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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
trachteten Erzählungen noch eine dritte als Parallele dar,
indem die Scene Joh. 12, 27 ff., wie einerseits durch die
Bekümmerniss und den Engel mit dem Vorgang in Geth-
semane, so andrerseits durch die Bitte um Verklärung und
die gewährende Himmelsstimme mit der Verklärungsge-
schichte zusammenhängt. Und nun sind zwei Fälle mög-
lich: entweder ist die johanneische Erzählung die einfa-
che Wurzel, aus welcher auf traditionellem Wege durch
Scheidung der in ihr enthaltenen Elemente die beiden syn-
optischen Anekdoten von der Verklärung und dem Seelen-
kampf hervorgewachsen sind: oder sind diese lezteren die
ursprünglichen Gestaltungen, aus deren Auflösung und Ver-
schwemmung in der Sage die johanneische Erzählung als
gemischtes Produkt zusammengeflossen ist; worüber nur
die Beschaffenheit der drei Anekdoten entscheiden kann.
Dass nun die synoptischen Erzählungen von der Verklä-
rung und dem Seelenkampf klare Gemälde mit bestimmt
ausgebildeten Zügen sind, kann für sich nichts beweisen,
da, wie wir zur Genüge gefunden haben, eine aus sagen-
haftem Boden erwachsene Erzählung ebensogut, als eine rein
historische, jene Eigenschaften besitzen kann. Wäre also
die johanneische Darstellung jenes Auftritts nur minder
klar und bestimmt gehalten, so könnte sie desswegen doch
für den ursprünglichen, einfachen Bericht gehalten wer-
den, aus welchem sich durch die ausschmückende und ma-
lende Arbeit der Überlieferung jene farbigeren Gebilde
herausentwickelt hätten. Nun aber fehlt es der johannei-
schen Erzählung nicht bloss an Bestimmtheit, sondern an
Übereinstimmung mit den umgebenden Verhältnissen und
mit sich selbst. Wo Jesu Antwort auf das Gesuch der
Hellenen bleibt, und wo diese selber hinkommen, weiss
Niemand; die plözliche Beklemmung Jesu und die Bitte
um eine Ehrenerklärung von Seiten Gottes sind nicht ge-
hörig motivirt. Ein solches Gemisch unzusammengehöri-
ger Theile ist aber immer das Kennzeichen eines secundä-

Dritter Abschnitt.
trachteten Erzählungen noch eine dritte als Parallele dar,
indem die Scene Joh. 12, 27 ff., wie einerseits durch die
Bekümmerniſs und den Engel mit dem Vorgang in Geth-
semane, so andrerseits durch die Bitte um Verklärung und
die gewährende Himmelsstimme mit der Verklärungsge-
schichte zusammenhängt. Und nun sind zwei Fälle mög-
lich: entweder ist die johanneische Erzählung die einfa-
che Wurzel, aus welcher auf traditionellem Wege durch
Scheidung der in ihr enthaltenen Elemente die beiden syn-
optischen Anekdoten von der Verklärung und dem Seelen-
kampf hervorgewachsen sind: oder sind diese lezteren die
ursprünglichen Gestaltungen, aus deren Auflösung und Ver-
schwemmung in der Sage die johanneische Erzählung als
gemischtes Produkt zusammengeflossen ist; worüber nur
die Beschaffenheit der drei Anekdoten entscheiden kann.
Daſs nun die synoptischen Erzählungen von der Verklä-
rung und dem Seelenkampf klare Gemälde mit bestimmt
ausgebildeten Zügen sind, kann für sich nichts beweisen,
da, wie wir zur Genüge gefunden haben, eine aus sagen-
haftem Boden erwachsene Erzählung ebensogut, als eine rein
historische, jene Eigenschaften besitzen kann. Wäre also
die johanneische Darstellung jenes Auftritts nur minder
klar und bestimmt gehalten, so könnte sie deſswegen doch
für den ursprünglichen, einfachen Bericht gehalten wer-
den, aus welchem sich durch die ausschmückende und ma-
lende Arbeit der Überlieferung jene farbigeren Gebilde
herausentwickelt hätten. Nun aber fehlt es der johannei-
schen Erzählung nicht bloſs an Bestimmtheit, sondern an
Übereinstimmung mit den umgebenden Verhältnissen und
mit sich selbst. Wo Jesu Antwort auf das Gesuch der
Hellenen bleibt, und wo diese selber hinkommen, weiſs
Niemand; die plözliche Beklemmung Jesu und die Bitte
um eine Ehrenerklärung von Seiten Gottes sind nicht ge-
hörig motivirt. Ein solches Gemisch unzusammengehöri-
ger Theile ist aber immer das Kennzeichen eines secundä-

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[466/0485] Dritter Abschnitt. trachteten Erzählungen noch eine dritte als Parallele dar, indem die Scene Joh. 12, 27 ff., wie einerseits durch die Bekümmerniſs und den Engel mit dem Vorgang in Geth- semane, so andrerseits durch die Bitte um Verklärung und die gewährende Himmelsstimme mit der Verklärungsge- schichte zusammenhängt. Und nun sind zwei Fälle mög- lich: entweder ist die johanneische Erzählung die einfa- che Wurzel, aus welcher auf traditionellem Wege durch Scheidung der in ihr enthaltenen Elemente die beiden syn- optischen Anekdoten von der Verklärung und dem Seelen- kampf hervorgewachsen sind: oder sind diese lezteren die ursprünglichen Gestaltungen, aus deren Auflösung und Ver- schwemmung in der Sage die johanneische Erzählung als gemischtes Produkt zusammengeflossen ist; worüber nur die Beschaffenheit der drei Anekdoten entscheiden kann. Daſs nun die synoptischen Erzählungen von der Verklä- rung und dem Seelenkampf klare Gemälde mit bestimmt ausgebildeten Zügen sind, kann für sich nichts beweisen, da, wie wir zur Genüge gefunden haben, eine aus sagen- haftem Boden erwachsene Erzählung ebensogut, als eine rein historische, jene Eigenschaften besitzen kann. Wäre also die johanneische Darstellung jenes Auftritts nur minder klar und bestimmt gehalten, so könnte sie deſswegen doch für den ursprünglichen, einfachen Bericht gehalten wer- den, aus welchem sich durch die ausschmückende und ma- lende Arbeit der Überlieferung jene farbigeren Gebilde herausentwickelt hätten. Nun aber fehlt es der johannei- schen Erzählung nicht bloſs an Bestimmtheit, sondern an Übereinstimmung mit den umgebenden Verhältnissen und mit sich selbst. Wo Jesu Antwort auf das Gesuch der Hellenen bleibt, und wo diese selber hinkommen, weiſs Niemand; die plözliche Beklemmung Jesu und die Bitte um eine Ehrenerklärung von Seiten Gottes sind nicht ge- hörig motivirt. Ein solches Gemisch unzusammengehöri- ger Theile ist aber immer das Kennzeichen eines secundä-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/485>, abgerufen am 22.11.2024.