Allein diesen Eindruck macht die evangelische Erzäh- lung durchaus nicht. Von einer Verabredung, vorgängigen Bestellung, hat sie nichts; vielmehr scheint das euron kath- os eireken autois bei Markus und Lukas darauf hinwei- sen zu sollen, dass Jesus Alles, wie es sich später wirk- lich fand, vorauszusagen im Stande war; eine furchtsame Vorsicht ist nirgends angedeutet, vielmehr weist Alles auf eine wundersame Voraussicht hin. Näher ist hier, wie oben bei der Bestellung des Reitthieres zum Einzug in Jerusalem, das zwiefache Wunder vorhanden, dass ei- nerseits für Jesu Bedürfnisse Alles bereit ist, und der Gewalt seines Namens Niemand zu wiederstehen vermag; andrerseits aber Jesus in entfernte Verhältnisse einen Blick zu werfen, und das Zufälligste vorherzusagen im Stande ist 4). Es muss befremden, dass diese so unab- weisbar sich darbietende supranaturalistische Auffassung des vorliegenden Berichts diessmal selbst Olshausen zu umgehen sucht, mit Gründen, durch welche die meisten Wundergeschichten umzustossen wären, und welche man sonst nur von Rationalisten zu hören gewohnt ist. Dem unparteiischen Ausleger, sagt er 5), gebe die Erzählung nicht das Geringste an die Hand, das die wunderhafte Auffassung rechtfertigte -- man glaubt sich bereits in Pau- lus Commentar versetzt; wollten die Referenten ein Wun- der erzählen, so hätten sie ausdrücklich bemerken müssen, es habe keine Verabredung stattgefunden -- ganz das ra- tionalistische Begehren, wenn eine Heilung als wunderba- re anerkannt werden sollte, so müsste die Anwendung na-
4) Richtig, nur mit zu specieller Beziehung auf das Jesu bevor- stehende Leiden, giebt Beza, zu Matth. 26, 18., als Zweck dieser Vorherbezeichnung an, ut magis ac magis intellige- rent discipuli, nihil temere in urbe magistro eventurum, sed quae ad minutissimas usque circumstantias penitus perspecta haberet.
5) b. Comm. 2, S. 385 f.
Zweites Kapitel. §. 116.
Allein diesen Eindruck macht die evangelische Erzäh- lung durchaus nicht. Von einer Verabredung, vorgängigen Bestellung, hat sie nichts; vielmehr scheint das εὐρον καϑ- ὼς εἴρηκεν αὐτοῖς bei Markus und Lukas darauf hinwei- sen zu sollen, daſs Jesus Alles, wie es sich später wirk- lich fand, vorauszusagen im Stande war; eine furchtsame Vorsicht ist nirgends angedeutet, vielmehr weist Alles auf eine wundersame Voraussicht hin. Näher ist hier, wie oben bei der Bestellung des Reitthieres zum Einzug in Jerusalem, das zwiefache Wunder vorhanden, daſs ei- nerseits für Jesu Bedürfnisse Alles bereit ist, und der Gewalt seines Namens Niemand zu wiederstehen vermag; andrerseits aber Jesus in entfernte Verhältnisse einen Blick zu werfen, und das Zufälligste vorherzusagen im Stande ist 4). Es muſs befremden, daſs diese so unab- weisbar sich darbietende supranaturalistische Auffassung des vorliegenden Berichts dieſsmal selbst Olshausen zu umgehen sucht, mit Gründen, durch welche die meisten Wundergeschichten umzustoſsen wären, und welche man sonst nur von Rationalisten zu hören gewohnt ist. Dem unparteiischen Ausleger, sagt er 5), gebe die Erzählung nicht das Geringste an die Hand, das die wunderhafte Auffassung rechtfertigte — man glaubt sich bereits in Pau- lus Commentar versetzt; wollten die Referenten ein Wun- der erzählen, so hätten sie ausdrücklich bemerken müssen, es habe keine Verabredung stattgefunden — ganz das ra- tionalistische Begehren, wenn eine Heilung als wunderba- re anerkannt werden sollte, so müſste die Anwendung na-
4) Richtig, nur mit zu specieller Beziehung auf das Jesu bevor- stehende Leiden, giebt Beza, zu Matth. 26, 18., als Zweck dieser Vorherbezeichnung an, ut magis ac magis intellige- rent discipuli, nihil temere in urbe magistro eventurum, sed quae ad minutissimas usque circumstantias penitus perspecta haberet.
5) b. Comm. 2, S. 385 f.
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Zweites Kapitel. §. 116.
Allein diesen Eindruck macht die evangelische Erzäh-
lung durchaus nicht. Von einer Verabredung, vorgängigen
Bestellung, hat sie nichts; vielmehr scheint das εὐρον καϑ-
ὼς εἴρηκεν αὐτοῖς bei Markus und Lukas darauf hinwei-
sen zu sollen, daſs Jesus Alles, wie es sich später wirk-
lich fand, vorauszusagen im Stande war; eine furchtsame
Vorsicht ist nirgends angedeutet, vielmehr weist Alles auf
eine wundersame Voraussicht hin. Näher ist hier, wie
oben bei der Bestellung des Reitthieres zum Einzug in
Jerusalem, das zwiefache Wunder vorhanden, daſs ei-
nerseits für Jesu Bedürfnisse Alles bereit ist, und der
Gewalt seines Namens Niemand zu wiederstehen vermag;
andrerseits aber Jesus in entfernte Verhältnisse einen
Blick zu werfen, und das Zufälligste vorherzusagen im
Stande ist 4). Es muſs befremden, daſs diese so unab-
weisbar sich darbietende supranaturalistische Auffassung
des vorliegenden Berichts dieſsmal selbst Olshausen zu
umgehen sucht, mit Gründen, durch welche die meisten
Wundergeschichten umzustoſsen wären, und welche man
sonst nur von Rationalisten zu hören gewohnt ist. Dem
unparteiischen Ausleger, sagt er 5), gebe die Erzählung
nicht das Geringste an die Hand, das die wunderhafte
Auffassung rechtfertigte — man glaubt sich bereits in Pau-
lus Commentar versetzt; wollten die Referenten ein Wun-
der erzählen, so hätten sie ausdrücklich bemerken müssen,
es habe keine Verabredung stattgefunden — ganz das ra-
tionalistische Begehren, wenn eine Heilung als wunderba-
re anerkannt werden sollte, so müſste die Anwendung na-
4) Richtig, nur mit zu specieller Beziehung auf das Jesu bevor-
stehende Leiden, giebt Beza, zu Matth. 26, 18., als Zweck
dieser Vorherbezeichnung an, ut magis ac magis intellige-
rent discipuli, nihil temere in urbe magistro eventurum, sed
quae ad minutissimas usque circumstantias penitus perspecta
haberet.
5) b. Comm. 2, S. 385 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/418>, abgerufen am 24.11.2024.
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