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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 89.
in der Synagoge erfahren haben. Davon schweigt der Text
nicht blos, sondern er widerspricht einer solchen Annah-
me aufs Bestimmteste. Sein Wissen um Jesu Messiani-
tät hebt der aus dem Menschen redende Dämon durch das
oida se tis ei k. t. l. deutlich als ein ihm nicht von Men-
schen zufällig Mitgetheiltes, sondern als ein ihm vermöge
seiner dämonischen Natur wesentlich Zukommendes heraus.
Ferner, wenn Jesus ihm ein phimotheti! zuruft, so bezieht
sich diess eben auf das, was der Dämon zuvor von seiner
Messianität ausgesagt hatte, wie ja auch sonst von Jesu
erzählt wird, dass er ouk ephie lalein ta daimonia, oti edei-
san auton (Marc. 1, 34. Luc. 4, 41.), oder, ina me phaneron
auton poiesosin
(Marc. 3, 12.); glaubte also Jesus durch
das dem Dämon aufgelegte Schweigen das Bekanntwerden
seiner Messianität verhindern zu können, so muss er der
Meinung gewesen sein, dass nicht der Besessene durch das
Volk in der Synagoge etwas von derselben gehört habe,
vielmehr umgekehrt dieses es von dem Besessenen erfahren
könnte; wie denn auch in der Zeit des ersten Auftritts
Jesu, in welche die Evangelisten den Vorfall verlegen,
noch Niemand an seine Messianität gedacht hat.

Fragt es sich demnach, wie, ohne Mittheilung von
aussen, der Dämonische Jesum als Messias durchschaut
haben könne? so beruft sich Olshausen auf die unnatür-
lich gesteigerte Nerventhätigkeit, welche in dämonischen
Personen wie in somnambülen ein verstärktes Ahnungsver-
mögen, eine Art von Hellsehen hervorbringe, vermöge des-
sen ein solcher Mensch gar wohl die Bedeutung Jesu für
das ganze Geisterreich habe erkennen können 2). Allein
abgesehen von den starken Zweifeln, welchen die Wirk-
lichkeit eines solchen Hellsehens bei Somnambülen noch
unterliegt, so schreibt die evangelische Darstellung jene
Kunde nicht einem Vermögen des Kranken, sondern des

2) b. Comm. 1, 296.

Neuntes Kapitel. §. 89.
in der Synagoge erfahren haben. Davon schweigt der Text
nicht blos, sondern er widerspricht einer solchen Annah-
me aufs Bestimmteste. Sein Wissen um Jesu Messiani-
tät hebt der aus dem Menschen redende Dämon durch das
οἶδά σε τίς εἶ κ. τ. λ. deutlich als ein ihm nicht von Men-
schen zufällig Mitgetheiltes, sondern als ein ihm vermöge
seiner dämonischen Natur wesentlich Zukommendes heraus.
Ferner, wenn Jesus ihm ein φιμώϑητι! zuruft, so bezieht
sich dieſs eben auf das, was der Dämon zuvor von seiner
Messianität ausgesagt hatte, wie ja auch sonst von Jesu
erzählt wird, daſs er οὐκ ἤφιε λαλεῖν τὰ δαιμόνια, ὅτι ἤδει-
σαν αὐτὸν (Marc. 1, 34. Luc. 4, 41.), oder, ἵνα μὴ φανερὸν
αὐτὸν ποιήσωσιν
(Marc. 3, 12.); glaubte also Jesus durch
das dem Dämon aufgelegte Schweigen das Bekanntwerden
seiner Messianität verhindern zu können, so muſs er der
Meinung gewesen sein, daſs nicht der Besessene durch das
Volk in der Synagoge etwas von derselben gehört habe,
vielmehr umgekehrt dieses es von dem Besessenen erfahren
könnte; wie denn auch in der Zeit des ersten Auftritts
Jesu, in welche die Evangelisten den Vorfall verlegen,
noch Niemand an seine Messianität gedacht hat.

Fragt es sich demnach, wie, ohne Mittheilung von
aussen, der Dämonische Jesum als Messias durchschaut
haben könne? so beruft sich Olshausen auf die unnatür-
lich gesteigerte Nerventhätigkeit, welche in dämonischen
Personen wie in somnambülen ein verstärktes Ahnungsver-
mögen, eine Art von Hellsehen hervorbringe, vermöge des-
sen ein solcher Mensch gar wohl die Bedeutung Jesu für
das ganze Geisterreich habe erkennen können 2). Allein
abgesehen von den starken Zweifeln, welchen die Wirk-
lichkeit eines solchen Hellsehens bei Somnambülen noch
unterliegt, so schreibt die evangelische Darstellung jene
Kunde nicht einem Vermögen des Kranken, sondern des

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[23/0042] Neuntes Kapitel. §. 89. in der Synagoge erfahren haben. Davon schweigt der Text nicht blos, sondern er widerspricht einer solchen Annah- me aufs Bestimmteste. Sein Wissen um Jesu Messiani- tät hebt der aus dem Menschen redende Dämon durch das οἶδά σε τίς εἶ κ. τ. λ. deutlich als ein ihm nicht von Men- schen zufällig Mitgetheiltes, sondern als ein ihm vermöge seiner dämonischen Natur wesentlich Zukommendes heraus. Ferner, wenn Jesus ihm ein φιμώϑητι! zuruft, so bezieht sich dieſs eben auf das, was der Dämon zuvor von seiner Messianität ausgesagt hatte, wie ja auch sonst von Jesu erzählt wird, daſs er οὐκ ἤφιε λαλεῖν τὰ δαιμόνια, ὅτι ἤδει- σαν αὐτὸν (Marc. 1, 34. Luc. 4, 41.), oder, ἵνα μὴ φανερὸν αὐτὸν ποιήσωσιν (Marc. 3, 12.); glaubte also Jesus durch das dem Dämon aufgelegte Schweigen das Bekanntwerden seiner Messianität verhindern zu können, so muſs er der Meinung gewesen sein, daſs nicht der Besessene durch das Volk in der Synagoge etwas von derselben gehört habe, vielmehr umgekehrt dieses es von dem Besessenen erfahren könnte; wie denn auch in der Zeit des ersten Auftritts Jesu, in welche die Evangelisten den Vorfall verlegen, noch Niemand an seine Messianität gedacht hat. Fragt es sich demnach, wie, ohne Mittheilung von aussen, der Dämonische Jesum als Messias durchschaut haben könne? so beruft sich Olshausen auf die unnatür- lich gesteigerte Nerventhätigkeit, welche in dämonischen Personen wie in somnambülen ein verstärktes Ahnungsver- mögen, eine Art von Hellsehen hervorbringe, vermöge des- sen ein solcher Mensch gar wohl die Bedeutung Jesu für das ganze Geisterreich habe erkennen können 2). Allein abgesehen von den starken Zweifeln, welchen die Wirk- lichkeit eines solchen Hellsehens bei Somnambülen noch unterliegt, so schreibt die evangelische Darstellung jene Kunde nicht einem Vermögen des Kranken, sondern des 2) b. Comm. 1, 296.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/42>, abgerufen am 24.11.2024.