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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
natou(Matth. 26, 38.): so sagt er dort: nun e psukhe mou te-
taraktai (Joh. 12, 27.); wie er hier betet, ina, ei duna-
ton esi, parelthe ap autou e ora
(Marc. 14, 35.): so bit-
tet er dort: pater, soson me ek tes oras tautes (Joh.
ebds.); wie er aber hier sich durch die Restriktion: all
outi ego thelo, alla ti su
, beruhigt (Marc. 14, 36.): so
dort durch die Reflexion: alla dia touto elthon eis ten oran
tauten
(Joh. ebendas.); endlich, wie hier ein aggelos eni-
skhuon
Jesu erscheint (Luc. 22, 43.): so ereignet sich auch
dort etwas, das einige der Umstehenden zu der Äusserung
veranlasst: aggelos auto lelaleken (Joh. V. 29.). Durch
diese Ähnlichkeit bewogen, haben neuere Theologen den
Vorgang Joh. 12, 27 ff. mit dem in Gethsemane für iden-
tisch erklärt; wobei es nur darauf ankam, auf welche von
beiden Seiten der Vorwurf ungenauer Erzählung und na-
mentlich unrichtiger Stellung fallen sollte.

Der Richtung der neueren Evangelienkritik gemäss ist
zunächst den Synoptikern aufgebürdet worden, in dieser
Sache sich geirrt zu haben. Die wahre Veranlassung des
Seelenkampfs Jesu sollte nur bei Johannes zu finden sein,
in der Annäherung jener Hellenen nämlich, welche ihm
durch Philippus und Andreas den Wunsch zu erkennen
gaben, ihn zu sehen. Diese haben ihm ohne Zweifel An-
träge machen wollen, Palästina zu verlassen, und unter
den auswärtigen Juden fortzuwirken; ein solcher Antrag
habe einen Reiz für ihn enthalten, sich der drohenden Ge-
fahr zu entziehen, und diess ihn auf einige Augenblicke
in einen Zustand von Zweifel und innerem Kampf gesezt,
welcher jedoch damit geendigt habe, dass er die Hellenen
nicht vor sich liess 9). Das heisst nun nichts Anderes, als
mit einem, durch doppeltes, kritisches wie dogmatisches

9) Goldhorn, über das Schweigen des Joh. Evang. über den
Seelenkampf Jesu in Gethsemane, in Tzschirner's Magazin
f. christl. Prediger, 1, 2, S. 1 ff.

Dritter Abschnitt.
νάτου(Matth. 26, 38.): so sagt er dort: νῦν ἡ ψυχή μου τε-
τάρακται (Joh. 12, 27.); wie er hier betet, ἵνα, εἰ δυνα-
τόν ἐςι, παρέλϑῃ ἀπ̕ αὐτοῦ ἡ ὥρα
(Marc. 14, 35.): so bit-
tet er dort: πάτερ, σῶσόν με ἐκ τῆς ὥρας ταύτης (Joh.
ebds.); wie er aber hier sich durch die Restriktion: ἀλλ̕
ουτί ἐγὼ ϑέλω, ἀλλὰ τί σύ
, beruhigt (Marc. 14, 36.): so
dort durch die Reflexion: ἀλλὰ διὰ τοῦτο ἦλϑον εἰς τὴν ὥραν
ταύτην
(Joh. ebendas.); endlich, wie hier ein ἄγγελος ἐνι-
σχύων
Jesu erscheint (Luc. 22, 43.): so ereignet sich auch
dort etwas, das einige der Umstehenden zu der Äusserung
veranlaſst: ἄγγελος αὐτῷ λελάληκεν (Joh. V. 29.). Durch
diese Ähnlichkeit bewogen, haben neuere Theologen den
Vorgang Joh. 12, 27 ff. mit dem in Gethsemane für iden-
tisch erklärt; wobei es nur darauf ankam, auf welche von
beiden Seiten der Vorwurf ungenauer Erzählung und na-
mentlich unrichtiger Stellung fallen sollte.

Der Richtung der neueren Evangelienkritik gemäſs ist
zunächst den Synoptikern aufgebürdet worden, in dieser
Sache sich geirrt zu haben. Die wahre Veranlassung des
Seelenkampfs Jesu sollte nur bei Johannes zu finden sein,
in der Annäherung jener Hellenen nämlich, welche ihm
durch Philippus und Andreas den Wunsch zu erkennen
gaben, ihn zu sehen. Diese haben ihm ohne Zweifel An-
träge machen wollen, Palästina zu verlassen, und unter
den auswärtigen Juden fortzuwirken; ein solcher Antrag
habe einen Reiz für ihn enthalten, sich der drohenden Ge-
fahr zu entziehen, und dieſs ihn auf einige Augenblicke
in einen Zustand von Zweifel und innerem Kampf gesezt,
welcher jedoch damit geendigt habe, daſs er die Hellenen
nicht vor sich lieſs 9). Das heiſst nun nichts Anderes, als
mit einem, durch doppeltes, kritisches wie dogmatisches

9) Goldhorn, über das Schweigen des Joh. Evang. über den
Seelenkampf Jesu in Gethsemane, in Tzschirner's Magazin
f. christl. Prediger, 1, 2, S. 1 ff.
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[462/0481] Dritter Abschnitt. νάτου(Matth. 26, 38.): so sagt er dort: νῦν ἡ ψυχή μου τε- τάρακται (Joh. 12, 27.); wie er hier betet, ἵνα, εἰ δυνα- τόν ἐςι, παρέλϑῃ ἀπ̕ αὐτοῦ ἡ ὥρα (Marc. 14, 35.): so bit- tet er dort: πάτερ, σῶσόν με ἐκ τῆς ὥρας ταύτης (Joh. ebds.); wie er aber hier sich durch die Restriktion: ἀλλ̕ ουτί ἐγὼ ϑέλω, ἀλλὰ τί σύ, beruhigt (Marc. 14, 36.): so dort durch die Reflexion: ἀλλὰ διὰ τοῦτο ἦλϑον εἰς τὴν ὥραν ταύτην (Joh. ebendas.); endlich, wie hier ein ἄγγελος ἐνι- σχύων Jesu erscheint (Luc. 22, 43.): so ereignet sich auch dort etwas, das einige der Umstehenden zu der Äusserung veranlaſst: ἄγγελος αὐτῷ λελάληκεν (Joh. V. 29.). Durch diese Ähnlichkeit bewogen, haben neuere Theologen den Vorgang Joh. 12, 27 ff. mit dem in Gethsemane für iden- tisch erklärt; wobei es nur darauf ankam, auf welche von beiden Seiten der Vorwurf ungenauer Erzählung und na- mentlich unrichtiger Stellung fallen sollte. Der Richtung der neueren Evangelienkritik gemäſs ist zunächst den Synoptikern aufgebürdet worden, in dieser Sache sich geirrt zu haben. Die wahre Veranlassung des Seelenkampfs Jesu sollte nur bei Johannes zu finden sein, in der Annäherung jener Hellenen nämlich, welche ihm durch Philippus und Andreas den Wunsch zu erkennen gaben, ihn zu sehen. Diese haben ihm ohne Zweifel An- träge machen wollen, Palästina zu verlassen, und unter den auswärtigen Juden fortzuwirken; ein solcher Antrag habe einen Reiz für ihn enthalten, sich der drohenden Ge- fahr zu entziehen, und dieſs ihn auf einige Augenblicke in einen Zustand von Zweifel und innerem Kampf gesezt, welcher jedoch damit geendigt habe, daſs er die Hellenen nicht vor sich lieſs 9). Das heiſst nun nichts Anderes, als mit einem, durch doppeltes, kritisches wie dogmatisches 9) Goldhorn, über das Schweigen des Joh. Evang. über den Seelenkampf Jesu in Gethsemane, in Tzschirner's Magazin f. christl. Prediger, 1, 2, S. 1 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/481>, abgerufen am 20.05.2024.