.
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Drittes Kapitel. §. 128.
an Jesum. Denn um von einem am Kreuz Hängendenein
einstiges Kommen zur Errichtung des Messiasreichs zu er-
warten, dazu gehörte das ganze System von einem ster-
benden Messias, welches die Apostel vor der Auferstehung
nicht begriffen, und welches somit ein λῃςὴς vor ihnen
gefaſst haben müſste. Dieſs ist so unwahrscheinlich, daſs
es kein Wunder ist, wenn Manche in der Bekehrung des
Räubers am Kreuz ein Wunder haben sehen wollen 24),
und es wird durch die Annahme, welche die Erklärer zu
Hülfe rufen, der Mensch werde wohl kein gemeiner, son-
dern ein politischer Verbrecher, vielleicht einer der συ-
ςασιαςῶν des Barabbas, gewesen sein 25), nur noch un-
denkbarer. Denn war er ein zum Aufruhr geneigter Is-
raëlit, der auf Befreiung seines Volks vom römischen Jo-
che hinarbeiten wollte: so war gewiſs auch seine Idee
vom Messias am weitesten davon entfernt, einen politisch
so ganz vernichteten, wie Jesus damals war, als solchen
anzuerkennen. Man darf aber nur ein Auge für Sagen-
bildung haben, so wird man sie hier besonders kenntlich
wiederfinden. Zwei Übelthäter waren mit Jesu gekreuzigt,
so viel hatte die Geschichte, oder auch dieſs schon die
Weissagung Jes. 53, 12, an die Hand gegeben. Sie hiengen
zunächst als stumme Personen da, wie wir sie im vierten
Evangelium finden, in dessen Entstehungsgebiet nur die
einfache Nachricht, daſs sie mit Jesu gekreuzigt worden,
gedrungen war. So unbenüzt aber konnte sie die Sage in
die Länge unmöglich lassen: sie öffnete ihnen den Mund,
und da sie übrigens nur von Schmähungen der Umgeben-
den zu berichten hatte, so lieſs sie in den allgemeinen Hohn
24) s. Thilo, Cod. apocr. I. S. 143. Weitere apokryphische Nach-
richten von den beiden Mitgekreuzigten finden sich im evang.
infant. arab. c. 23, bei Thilo, p. 92 f., vgl. die Anm. p. 143;
im ev. Nicod. c. 9. 10, Thilo, p. 581 ff. c. 26, p. 766 ff.
25) Paulus und Kuinöl, z. d. St.
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