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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
crucifixus est 12), schliessen könnte, der Psalmstelle zu-
lieb haben diese Väter angenommen, Christus sei ausnahms-
weise mit Durchbohrung auch der Füsse gekreuzigt wor-
den: so wird doch, wenn er vorher die Durchbohrung
der Hände und Füsse die propria atrocia crucis nannte,
klar, dass jene Worte nicht eine ausgezeichnete Art der
Kreuzigung, sondern die so auffallend mit der Weissagung
zusammentreffende Todesart der Kreuzigung bedeuten. Un-
ter den Stellen der Profanscribenten ist die wichtigste die
Plautinische, wo, allerdings als ausnahmsweise verschärfte
Kreuzigung, offigantur bis pedes, bis brachia vorkommt13).
Hier fragt es sich: soll das Ungewöhnliche in dem bis be-
stehen, so dass als das auch sonst Übliche die einfache
Anheftung sowohl von Füssen als Händen vorausgesetzt wird;
oder soll das bis offigere der Hände, d. h. dass beide Hän-
de angenagelt wurden, das Gewöhnliche gewesen, das An-
nageln beider Füsse aber als ausserordentliche Verschär-
fung hinzugekommen sein? wovon jeder das Erstere den
Worten angemessener finden wird. Hienach scheint sich
mir dermalen das Übergewicht der historischen Gründe auf
Seiten derer zu neigen, welche behaupten, dass Jesu am
Kreuz beides, Hände und Füsse, angenagelt worden seien.

Noch vor der Kreuzigung war es laut der beiden er-
sten Evangelisten, dass Jesu ein Getränk angeboten wur-
de, welches Matthäus (V. 34.) als oxos meta kholes memig-
menon, Markus (V. 23.) als esmurnismenon oinon bezeichnet,
das aber beiden zufolge Jesus, bei Matthäus nachdem er
es vorher gekostet, nicht zu sich nehmen mochte. Da man
nicht begreift, zu welchem Zwecke man unter den Essig
Galle gemischt haben möge, so erklärt man gewöhnlich die
khole des Matthäus, aus dem esmurnismenon des Markus,
von bittern vegetabilischen Ingredienzien, wie namentlich

12) Adv. Marcion. 3, 19.
13) Mostellaria 2, 1.

Dritter Abschnitt.
crucifixus est 12), schlieſsen könnte, der Psalmstelle zu-
lieb haben diese Väter angenommen, Christus sei ausnahms-
weise mit Durchbohrung auch der Füſse gekreuzigt wor-
den: so wird doch, wenn er vorher die Durchbohrung
der Hände und Füſse die propria atrocia crucis nannte,
klar, daſs jene Worte nicht eine ausgezeichnete Art der
Kreuzigung, sondern die so auffallend mit der Weissagung
zusammentreffende Todesart der Kreuzigung bedeuten. Un-
ter den Stellen der Profanscribenten ist die wichtigste die
Plautinische, wo, allerdings als ausnahmsweise verschärfte
Kreuzigung, offigantur bis pedes, bis brachia vorkommt13).
Hier fragt es sich: soll das Ungewöhnliche in dem bis be-
stehen, so daſs als das auch sonst Übliche die einfache
Anheftung sowohl von Füſsen als Händen vorausgesetzt wird;
oder soll das bis offigere der Hände, d. h. daſs beide Hän-
de angenagelt wurden, das Gewöhnliche gewesen, das An-
nageln beider Füſse aber als ausserordentliche Verschär-
fung hinzugekommen sein? wovon jeder das Erstere den
Worten angemessener finden wird. Hienach scheint sich
mir dermalen das Übergewicht der historischen Gründe auf
Seiten derer zu neigen, welche behaupten, daſs Jesu am
Kreuz beides, Hände und Füſse, angenagelt worden seien.

Noch vor der Kreuzigung war es laut der beiden er-
sten Evangelisten, daſs Jesu ein Getränk angeboten wur-
de, welches Matthäus (V. 34.) als ὄξος μετὰ χολῆς μεμιγ-
μένον, Markus (V. 23.) als ἐσμυρνισμένον οἶνον bezeichnet,
das aber beiden zufolge Jesus, bei Matthäus nachdem er
es vorher gekostet, nicht zu sich nehmen mochte. Da man
nicht begreift, zu welchem Zwecke man unter den Essig
Galle gemischt haben möge, so erklärt man gewöhnlich die
χολὴ des Matthäus, aus dem ἐσμυρνισμένον des Markus,
von bittern vegetabilischen Ingredienzien, wie namentlich

12) Adv. Marcion. 3, 19.
13) Mostellaria 2, 1.
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[532/0551] Dritter Abschnitt. crucifixus est 12), schlieſsen könnte, der Psalmstelle zu- lieb haben diese Väter angenommen, Christus sei ausnahms- weise mit Durchbohrung auch der Füſse gekreuzigt wor- den: so wird doch, wenn er vorher die Durchbohrung der Hände und Füſse die propria atrocia crucis nannte, klar, daſs jene Worte nicht eine ausgezeichnete Art der Kreuzigung, sondern die so auffallend mit der Weissagung zusammentreffende Todesart der Kreuzigung bedeuten. Un- ter den Stellen der Profanscribenten ist die wichtigste die Plautinische, wo, allerdings als ausnahmsweise verschärfte Kreuzigung, offigantur bis pedes, bis brachia vorkommt 13). Hier fragt es sich: soll das Ungewöhnliche in dem bis be- stehen, so daſs als das auch sonst Übliche die einfache Anheftung sowohl von Füſsen als Händen vorausgesetzt wird; oder soll das bis offigere der Hände, d. h. daſs beide Hän- de angenagelt wurden, das Gewöhnliche gewesen, das An- nageln beider Füſse aber als ausserordentliche Verschär- fung hinzugekommen sein? wovon jeder das Erstere den Worten angemessener finden wird. Hienach scheint sich mir dermalen das Übergewicht der historischen Gründe auf Seiten derer zu neigen, welche behaupten, daſs Jesu am Kreuz beides, Hände und Füſse, angenagelt worden seien. Noch vor der Kreuzigung war es laut der beiden er- sten Evangelisten, daſs Jesu ein Getränk angeboten wur- de, welches Matthäus (V. 34.) als ὄξος μετὰ χολῆς μεμιγ- μένον, Markus (V. 23.) als ἐσμυρνισμένον οἶνον bezeichnet, das aber beiden zufolge Jesus, bei Matthäus nachdem er es vorher gekostet, nicht zu sich nehmen mochte. Da man nicht begreift, zu welchem Zwecke man unter den Essig Galle gemischt haben möge, so erklärt man gewöhnlich die χολὴ des Matthäus, aus dem ἐσμυρνισμένον des Markus, von bittern vegetabilischen Ingredienzien, wie namentlich 12) Adv. Marcion. 3, 19. 13) Mostellaria 2, 1.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/551>, abgerufen am 23.05.2024.