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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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und bei Sclaven die Geisselung der Kreuzigung, voranzugehen
pflegte 19). Bei Lukas erscheint sie ganz anders. Während es
dort heisst: ton de I. phragellosas paredoken ina sauro-
the: erbietet sich hier Pilatus wiederholt, V. 16 und 22:
paideusas auton apoluso, d. h. wie dort das Geisseln als
einleitendes Accidens der Hinrichtung erscheint: so hier als
ableitendes Surrogat derselben; Pilatus will durch diese
Züchtigung den Hass der Feinde Jesu befriedigen, und sie
bewegen, von dem Verlangen seiner Hinrichtung abzuste-
hen. Während es aber bei Lukas zur wirklichen Geisse-
lung nicht kommt, weil auf den wiederholten Vorschlag
des Pilatus die Juden in keiner Weise eingehen wollen:
so lässt dieser bei Johannes Jesum wirklich geisseln, stellt
ihn sofort mit dem Purpurkleid und Dornenkranz dem
Volke vor, und versucht, ob nicht sein kläglicher Anblick,
mit der wiederholten Erklärung seiner Unschuld verbun-
den, einen Eindruck auf die erbitterten Gemüther machen
möchte; aber auch diess ist vergebens (19, 1 ff.). Es be-
steht somit zwischen den Evangelisten in Betreff der Geis-
selung Jesu ein Widerspruch, welchen man nicht mit
Paulus dadurch ausgleichen darf, dass man das ton I. phra-
gellosas paredoken ina saurothe bei Matthäus und Mar-
kus so umschreibt: Jesus, den er schon vorher hatte geis-
sein lassen, um ihn zu retten, hatte diess vergeblich er-
duidet, indem er nun doch zur Kreuzigung hingegeben
wurde. Sondern, die Differenz der Berichte zugebend,
muss man nur fragen, welcher von beiden die grössere hi-
storische Wahrscheinlichkeit für sich habe? Wiewohl sich
nun freilich nicht nachweisen lässt, dass Geisselung vor
der Kreuzigung ausnahmslose römische Sitte gewesen wä-
re: so ist es doch andrerseits auch einzig aus harmoni-
stischem Bestreben, wenn behauptet wird, dass nur, wenn

19) Vgl. besonders die von Wetstein zu Matth. 27, 26. ange-
führten Stellen.

Dritter Abschnitt.
und bei Sclaven die Geisselung der Kreuzigung, voranzugehen
pflegte 19). Bei Lukas erscheint sie ganz anders. Während es
dort heiſst: τὸν δὲ Ἰ. φραγελλώσας παρέδωκεν ἵνα ςαυρω-
ϑῇ: erbietet sich hier Pilatus wiederholt, V. 16 und 22:
παιδεύσας αὐτὸν ἀπολύσω, d. h. wie dort das Geisseln als
einleitendes Accidens der Hinrichtung erscheint: so hier als
ableitendes Surrogat derselben; Pilatus will durch diese
Züchtigung den Hass der Feinde Jesu befriedigen, und sie
bewegen, von dem Verlangen seiner Hinrichtung abzuste-
hen. Während es aber bei Lukas zur wirklichen Geisse-
lung nicht kommt, weil auf den wiederholten Vorschlag
des Pilatus die Juden in keiner Weise eingehen wollen:
so läſst dieser bei Johannes Jesum wirklich geisseln, stellt
ihn sofort mit dem Purpurkleid und Dornenkranz dem
Volke vor, und versucht, ob nicht sein kläglicher Anblick,
mit der wiederholten Erklärung seiner Unschuld verbun-
den, einen Eindruck auf die erbitterten Gemüther machen
möchte; aber auch dieſs ist vergebens (19, 1 ff.). Es be-
steht somit zwischen den Evangelisten in Betreff der Geis-
selung Jesu ein Widerspruch, welchen man nicht mit
Paulus dadurch ausgleichen darf, daſs man das τὸν Ἰ. φρα-
γελλὠσας παρέδωκεν ἵνα ςαυρωϑῇ bei Matthäus und Mar-
kus so umschreibt: Jesus, den er schon vorher hatte geis-
sein lassen, um ihn zu retten, hatte dieſs vergeblich er-
duidet, indem er nun doch zur Kreuzigung hingegeben
wurde. Sondern, die Differenz der Berichte zugebend,
muſs man nur fragen, welcher von beiden die gröſsere hi-
storische Wahrscheinlichkeit für sich habe? Wiewohl sich
nun freilich nicht nachweisen läſst, daſs Geisselung vor
der Kreuzigung ausnahmslose römische Sitte gewesen wä-
re: so ist es doch andrerseits auch einzig aus harmoni-
stischem Bestreben, wenn behauptet wird, daſs nur, wenn

19) Vgl. besonders die von Wetstein zu Matth. 27, 26. ange-
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[524/0543] Dritter Abschnitt. und bei Sclaven die Geisselung der Kreuzigung, voranzugehen pflegte 19). Bei Lukas erscheint sie ganz anders. Während es dort heiſst: τὸν δὲ Ἰ. φραγελλώσας παρέδωκεν ἵνα ςαυρω- ϑῇ: erbietet sich hier Pilatus wiederholt, V. 16 und 22: παιδεύσας αὐτὸν ἀπολύσω, d. h. wie dort das Geisseln als einleitendes Accidens der Hinrichtung erscheint: so hier als ableitendes Surrogat derselben; Pilatus will durch diese Züchtigung den Hass der Feinde Jesu befriedigen, und sie bewegen, von dem Verlangen seiner Hinrichtung abzuste- hen. Während es aber bei Lukas zur wirklichen Geisse- lung nicht kommt, weil auf den wiederholten Vorschlag des Pilatus die Juden in keiner Weise eingehen wollen: so läſst dieser bei Johannes Jesum wirklich geisseln, stellt ihn sofort mit dem Purpurkleid und Dornenkranz dem Volke vor, und versucht, ob nicht sein kläglicher Anblick, mit der wiederholten Erklärung seiner Unschuld verbun- den, einen Eindruck auf die erbitterten Gemüther machen möchte; aber auch dieſs ist vergebens (19, 1 ff.). Es be- steht somit zwischen den Evangelisten in Betreff der Geis- selung Jesu ein Widerspruch, welchen man nicht mit Paulus dadurch ausgleichen darf, daſs man das τὸν Ἰ. φρα- γελλὠσας παρέδωκεν ἵνα ςαυρωϑῇ bei Matthäus und Mar- kus so umschreibt: Jesus, den er schon vorher hatte geis- sein lassen, um ihn zu retten, hatte dieſs vergeblich er- duidet, indem er nun doch zur Kreuzigung hingegeben wurde. Sondern, die Differenz der Berichte zugebend, muſs man nur fragen, welcher von beiden die gröſsere hi- storische Wahrscheinlichkeit für sich habe? Wiewohl sich nun freilich nicht nachweisen läſst, daſs Geisselung vor der Kreuzigung ausnahmslose römische Sitte gewesen wä- re: so ist es doch andrerseits auch einzig aus harmoni- stischem Bestreben, wenn behauptet wird, daſs nur, wenn 19) Vgl. besonders die von Wetstein zu Matth. 27, 26. ange- führten Stellen.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 524. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/543>, abgerufen am 22.11.2024.