Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Drittes Kapitel. §. 128. stum angewendet. Den Rationalisten hingegen wird estheils leichter, den Tod Jesu für blossen Scheintod zu er- klären, theils nur dann möglich, zu begreifen, wie er nach der Auferstehung sogleich wieder gehen konnte, wenn an den Füssen keine Verwundung stattgefunden hatte: allein vielmehr, wenn es sich geschichtlich ergäbe, dass wirklich auch die Füsse Jesu angenagelt waren, müsste gefolgert werden, dass die Wiederbelebung und das Wandeln nach derselben entweder auf übernatürliche Weise, oder gar nicht, geschehen sei. Neuestens stehen sich besonders zwei gelehrte und gründliche Untersuchungen dieses Punk- tes, von Paulus und von Bähr, jene gegen, diese für die Annagelung der Füsse, gegenüber 11). Aus der evangeli- schen Erzählung kann die erstere Ansicht vor Allem das für sich geltend machen, dass weder jene Psalmstelle, die doch unter Voraussetzung einer Fussannagelung dem Prag- matismus der Evangelisten so nahe lag, irgendwo benüzt, noch in der Auferstehungsgeschichte neben den Nägelmah- len in den Händen und der Seitenwunde einer Wunde in den Füssen gedacht ist (Joh. 20, 20. 25. 27.): wogegen die andere Ansicht sich nicht ohne Grund darauf beruft, dass Luc. 24, 39. Jesus die Jünger auffordert: idete tas khei- ras mou kai tous podas mou, wo zwar, dass die Füsse durch- bohrt gewesen, nicht gesagt, aber auch schwer zu begrei- fen ist, wie, bloss um von der Realität seines Körpers überhaupt zu überzeugen, Jesus gerade die Füsse vorge- zeigt haben soll. Dass unter den Kirchenvätern auch sol- che, welche, vor Constantin lebend, die Kreuzigung noch aus eigener Anschauung kennen konnten, wie Justin und Tertullian, die Füsse Jesu angenagelt werden lassen, ist von Gewicht, und wenn man auch aus der Bemerkung des lezteren: qui (Christus) solus a populo tam insigniter 11) Paulus, im exeg. Handbuch 3, b, S. 669 -- 754; Bähr, in Tholuck's liter. Anzeiger für christl. Theol. 1835, No. 1--6. 34 *
Drittes Kapitel. §. 128. stum angewendet. Den Rationalisten hingegen wird estheils leichter, den Tod Jesu für bloſsen Scheintod zu er- klären, theils nur dann möglich, zu begreifen, wie er nach der Auferstehung sogleich wieder gehen konnte, wenn an den Füſsen keine Verwundung stattgefunden hatte: allein vielmehr, wenn es sich geschichtlich ergäbe, daſs wirklich auch die Füſse Jesu angenagelt waren, müſste gefolgert werden, daſs die Wiederbelebung und das Wandeln nach derselben entweder auf übernatürliche Weise, oder gar nicht, geschehen sei. Neuestens stehen sich besonders zwei gelehrte und gründliche Untersuchungen dieses Punk- tes, von Paulus und von Bähr, jene gegen, diese für die Annagelung der Füſse, gegenüber 11). Aus der evangeli- schen Erzählung kann die erstere Ansicht vor Allem das für sich geltend machen, daſs weder jene Psalmstelle, die doch unter Voraussetzung einer Fuſsannagelung dem Prag- matismus der Evangelisten so nahe lag, irgendwo benüzt, noch in der Auferstehungsgeschichte neben den Nägelmah- len in den Händen und der Seitenwunde einer Wunde in den Füſsen gedacht ist (Joh. 20, 20. 25. 27.): wogegen die andere Ansicht sich nicht ohne Grund darauf beruft, daſs Luc. 24, 39. Jesus die Jünger auffordert: ἴδετε τὰς χεῖ- ράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, wo zwar, daſs die Füſse durch- bohrt gewesen, nicht gesagt, aber auch schwer zu begrei- fen ist, wie, bloſs um von der Realität seines Körpers überhaupt zu überzeugen, Jesus gerade die Füſse vorge- zeigt haben soll. Daſs unter den Kirchenvätern auch sol- che, welche, vor Constantin lebend, die Kreuzigung noch aus eigener Anschauung kennen konnten, wie Justin und Tertullian, die Füſse Jesu angenagelt werden lassen, ist von Gewicht, und wenn man auch aus der Bemerkung des lezteren: qui (Christus) solus a populo tam insigniter 11) Paulus, im exeg. Handbuch 3, b, S. 669 — 754; Bähr, in Tholuck's liter. Anzeiger für christl. Theol. 1835, No. 1—6. 34 *
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Drittes Kapitel. §. 128.
stum angewendet. Den Rationalisten hingegen wird es
theils leichter, den Tod Jesu für bloſsen Scheintod zu er-
klären, theils nur dann möglich, zu begreifen, wie er nach
der Auferstehung sogleich wieder gehen konnte, wenn an
den Füſsen keine Verwundung stattgefunden hatte: allein
vielmehr, wenn es sich geschichtlich ergäbe, daſs wirklich
auch die Füſse Jesu angenagelt waren, müſste gefolgert
werden, daſs die Wiederbelebung und das Wandeln nach
derselben entweder auf übernatürliche Weise, oder gar
nicht, geschehen sei. Neuestens stehen sich besonders
zwei gelehrte und gründliche Untersuchungen dieses Punk-
tes, von Paulus und von Bähr, jene gegen, diese für die
Annagelung der Füſse, gegenüber 11). Aus der evangeli-
schen Erzählung kann die erstere Ansicht vor Allem das
für sich geltend machen, daſs weder jene Psalmstelle, die
doch unter Voraussetzung einer Fuſsannagelung dem Prag-
matismus der Evangelisten so nahe lag, irgendwo benüzt,
noch in der Auferstehungsgeschichte neben den Nägelmah-
len in den Händen und der Seitenwunde einer Wunde in
den Füſsen gedacht ist (Joh. 20, 20. 25. 27.): wogegen die
andere Ansicht sich nicht ohne Grund darauf beruft, daſs
Luc. 24, 39. Jesus die Jünger auffordert: ἴδετε τὰς χεῖ-
ράς μου καὶ τοὺς πόδας μου, wo zwar, daſs die Füſse durch-
bohrt gewesen, nicht gesagt, aber auch schwer zu begrei-
fen ist, wie, bloſs um von der Realität seines Körpers
überhaupt zu überzeugen, Jesus gerade die Füſse vorge-
zeigt haben soll. Daſs unter den Kirchenvätern auch sol-
che, welche, vor Constantin lebend, die Kreuzigung noch
aus eigener Anschauung kennen konnten, wie Justin und
Tertullian, die Füſse Jesu angenagelt werden lassen, ist
von Gewicht, und wenn man auch aus der Bemerkung des
lezteren: qui (Christus) solus a populo tam insigniter
11) Paulus, im exeg. Handbuch 3, b, S. 669 — 754; Bähr, in
Tholuck's liter. Anzeiger für christl. Theol. 1835, No. 1—6.
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