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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
noch einmal in ängstlichen Kampf zurücksank: müsste er
da nicht sich fragen lassen: warum hast du, statt in eiteln
Hoffnungen der Herrlichkeit zu schwelgen, dich nicht lie-
ber bei Zeit mit dem ernsten Gedanken des bevorstehenden
Leidens beschäftigt, um dir durch solche Vorbereitung die
gefährliche Überraschung durch das Herannahen desselben
zu ersparen? warum hast du Triumph gerufen, ehe du
gekämpft hattest, um dann bei Annäherung des Kampfs
mit Beschämung um Hülfe rufen zu müssen? In der That,
nach der in jenen Abschiedsreden, und besonders im Schluss-
gebet, ausgesprochenen Gewissheit des bereits errungenen
Siegs wäre das Herabsinken in eine Stimmung, wie sie die
Synoptiker schildern, ein sehr demüthigender Rückfall ge-
wesen, welchen Jesus nicht vorausgesehen haben könnte,
sonst würde er sich vorher nicht so selbstgewiss ausgespro-
chen haben, welcher demnach beweisen würde, dass er
sich über sich selbst getäuscht, dass er sich für stärker
genommen hätte, als er sich wirklich fand, und dass er
jene zu hohe Meinung von sich nicht ohne einige Vermes-
senheit ausgesprochen hätte. Wer nun diess dem sonstigen,
ebenso besonnenen als bescheidenen Wesen Jesu nicht an-
gemessen findet, der wird sich zu dem Dilemma gedrun-
gen fühlen, dass entweder die johanneischen Abschiedsre-
den, und namentlich das Schlussgebet, oder aber die Vor-
gänge in Gethsemane nicht historisch sein können.

Schade, dass bei der Entscheidung hierüber die Theo-
logen mehr von dogmatischen Vorurtheilen, als von kriti-
schen Gründen ausgegangen sind. Usteri's Behauptung we-
nigstens, dass nur die johanneische Darstellung der Stim-
mung Jesu in seinen lezten Stunden die richtige, die der
Synoptiker aber unhistorisch sei 7), wird man nur aus der
Anhänglichkeit ihres Urhebers an die Paragraphen der

7) Commentatio critica, qua Evangelium Joannis genuinum esse
-- ostenditur, p. 57 ff.

Dritter Abschnitt.
noch einmal in ängstlichen Kampf zurücksank: müſste er
da nicht sich fragen lassen: warum hast du, statt in eiteln
Hoffnungen der Herrlichkeit zu schwelgen, dich nicht lie-
ber bei Zeit mit dem ernsten Gedanken des bevorstehenden
Leidens beschäftigt, um dir durch solche Vorbereitung die
gefährliche Überraschung durch das Herannahen desselben
zu ersparen? warum hast du Triumph gerufen, ehe du
gekämpft hattest, um dann bei Annäherung des Kampfs
mit Beschämung um Hülfe rufen zu müssen? In der That,
nach der in jenen Abschiedsreden, und besonders im Schluſs-
gebet, ausgesprochenen Gewiſsheit des bereits errungenen
Siegs wäre das Herabsinken in eine Stimmung, wie sie die
Synoptiker schildern, ein sehr demüthigender Rückfall ge-
wesen, welchen Jesus nicht vorausgesehen haben könnte,
sonst würde er sich vorher nicht so selbstgewiſs ausgespro-
chen haben, welcher demnach beweisen würde, daſs er
sich über sich selbst getäuscht, daſs er sich für stärker
genommen hätte, als er sich wirklich fand, und daſs er
jene zu hohe Meinung von sich nicht ohne einige Vermes-
senheit ausgesprochen hätte. Wer nun dieſs dem sonstigen,
ebenso besonnenen als bescheidenen Wesen Jesu nicht an-
gemessen findet, der wird sich zu dem Dilemma gedrun-
gen fühlen, daſs entweder die johanneischen Abschiedsre-
den, und namentlich das Schluſsgebet, oder aber die Vor-
gänge in Gethsemane nicht historisch sein können.

Schade, daſs bei der Entscheidung hierüber die Theo-
logen mehr von dogmatischen Vorurtheilen, als von kriti-
schen Gründen ausgegangen sind. Usteri's Behauptung we-
nigstens, daſs nur die johanneische Darstellung der Stim-
mung Jesu in seinen lezten Stunden die richtige, die der
Synoptiker aber unhistorisch sei 7), wird man nur aus der
Anhänglichkeit ihres Urhebers an die Paragraphen der

7) Commentatio critica, qua Evangelium Joannis genuinum esse
— ostenditur, p. 57 ff.
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[460/0479] Dritter Abschnitt. noch einmal in ängstlichen Kampf zurücksank: müſste er da nicht sich fragen lassen: warum hast du, statt in eiteln Hoffnungen der Herrlichkeit zu schwelgen, dich nicht lie- ber bei Zeit mit dem ernsten Gedanken des bevorstehenden Leidens beschäftigt, um dir durch solche Vorbereitung die gefährliche Überraschung durch das Herannahen desselben zu ersparen? warum hast du Triumph gerufen, ehe du gekämpft hattest, um dann bei Annäherung des Kampfs mit Beschämung um Hülfe rufen zu müssen? In der That, nach der in jenen Abschiedsreden, und besonders im Schluſs- gebet, ausgesprochenen Gewiſsheit des bereits errungenen Siegs wäre das Herabsinken in eine Stimmung, wie sie die Synoptiker schildern, ein sehr demüthigender Rückfall ge- wesen, welchen Jesus nicht vorausgesehen haben könnte, sonst würde er sich vorher nicht so selbstgewiſs ausgespro- chen haben, welcher demnach beweisen würde, daſs er sich über sich selbst getäuscht, daſs er sich für stärker genommen hätte, als er sich wirklich fand, und daſs er jene zu hohe Meinung von sich nicht ohne einige Vermes- senheit ausgesprochen hätte. Wer nun dieſs dem sonstigen, ebenso besonnenen als bescheidenen Wesen Jesu nicht an- gemessen findet, der wird sich zu dem Dilemma gedrun- gen fühlen, daſs entweder die johanneischen Abschiedsre- den, und namentlich das Schluſsgebet, oder aber die Vor- gänge in Gethsemane nicht historisch sein können. Schade, daſs bei der Entscheidung hierüber die Theo- logen mehr von dogmatischen Vorurtheilen, als von kriti- schen Gründen ausgegangen sind. Usteri's Behauptung we- nigstens, daſs nur die johanneische Darstellung der Stim- mung Jesu in seinen lezten Stunden die richtige, die der Synoptiker aber unhistorisch sei 7), wird man nur aus der Anhänglichkeit ihres Urhebers an die Paragraphen der 7) Commentatio critica, qua Evangelium Joannis genuinum esse — ostenditur, p. 57 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/479>, abgerufen am 22.11.2024.