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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Drittes Kapitel. §. 122.
schen Berichte im Garten vorgegangen sein sollen, nicht
wohl gefolgt sein können. In den Abschiedsreden bei Jo-
hannes nämlich, Kap. 14--17, spricht Jesus ganz wie ei-
ner, der das bevorstehende Leiden innerlich schon völlig
überwunden hat; von einem Standpunkt, welchem der Tod
in den Strahlen der auf ihn folgenden Herrlichkeit ver-
schwimmt; mit einer göttlichen Ruhe, die in der Gewiss-
heit ihrer Unerschütterlichkeit heiter ist: wie konnte ihm
unmittelbar darauf diese Ruhe in der heftigsten Gemüths-
bewegung, diese Heiterkeit in Todesbetrübniss untergehen,
und er aus dem schon gewonnenen Sieg wieder zum schwan-
kenden Kampf, in welchem er der Stärkung durch einen En-
gel bedurfte, zurücksinken? In jenen Abschiedsreden ist
er es durchaus, welcher aus der Fülle seiner inneren Klar-
heit und Sicherheit die zagenden Freunde beruhigt: und
nun soll er bei den schlaftrunkenen Schülern geistigen Bei-
stand gesucht haben, indem er sie mit ihm zu wachen bat;
dort ist er der heilsamen Wirkungen seines bevorstehenden
Todes so gewiss, dass er die Jünger versichert, es sei gut,
dass er hingehe, sonst käme der parakletos nicht zu ih-
nen: nun soll er hier wieder gezweifelt haben, ob sein
Tod auch wirklich des Vaters Wille sei; dort zeigt er
ein Bewusstsein, welches in der Nothwendigkeit des To-
des dadurch, dass es diese begreift, die Freiheit wieder-
findet, so dass sein Sterbenwollen mit dem göttlichen Wil-
len, dass er sterben solle, eins ist: hier gehen diese bei-
den Willen so auseinander, dass sich der subjektive unter
den absoluten zwar freiwillig, aber doch nur schmerzhaft,
beugt. Und diese beiden so entgegengesetzten Stimmungen
sind nicht etwa durch eine zwischeneingetretene schrecken-
de Begebenheit, sondern nur durch den geringen Zeitraum
getrennt, welcher während des Gangs aus Jerusalem über
den Kidron nach dem Oelberg verlief: ganz als wäre Je-
su in jenem Bache, wie den Seelen im Lethe, alle Erinnerung
an die vorangegangenen Reden und Stimmungen versunken.

Drittes Kapitel. §. 122.
schen Berichte im Garten vorgegangen sein sollen, nicht
wohl gefolgt sein können. In den Abschiedsreden bei Jo-
hannes nämlich, Kap. 14—17, spricht Jesus ganz wie ei-
ner, der das bevorstehende Leiden innerlich schon völlig
überwunden hat; von einem Standpunkt, welchem der Tod
in den Strahlen der auf ihn folgenden Herrlichkeit ver-
schwimmt; mit einer göttlichen Ruhe, die in der Gewiſs-
heit ihrer Unerschütterlichkeit heiter ist: wie konnte ihm
unmittelbar darauf diese Ruhe in der heftigsten Gemüths-
bewegung, diese Heiterkeit in Todesbetrübniſs untergehen,
und er aus dem schon gewonnenen Sieg wieder zum schwan-
kenden Kampf, in welchem er der Stärkung durch einen En-
gel bedurfte, zurücksinken? In jenen Abschiedsreden ist
er es durchaus, welcher aus der Fülle seiner inneren Klar-
heit und Sicherheit die zagenden Freunde beruhigt: und
nun soll er bei den schlaftrunkenen Schülern geistigen Bei-
stand gesucht haben, indem er sie mit ihm zu wachen bat;
dort ist er der heilsamen Wirkungen seines bevorstehenden
Todes so gewiſs, daſs er die Jünger versichert, es sei gut,
daſs er hingehe, sonst käme der παράκλητος nicht zu ih-
nen: nun soll er hier wieder gezweifelt haben, ob sein
Tod auch wirklich des Vaters Wille sei; dort zeigt er
ein Bewuſstsein, welches in der Nothwendigkeit des To-
des dadurch, daſs es diese begreift, die Freiheit wieder-
findet, so daſs sein Sterbenwollen mit dem göttlichen Wil-
len, daſs er sterben solle, eins ist: hier gehen diese bei-
den Willen so auseinander, daſs sich der subjektive unter
den absoluten zwar freiwillig, aber doch nur schmerzhaft,
beugt. Und diese beiden so entgegengesetzten Stimmungen
sind nicht etwa durch eine zwischeneingetretene schrecken-
de Begebenheit, sondern nur durch den geringen Zeitraum
getrennt, welcher während des Gangs aus Jerusalem über
den Kidron nach dem Oelberg verlief: ganz als wäre Je-
su in jenem Bache, wie den Seelen im Lethe, alle Erinnerung
an die vorangegangenen Reden und Stimmungen versunken.

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[457/0476] Drittes Kapitel. §. 122. schen Berichte im Garten vorgegangen sein sollen, nicht wohl gefolgt sein können. In den Abschiedsreden bei Jo- hannes nämlich, Kap. 14—17, spricht Jesus ganz wie ei- ner, der das bevorstehende Leiden innerlich schon völlig überwunden hat; von einem Standpunkt, welchem der Tod in den Strahlen der auf ihn folgenden Herrlichkeit ver- schwimmt; mit einer göttlichen Ruhe, die in der Gewiſs- heit ihrer Unerschütterlichkeit heiter ist: wie konnte ihm unmittelbar darauf diese Ruhe in der heftigsten Gemüths- bewegung, diese Heiterkeit in Todesbetrübniſs untergehen, und er aus dem schon gewonnenen Sieg wieder zum schwan- kenden Kampf, in welchem er der Stärkung durch einen En- gel bedurfte, zurücksinken? In jenen Abschiedsreden ist er es durchaus, welcher aus der Fülle seiner inneren Klar- heit und Sicherheit die zagenden Freunde beruhigt: und nun soll er bei den schlaftrunkenen Schülern geistigen Bei- stand gesucht haben, indem er sie mit ihm zu wachen bat; dort ist er der heilsamen Wirkungen seines bevorstehenden Todes so gewiſs, daſs er die Jünger versichert, es sei gut, daſs er hingehe, sonst käme der παράκλητος nicht zu ih- nen: nun soll er hier wieder gezweifelt haben, ob sein Tod auch wirklich des Vaters Wille sei; dort zeigt er ein Bewuſstsein, welches in der Nothwendigkeit des To- des dadurch, daſs es diese begreift, die Freiheit wieder- findet, so daſs sein Sterbenwollen mit dem göttlichen Wil- len, daſs er sterben solle, eins ist: hier gehen diese bei- den Willen so auseinander, daſs sich der subjektive unter den absoluten zwar freiwillig, aber doch nur schmerzhaft, beugt. Und diese beiden so entgegengesetzten Stimmungen sind nicht etwa durch eine zwischeneingetretene schrecken- de Begebenheit, sondern nur durch den geringen Zeitraum getrennt, welcher während des Gangs aus Jerusalem über den Kidron nach dem Oelberg verlief: ganz als wäre Je- su in jenem Bache, wie den Seelen im Lethe, alle Erinnerung an die vorangegangenen Reden und Stimmungen versunken.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/476>, abgerufen am 22.11.2024.