ren Produkts, eines zusammengeschwemmten Conglomerats: und so scheint denn der Schluss gerechtfertigt, dass in der johanneischen Erzählung die beiden synoptischen Anekdo- ten von der Verklärung und vom Seelenkampf zusammen- geflossen seien. Hatte dem Verfasser des vierten Evange- liums die Sage, wie es scheint, schon ziemlich verwa- schen und nur in unbestimmten Umrissen, von jenen bei- den Vorfällen Kunde zugeführt: so konnten ihm leicht, wie sein Begriff von doxaxein diese Zweiseitigkeit von Lei- den und Herrlichkeit hat, beide sich vermengen; was er in der Erzählung des Seelenkampfs von einer Anrede Jesu an den Vater vernommen hatte, konnte er mit der göttli- chen Stimme aus der Verklärungsgeschichte als Antwort darauf verbinden; dieser Stimme, deren näherer Inhalt, wie die Synoptiker ihn geben, ihm nicht berichtet war, gab er aus der allgemeinen Vorstellung von dieser Begeben- heit, als einer Jesu zu Theil gewordenen doxa, den In- halt: kai edoxasa, kai palin doxaso, und um auf diese göttliche Erwiederung zu passen, musste der Anrede Jesu ausser der Bitte um Rettung noch die um Verklärung hin- zugefügt werden; der stärkende Engel, von welchem der vierte Evangelist vielleicht auch etwas vernommen hatte, wurde als Ansicht der Leute von dem Ursprung der Him- melsstimme mit aufgenommen; in Betreff des Zeitpunkts wurde zwischen dem der Verklärung und dem des Seelen- kampfs die ungefähre Mitte gehalten, wobei die Wahl der Verhältnisse aus Unkenntniss der ursprünglichen übel ausfiel.
Sehen wir von hier auf die Frage zurück, von wel- cher wir ausgegangen sind, ob wir eher die johanneischen Abschiedsreden Jesu als historisch festhalten, und dagegen die synoptische Darstellung der Scene in Gethsemane auf- geben wollen, oder umgekehrt: so werden wir vermöge des Ergebnisses unsrer eben geführten Untersuchung zu der lezteren Annahme geneigter sein. Die Schwierigkeit, welche schon darin liegt, dass man kaum begreift, wie
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Drittes Kapitel. §. 122.
ren Produkts, eines zusammengeschwemmten Conglomerats: und so scheint denn der Schluſs gerechtfertigt, daſs in der johanneischen Erzählung die beiden synoptischen Anekdo- ten von der Verklärung und vom Seelenkampf zusammen- geflossen seien. Hatte dem Verfasser des vierten Evange- liums die Sage, wie es scheint, schon ziemlich verwa- schen und nur in unbestimmten Umrissen, von jenen bei- den Vorfällen Kunde zugeführt: so konnten ihm leicht, wie sein Begriff von δοξάξειν diese Zweiseitigkeit von Lei- den und Herrlichkeit hat, beide sich vermengen; was er in der Erzählung des Seelenkampfs von einer Anrede Jesu an den Vater vernommen hatte, konnte er mit der göttli- chen Stimme aus der Verklärungsgeschichte als Antwort darauf verbinden; dieser Stimme, deren näherer Inhalt, wie die Synoptiker ihn geben, ihm nicht berichtet war, gab er aus der allgemeinen Vorstellung von dieser Begeben- heit, als einer Jesu zu Theil gewordenen δόξα, den In- halt: καὶ ἐδόξασα, καὶ πάλιν δοξάσω, und um auf diese göttliche Erwiederung zu passen, muſste der Anrede Jesu ausser der Bitte um Rettung noch die um Verklärung hin- zugefügt werden; der stärkende Engel, von welchem der vierte Evangelist vielleicht auch etwas vernommen hatte, wurde als Ansicht der Leute von dem Ursprung der Him- melsstimme mit aufgenommen; in Betreff des Zeitpunkts wurde zwischen dem der Verklärung und dem des Seelen- kampfs die ungefähre Mitte gehalten, wobei die Wahl der Verhältnisse aus Unkenntniſs der ursprünglichen übel ausfiel.
Sehen wir von hier auf die Frage zurück, von wel- cher wir ausgegangen sind, ob wir eher die johanneischen Abschiedsreden Jesu als historisch festhalten, und dagegen die synoptische Darstellung der Scene in Gethsemane auf- geben wollen, oder umgekehrt: so werden wir vermöge des Ergebnisses unsrer eben geführten Untersuchung zu der lezteren Annahme geneigter sein. Die Schwierigkeit, welche schon darin liegt, daſs man kaum begreift, wie
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Drittes Kapitel. §. 122.
ren Produkts, eines zusammengeschwemmten Conglomerats:
und so scheint denn der Schluſs gerechtfertigt, daſs in der
johanneischen Erzählung die beiden synoptischen Anekdo-
ten von der Verklärung und vom Seelenkampf zusammen-
geflossen seien. Hatte dem Verfasser des vierten Evange-
liums die Sage, wie es scheint, schon ziemlich verwa-
schen und nur in unbestimmten Umrissen, von jenen bei-
den Vorfällen Kunde zugeführt: so konnten ihm leicht,
wie sein Begriff von δοξάξειν diese Zweiseitigkeit von Lei-
den und Herrlichkeit hat, beide sich vermengen; was er
in der Erzählung des Seelenkampfs von einer Anrede Jesu
an den Vater vernommen hatte, konnte er mit der göttli-
chen Stimme aus der Verklärungsgeschichte als Antwort
darauf verbinden; dieser Stimme, deren näherer Inhalt,
wie die Synoptiker ihn geben, ihm nicht berichtet war,
gab er aus der allgemeinen Vorstellung von dieser Begeben-
heit, als einer Jesu zu Theil gewordenen δόξα, den In-
halt: καὶ ἐδόξασα, καὶ πάλιν δοξάσω, und um auf diese
göttliche Erwiederung zu passen, muſste der Anrede Jesu
ausser der Bitte um Rettung noch die um Verklärung hin-
zugefügt werden; der stärkende Engel, von welchem der
vierte Evangelist vielleicht auch etwas vernommen hatte,
wurde als Ansicht der Leute von dem Ursprung der Him-
melsstimme mit aufgenommen; in Betreff des Zeitpunkts
wurde zwischen dem der Verklärung und dem des Seelen-
kampfs die ungefähre Mitte gehalten, wobei die Wahl der
Verhältnisse aus Unkenntniſs der ursprünglichen übel ausfiel.
Sehen wir von hier auf die Frage zurück, von wel-
cher wir ausgegangen sind, ob wir eher die johanneischen
Abschiedsreden Jesu als historisch festhalten, und dagegen
die synoptische Darstellung der Scene in Gethsemane auf-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/486>, abgerufen am 22.07.2024.
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